Tierversuche sind neben Versuchen am Menschen bislang die einzige Möglichkeit, die Auswirkungen eines neuen Medikaments auf einen ganzen Organismus mit all seinen Organen und den komplexen Wechselwirkungen innerhalb des Körpers abzubilden [1]. Um Tierversuche zu reduzieren wird jedoch auch intensiv an tierversuchsfreien Methoden geforscht. Neben ethischen Überlegungen sind auch technische und wirtschaftliche Gründe für diese Entwicklung verantwortlich: Tierversuchsfreie Methoden sind oft kostengünstiger und einfacher in der Handhabung. Zudem verlangt das Schweizer Gesetz, dass überall dort auf Tierversuche verzichtet werden muss, wo das ohne Erkenntnisverlust möglich ist [2]. Ob die biomedizinische Forschung jemals ganz ohne Tierversuche auskommen wird, ist wissenschaftlich umstritten und letztlich auch eine politische Frage, bei der die Interessen von Tieren und Menschen miteinander abgewogen werden müssen [3]. Denn genauso wie ein ethische Verpflichtung besteht, die Belastung von Tieren in der Forschung zu reduzieren, haben menschliche Patient*innen einen ethischen Anspruch darauf, dass sich Forschung und Medizin dafür einsetzen, ihr Leid zu mindern [4].
Beispiele für tierversuchsfreie Methoden (sog. «Alternativmethoden») sind Zell- und Gewebekulturen, Computersimulationen oder «Organ-Chip»-Ansätze, die immer häufiger zum Einsatz kommen [5]. Wichtig zu betonen ist, dass selbst die Entwicklung von tierversuchsfreien Methoden von Tierversuchen abhängig ist. Denn die Resultate neuartiger Methoden werden während der Entwicklung oft mit den Resultaten aus Tierversuchen verglichen. So soll sichergestellt werden, dass die neuen tierversuchsfreien Methoden korrekt funktionieren und mindestens ebenso gute Ergebnisse liefern können wie Tierversuche.
Hinzu kommt, dass Erkenntnisse aus Tierversuchen oft die Basis neuartiger Methoden sind. Ein Beispiel dafür sind Miniaturorgane, sogenannte «Organoide». Dabei handelt es sich um eine vielversprechende Technik im Bereich der Zell- und Gewebekulturen, bei der 3D-Organe aus Stammzellen gezüchtet werden, wobei sie sich u.a. mit den richtigen Nährstoffen zu einem Miniaturorgan der Wahl formen. Die dafür notwendigen Stammzellen mussten erstmalig aus Tieren isoliert werden, bis Verfahren entwickelt wurden, die das kontinuierliche Kultivieren und die Erhaltung von solchen Zellen möglich machte. Darüber hinaus waren Erkenntnisse aus Tierversuchen essentiell, um die Bedingungen zu bestimmen, unter denen künstliche Organoiden gezüchtet werden können [6]. Ohne die Verwendung von Tieren wäre die Entwicklung dieser und vieler anderer Methoden in dieser Form nicht möglich gewesen.
Organoide erlauben zwar die Erforschung von Modell-Organen, können aber die Interaktionen von verschiedenen Organen innerhalb eines Körpers nicht abbilden. Es gibt jedoch tierversuchsfreie Ansätze, die versuchen ganze Organsysteme zu simulieren – sogenannte «Organ-Chip»-Modelle. Sie funktionieren, indem verschiedene mikroskopische Zellkulturen auf kleinen Chips miteinander verbunden werden. Damit kann beispielsweise der Einfluss von potentiell giftigen Abbauprodukten von Leberzellen auf Herzzellen getestet werden, indem die verschiedenen Zelltypen miteinander verbunden werden [7]. Solche Ansätze stecken aber noch in den Kinderschuhen und sind deshalb weiterhin auf Tierversuche für die Weiterentwicklung angewiesen [8].
Es gibt tierversuchsfreie Methoden, die Tierversuche bei einer spezifischen Frage komplett ersetzen können. Bei gewissen Medikamenten muss beispielsweise getestet werden, ob sie Substanzen enthalten, die Fieber auslösen (sog. «Pyrogene»). Standardmässig wurde dieser Test früher an Kaninchen durchgeführt [9]. In Europa ist jedoch mittlerweile auch der sog. «Monocyte Activation Test» für diese Untersuchung zugelassen, der lediglich menschliche Zellen verwendet [10].
Mehr zu tierversuchsfreien Methoden findet sich auf dem Themenportal «Tierversuche erklärt» der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz [11].
Das ist ein Beitrag des Themendossiers «Tierversuche in der Schweiz».
Referenzen
Siehe dazu auch die Frage «Warum können Tierversuche noch nicht vollständig mit tierversuchsfreien Methoden ersetzt werden?» im Reatch-Themendossier «Tierversuche in der Schweiz (FAQ)».
Siehe dazu auch die Frage «Wie werden Tierversuche in der Schweiz bewilligt?» im Reatch-Themendossier «Tierversuche in der Schweiz (FAQ)».
Report on a European Commission Scientific Conference held on 6-7 December 2016 at The Egg, Brussels, Belgium, https://ec.europa.eu/environme...
Garattini, S., & Grignaschi, G. (2017). Animal testing is still the best way to find new treatments for patients. European Journal of Internal Medicine, 39, 32–35.
Für einen ausführlichen Überblick über verschiedene Methoden und Ansätze, siehe "The Paradigm Shift: Advanced Animal-free Approaches" in: Herrmann, Kathrin, and Kimberley Jayne. Animal experimentation: Working towards a paradigm change. Brill, 2019. Siehe dazu auch die Frage «Warum können Tierversuche noch nicht vollständig mit tierversuchsfreien Methoden (sog. «Alternativmethoden») ersetzt werden?» im Reatch-Themendossier «Tierversuche in der Schweiz (FAQ)».
Simian, M., & Bissell, M. J. (2017). Organoids: a historical perspective of thinking in three dimensions. Journal of Cell Biology, 216(1), 31-40.
ETH Zürich (2019), Schädliche Wirkung auf Embryonen frühzeitig in vitro testen, https://ethz.ch/de/news-und-ve...
Low, L. A., Mummery, C., Berridge, B. R., Austin, C. P., & Tagle, D. A. (2021). Organs-on-chips: into the next decade. Nature Reviews Drug Discovery, 20(5), 345-361.
U.S. Pharmacopeia (USP), Chapter <151> "Pyrogen Test"
European Pharmacopoeia (EP), Chapter 2.6.30, "Monocyte Activation Test"
Akademie der Naturwissenschaften, Tierversuche erklärt, Tierversuchsfreie Methoden, https://naturwissenschaften.ch...
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