Noun Medical research 3924453

Wieso gelangen nicht alle Medikamente, die erfolgreich an Tieren getestet wurden, auf den Markt?

Wenn ein vielversprechendes Medikament nicht auf den Markt kommt, kann das verschiedene Gründe haben:

1. Die Resultate aus der präklinischen Forschung (Tierversuche & tierversuchsfreie Methoden) können im Menschen nicht bestätigt werden.

2. Erfolgsversprechende Resultate aus kleineren Studien mit Menschen können in grösseren Studien nicht bestätigt werden.

3. Wirtschaftliche Überlegungen führen zu einem Entwicklungsstopp. Zum Beispiel weil ein Konkurrent bereits ein ähnliches Medikament auf den Markt gebracht hat oder weil die Entwicklungskosten zu hoch sind.

Aber auch wenn ein Medikament in der Entwicklungsphase scheitert, können die Erkenntnisse aus der Forschung mit Tieren, tierversuchsfreien Methoden und Menschen idealerweise für andere Forschungsfragen wiederverwendet werden.

Von der Identifizierung einer Krankheitsursache bis zur Zulassung eines entsprechenden Medikaments vergehen im Normalfall viele Jahre. Bevor ein möglicher Kandidat für ein Medikament an Menschen getestet wird, müssen neben Tests an Tieren eine Reihe weiterer Untersuchungen durchgeführt werden (u.a. chemische und pharmakologische Analysen sowie biologische Experimente mit tierversuchsfreien Methoden [1]).

Vielversprechende und für sicher befundene Medikamente und Therapien werden dann in sogenannten «klinischen Tests» am Menschen untersucht - und zwar in vier Phasen [2, 3]:

  1. Phase I dient in erster Linie dazu, die grundlegende Sicherheit am Menschen zu bewerten. Hierbei wird vor allem untersucht, ob schwere Nebenwirkungen auftreten, wofür in der Regel wenige Dutzend Studienteilnehmer*innen rekrutiert werden.
  2. Phase II dient dazu, die Wirksamkeit am Menschen zu überprüfen, das Therapieschema zu definieren und häufige Nebenwirkungen zu erkennen. Dazu wird die Dosierung des Medikaments oder die Abfolge der Behandlung bei einigen hundert Probanden untersucht.
  3. Phase III ist dazu da, die Wirksamkeit der neuen Behandlung an mehreren hundert bis mehreren tausend Probanden zu bestätigen und seltene Nebenwirkungen zu erkennen. Erst wenn diese Phase erfolgreich bestanden ist, erhält eine neue Behandlung eine Zulassung von den Behörden.
  4. Phase IV beginnt nach der Zulassung einer Therapie und dient dazu, sehr seltene Nebenwirkungen zu erfassen und auszuwerten, die in den vorhergehenden Phasen unentdeckt blieben. Ausserdem wird hier die Effektivität im Alltag erfasst.

Eine Therapie kann in jeder dieser Phasen scheitern bzw. zurückgezogen werden. Selbst wenn die ersten Phasen positiv verlaufen, garantiert dies noch nicht, dass eine Therapie auf den Markt kommt. Therapien können auch dann scheitern, wenn sie sowohl in tierversuchsfreien Methoden, in Tierversuchen wie auch in Versuchen mit Menschen erfolgversprechende Resultate liefern. Die Gründe dafür sind vielfältig: Neben mangelnder Wirksamkeit oder Nebenwirkungen sind auch hohe Entwicklungskosten oder Konkurrenzdruck Gründe, weshalb die Entwicklung eines Medikaments eingestellt wird [4]. Die Entwicklung eines Medikaments ist für die beteiligten Akteure mit einem grossen organisatorischem Aufwand und finanziellen Risiko verbunden. Wenn sich die Marktprognose ändert oder ein Konkurrent schneller ein ähnliches Präparat auf den Markt bringen könnte, kann dies zu einem frühzeitigen Entwicklungsstopp führen [5].

Ein weiteres Problem besteht darin, dass wissenschaftliche Zeitschriften überwiegend positive Resultate publizieren, sodass negative Ergebnisse weniger oft oder gar nicht veröffentlicht werden. Das kann dazu führen, dass die Wirksamkeit einer Therapie überschätzt wird, weil nicht alle Studien veröffentlicht werden konnten. Dieses Problem betrifft sowohl die klinische Forschung mit Menschen wie auch die präklinische Forschung an Tieren und mittels tierversuchsfreier Methoden. Dem kann man entgegenwirken, indem alle Forschungsprojekte vor deren Beginn registriert werden, sodass nach Ende des Projekts alle Ergebnisse mit dem ursprünglichen Plan verglichen und ausgewertet werden können [6].

Abschliessend ist zu erwähnen, dass auch im Falle eines frühzeitigen Entwicklungsstopps angewandtes und Grundlagenwissen produziert worden ist, das für weitere Untersuchungen genutzt werden kann. So ist aus der präklinischen Forschung an MERS-CoV und SARS-CoV zwar nie ein Impfstoff oder ein Medikament gegen MERS oder SARS entstanden, aber die Resultate haben dabei geholfen, die Entwicklung eines Impfstoffes gegen COVID-19 zu beschleunigen [7].

Mehr zur Übertragbarkeit von Tierversuchen findet sich auf dem Themenportal «Tierversuche erklärt» der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz [8].

Noun Rat 3583739

Das ist ein Beitrag des Themendossiers «Tierversuche in der Schweiz».

Hier geht es zur Dossierübersicht.

Referenzen

[2]

U.S. Food & Drug Administration (FDA), For Patients, Learn About Drug and Device Approvals, The Drug Development Process, Step 3: Clinical Research, https://www.fda.gov/patients/d...

[3]

vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen, So entsteht ein neues Medikament, https://www.vfa.de/de/arzneimi...

[4]

Siehe dazu die Anmerkungen zu Behauptung B4 im Faktencheck Tierversuche von Reatch: https://reatch.ch/publikatione...

[5]

vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen, So entsteht ein neues Medikament, https://www.vfa.de/de/arzneimi...

[7]

Krammer, F. (2020). SARS-CoV-2 vaccines in development. Nature, 586(7830), 516-527.

[8]

Akademie der Naturwissenschaften, Tierversuche erklärt, Nutzen, Entwicklung von Medikamenten, Warum versagen so viele Medikamente in klinischen Tests?, https://naturwissenschaften.ch...

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Autor*innen

Autor*in

Pascal Broggi studiert im Master Molecular Bioenginnering an der ETH Zürich. Momentan arbeitet er als Praktikant im Pharmakologie Department von Roche, wo er an der Entwicklung von 3D-Zellmodellen forscht, die für die Validierung der Medikamentenwirkung verwendet werden können. Sein besonderes Interesse gilt sogenannten Organ-on-a-chip Systeme, die funktionelle Organeinheiten nachahmen und zum Fortschritt der Medizin beitragen sollen.

Die Beiträge auf dem Reatch-Blog geben die persönliche Meinung der Autor*innen wieder und entsprechen nicht zwingend derjenigen von Reatch oder seiner Mitglieder.

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