Noun Research 2965947

Wofür dürfen in der Schweiz Tierversuche eingesetzt werden?

Ob Medikamententests an Mäusen im Labor, Beobachtungsstudien an Kapuzineraffen in Zoos oder ökologische Untersuchungen von Tieren in der freien Wildbahn: All dies gilt in der Schweiz als Tierversuch. Allgemein gelten in der Schweiz alle Massnahmen an lebenden Tieren als Tierversuch, wenn damit eine wissenschaftliche Frage beantwortet wird - auch dann, wenn die Massnahme mit keinerlei Belastung des Tieres verbunden ist.

Die Schweiz hat im internationalen Vergleich eines der strengsten Tierschutzgesetze. Sie betrachtet jede Massnahme am lebenden Tier als Tierversuch, wenn damit

  • eine wissenschaftliche Annahme geprüft wird;
  • die Wirkung einer bestimmten Massnahme am Tier überprüft wird;
  • ein Stoff geprüft wird;
  • Zellen, Organe oder Körperflüssigkeiten entnommen werden, es sei denn, es geschieht zu Zwecken der Landwirtschaft (z.B. Milchproduktion), der Tiermedizin (z.B. Blutentnahmen) oder der Wildtierökologie (z.B. Entnahme von Fellproben);
  • artfremde Organe erhalten oder vermehrt werden;
  • die Lehre sowie die Aus- und Weiterbildung im Zentrum steht. [1]

Eine Massnahme ist also dann ein Tierversuch, wenn sie der Forschung oder Aus- und Weiterbildung dient - auch dann, wenn sie für die Tiere mit keinen Belastungen verbunden ist (sogenannte Versuche von Schweregrad 0). Das Schweizer Tierschutzgesetz unterscheidet sich hier zum Beispiel von den Ländern der Europäischen Union, wo Experimente des Schweregrades 0 nicht als Tierversuche deklariert werden und keine Auflagen zur Durchführung bestehen [2]. 2019 fielen in der Schweiz 39% aller Versuchstiere in die Kategorie des Schweregrades 0 [3]. Dazu gehören beispielsweise Beobachtungsstudien. Umgekehrt ist nicht jeder belastende Eingriff an Tieren ein Tierversuch. Wenn beispielsweise Tierärzte eine Operation durchführen oder Kühe enthornt werden, dann ist dies mit Belastungen für die Tiere verbunden, gilt jedoch nicht als Tierversuch, wenn der Zweck in keine der oben genannten Kategorien fällt, d.h. weder der Forschung noch der Ausbildung dient. Tierversuche zur Entwicklung von nicht gesundheitsfördernden Kosmetika sind in der Schweiz nicht ausdrücklich verboten. Weil sie jedoch die gesetzlichen Vorgaben für eine Bewilligung der Tierschutzverordnung nicht erfüllen, dürfen sie nicht durchgeführt werden [4].

2019 entfielen zudem gut 30% aller Versuchstiere auf Schweregrad 1 (leichte Belastung), knapp 28% der Versuchstiere waren Versuchen von Schweregrad 2 (mittlere Belastungen) ausgesetzt und gut 3% einem Schweregrad von 3 (schwere Belastung) [5]. Ein Tierversuch darf nur dann durchgeführt werden, wenn er für die Beantwortung der wissenschaftlichen Frage unerlässlich ist und keine tierversuchsfreien Methoden existieren [6]. Zudem müssen diese Versuche

  • im Zusammenhang mit dem Erhalt oder Schutz des Lebens und der Gesundheit von Mensch und Tier stehen,
  • neue Kenntnisse über grundlegende Lebensvorgänge erwarten lassen
  • oder dem Schutz der natürlichen Umwelt dienen. [7]

Beispiele dafür sind die Entwicklung einer neuen Impfung (Erhalt der Gesundheit), die Erforschung der Funktionsweise des Gehirns (grundlegende Lebensvorgänge) oder die Bekämpfung der gefährlichen Amphibienpilzerkrankung «Chytridiomykose» (Schutz der natürlichen Umwelt). Die Mehrheit aller Versuchstiere wird in der Grundlagenforschung (knapp 61%) sowie für die Entdeckung, Entwicklung und Qualitätskontrolle neuer (medizinischer) Technologien (knapp 22%) eingesetzt, wobei die Grenzen hier oftmals fliessend sind. Der Rest der Versuche (circa 17%) entfällt auf den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt, die Diagnostik von Krankheiten, die Ausbildung, sowie andere Versuchszwecke [8].

Tierversuche dienen also nicht nur dem Erforschen von Medikamenten für Menschen, sondern auch der Tiermedizin, der Grundlagenforschung und dem Umweltschutz.

Das ist ein Beitrag des Themendossiers «Tierversuche in der Schweiz».

Hier geht es zur Dossierübersicht.

Referenzen

[2]

Anhang 8, Abschnitt 1, Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, https://eur-lex.europa.eu/LexU...

[3]

Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, Tierversuchsstatistik 2019, https://www.tv-statistik.ch/de...

[5]

Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, Tierversuchsstatistik 2019, https://www.tv-statistik.ch/de...

[7]

Art. 137 Abs. 1 TschV, https://www.fedlex.admin.ch/el...

[8]

Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, Tierversuchsstatistik 2019, https://www.tv-statistik.ch/de...

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Autor*innen

Fabio Hasler

Autor*in

Fabio Hasler hat einen Master in Biologie von der ETH Zürich. Die letzten drei Jahre arbeitete er in der immunologischen Grundlagenforschung am Universitätsspital Zürich.

Autor*in

Team Entwicklung & Qualität und Dossierverantwortlicher "Verantwortungsvolle Tierversuche"

Jonas Füglistaler schloss einen Master in Biotechnologie an der ETH Zürich und einen zweiten in Biostatistik an der UZH ab. Seither arbeitet er im pharmazeutischen R&D im IT Bereich. Sein besonderes Interesse gilt neuen Erkenntnissen aus verschiedenen wissenschaftlichen Diziplinen, die zum Fortschritt der Medizin beitragen.

Autor*in

Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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