Tierversuche: Hört auf, Euch zu empören!

Sich über Tierversuche zu empören, ist einfach – und kontraproduktiv. Denn Empörung ist immer verbunden mit emotionalen Schuldzuweisungen und erstickt damit jede konstruktive Diskussion im Keim. Das schadet Forschung und Tierschutz zugleich.

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Antworten auf häufige Fragen zur Forschung mit Tieren und Menschen finden Sie in den Themendossiers «Tierversuche in der Schweiz (FAQ)» und «Forschung mit Menschen (FAQ)».

Die Debatte um Tierversuche hat in jüngster Zeit wieder verstärkt an Brisanz gewonnen. In Bern haben Tierrechtsorganisationen das Referendum ergriffen gegen einen geplanten Laborneubau an der Universität, heute fand die offizielle Übergabe der Unterschriften vor dem Berner Rathaus statt. Das EU-Parlament behandelte kürzlich eine Petition, welche die Abschaffung sämtlicher Tierversuche innerhalb der EU forderte. In Tübingen hat ein renommierter Hirnforscher nach monatelangen öffentlichen Protesten und Anfeindung angekündigt, sich aus der Forschung mit Affen zurückzuziehen. Und als Forscher von ETH und Universität Zürich im Herbst des vergangenen Jahres Versuche mit Makaken ankündigten, blieben die empörten Reaktionen erwartungsgemäss nicht aus.

Es ist einfach, gegen Tierversuche zu sein

Empörung ist ein ausgesprochen mächtiges politisches Werkzeug. Wer sich empört, nimmt für sich in Anspruch, moralisch «richtig» zu stehen – und erstickt mit dieser Haltung jede konstruktive Diskussion im Keim. Denn alle, die eine abweichende Meinung vertreten, werden von der Empörung ihrer Diskussionspartner in die vermeintlich «unmoralische» Gegenposition gedrängt. Und «unmoralisch» will eigentlich niemand sein.

Das gilt in besonderem Masse bei der Diskussion um Tierversuche: Wer sich über Tierversuche empört, der demonstriert damit seine Tierliebe und zeigt, dass er (oder sie) das Herz am rechten Fleck trägt. Dementsprechend einfach ist es, gegen Tierversuche zu sein. Wer die Forschung an Tieren hingegen verteidigt, muss im besten Fall mit Unverständnis, im schlimmsten Fall mit offenen Anfeindungen rechnen. Differenzierte Kritik ist selten - allzu oft werden Behauptungen aufgestellt, die einer genauen Betrachtung nicht standhalten.

Empörung ist ein schlechter Ratgeber

Die Skandalisierung von Tierversuchen garantiert kurzfristig grosse Aufmerksamkeit. Langfristig schafft sie aber ein politisches Klima, unter dem nicht nur die biomedizinische Forschung, sondern auch der Tierschutz leidet – und zwar aus drei Gründen:

Sie verunmöglicht Sachpolitik

Instrumentalisierte Empörung treibt einen Keil zwischen Menschen unterschiedlicher Meinungen und verunmöglicht einen sachlichen Diskurs. Wenn jemand vehement den Standpunkt vertritt, dass eine bestimmte Handlung ohne Wenn und Aber moralisch falsch ist, dann ist die Diskussion zu Ende, bevor sie überhaupt beginnen konnte. Keine fruchtbare Basis für die Erarbeitung zielführender und mehrheitsfähiger Entscheide.

Sie lenkt ab

Hinzu kommt, dass Empörung sich stets an einem konkreten Beispiel orientiert. Sie lenkt damit die Aufmerksamkeit auf Einzelereignisse, die zwar öffentlichkeitswirksam sind, aber nur wenig mit dem eigentlichen Objekt der Empörung zu tun haben. Der Laborneubau in Bern ist ein Beispiel hierfür: Den Bau eines Universitätsgebäudes zum Anlass zu nehmen, um über Tierversuche zu streiten, ist genauso unsinnig, wie bei jedem neuen Schulhaus den Lehrplan in Frage zu stellen.

Sie führt zu Scheinlösungen

Schliesslich ist Empörungspolitik auch immer Symbolpolitik. Wer den Bau eines Schulhauses verhindert, kann damit zwar ein medienwirksames Exempel statuieren. Am Lehrplan ändert sich trotzdem nichts. Auch der Laborneubau in Bern wird zum Symbol für die Grausamkeit der biomedizinischen Forschung hochstilisiert und dementsprechend bekämpft – obwohl alle Beteiligten ganz genau wissen, dass damit kein einziger Tierversuch verhindert wird. Die Tiere bleiben dann einfach weiterhin in den alten Versuchsanlagen, anstatt in modernen Tierhäusern unterzukommen. Aus Tierschutzperspektive nicht wirklich wünschenswert.

Nicht in meiner Nachbarschaft!

Besonders schädlich (und inkonsequent) wirkt Empörung dann, wenn sie sich mit «Nimby»-Denken verbindet (kurz für «not in my backyard»). Darunter ist eine Haltung zu verstehen, bei der eine bestimmte politische Entscheidung im Prinzip unterstützt wird – jedoch nur solange, wie die konkrete Umsetzung nicht das eigene Umfeld betrifft.

Jemand, der die Förderung der Windenergie befürwortet, aber den Bau eines Windrads in seiner Nachbarschaft vehement ablehnt, muss sich den «Nimby»-Vorwurf ebenso gefallen lassen wie derjenige, der für eine liberale Asylpraxis wirbt, aber gegen Flüchtlingsheime im eigenen Quartier kämpft. Und genauso inkonsequent verhält sich jemand, der sich über die Forschung an Tieren im Inland empört, aber weiterhin von allen biomedizinischen Erkenntnissen profitieren möchte, die aus Tierversuchen im Ausland stammen.

Etwas mehr Konsequenz, bitte

Wer Nein sagt zu Tierversuchen, muss damit auch Nein sagen zu all jenen Therapien und Medikamenten, welche auf Tierversuchen basieren - alles andere wäre heuchlerisch.

Bevor wir also – auf einer Empörungswelle reitend – an einzelnen Forschenden ein Exempel statuieren, sollten wir uns der unangenehmen Frage stellen, ob wir denn tatsächlich dazu bereit sind, auf Erkenntnisse aus Tierversuchen zu verzichten. Und vor allem: Woher wir das Recht nehmen, diesen Verzicht auch anderen Menschen auferlegen zu wollen.

Denn darum geht es im Grunde, wenn wir über die Abschaffung von Tierversuchen debattieren. Wenn ich mich dazu entschliesse, alle Vorteile der tierexperimentellen Forschung auszuschlagen, dann ist das meine freie Entscheidung. Wenn ich diesen Entschluss aber verbinde mit der Forderung nach einem absoluten Verbot von Tierversuchen, dann will ich meinen persönlichen Verzicht auch all meinen Mitmenschen aufzwingen – egal, ob diese damit einverstanden sind oder nicht. Warum sich darüber niemand empört, ist mir schleierhaft.

Dieser Artikel ist am 9. Juni 2015 im Science-Blog von NZZ Campus erschienen.

Autor*innen

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Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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