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Wie läuft die Entwicklung eines Arzneimittels bei Menschen ab?

Bevor ein neues Medikament auf den Markt gelangt, muss es nach präklinischen Versuchen erfolgreich drei Phasen von klinischen Versuchen durchlaufen. Im Normalfall überprüft Phase I primär die Sicherheit des zu testenden Wirkstoffs an wenigen Dutzend Personen. An Versuchen in Phase II nehmen einige hundert Personen teil, um weitere Sicherheits- und erste Wirksamkeitstests durchzuführen und dabei u.a. die optimale Dosierung zu finden. Phase III überprüft dann schliesslich die Wirksamkeit und Sicherheit mit mehreren hundert bis mehreren tausend Personen. Dabei wird insbesondere verglichen, wie sicher und wirksam der neue Wirkstoff im Vergleich zu bestehenden Standardbehandlungen ist. Nach dem Durchlaufen dieser Phasen müssen die Resultate den Behörden vorgelegt werden, damit diese für das getestete Arzneimittel einen Entscheid fällen können. Nach der Marktzulassung beginnt Phase IV, in der die Effekte des neu zugelassenen Wirkstoffs im Alltag überprüft werden, um allfällige sehr selten auftretende Nebenwirkungen erkennen zu können.

Die Entwicklung eines neuen Medikaments ist ein aufwändiger, zeitraubender und kostspieliger Prozess, bei dem biomedizinische Grundlagenforschung, präklinische Versuche mit Tieren und tierversuchsfreien Methoden sowie klinische Forschung am Menschen Hand in Hand gehen. Die Grundlagenforschung liefert dabei das biologische und medizinische Verständnis über jene Prozesse, welche Krankheit und Gesundheit bestimmen. Dieses Wissen kann dann genutzt werden, um neue Behandlungsansätze zu erforschen und – wenn sie erfolgversprechend sind – in präklinischen Versuchen weiterzuentwickeln. Die präklinischen Studien bestimmen die Sicherheit und Wirksamkeit neuer Arzneimittel, zum Beispiel mittels pharmakologischer Analysen, mit Zellkulturexperimenten, aber auch mit Tierversuchen [1]. Erst wenn ein neuer Wirkstoff erfolgreich in präklinischen Versuchen auf seine Wirksamkeit und Sicherheit getestet worden ist, dürfen klinische Versuche am Menschen durchgeführt werden [2]. Dabei handelt es sich um sogenannte Interventionsstudien, bei denen die teilnehmenden Versuchspersonen den zu untersuchenden Wirkstoff zugewiesen bekommen, um deren Wirksamkeit und Sicherheit zu testen [3]. Klinische Arzneimittelversuche laufen grundsätzlich in den folgenden vier Phasen ab [4]:

  1. Phase I dient in erster Linie dazu, die grundlegende Sicherheit und Verträglichkeit am Menschen zu bewerten. Hierbei wird primär geprüft, ob Nebenwirkungen, die in Tierversuchen entdeckt wurden, auch beim Menschen auftreten und ob weitere sehr häufige Nebenwirkungen vorkommen. Dazu werden in der Regel wenige Dutzend gesunde Studienteilnehmer*innen rekrutiert. Auf Kontrollgruppen wird in dieser Phase in der Regel verzichtet, weil es primär um die Sicherheit des Wirkstoffs geht. Phase I ist abgeschlossen, wenn eine sichere Verabreichungsform und -dosierung des neuen Wirkstoffs gefunden ist.
  2. Phase II dient dazu, die Wirksamkeit am Menschen zu überprüfen, das Therapieschema zu definieren und häufige Nebenwirkungen zu erkennen. Dazu wird die optimale Dosierung des Medikaments oder die Abfolge der Behandlung bei einigen hundert Probanden untersucht.
  3. Phase III ist dazu da, die Wirksamkeit der neuen Behandlung an mehreren hundert bis vielen tausenden Probanden zu bestätigen und seltene Nebenwirkungen zu erkennen. Spätestens in dieser Phase wird die Wirksamkeit des neuen Wirkstoffs im Rahmen einen randomisierten, kontrollierten und doppelt verblindeten Interventionsstudie [5] mit einer oder mehreren anderen Therapien verglichen. Erst wenn diese Phase erfolgreich bestanden ist, erhält eine neue Behandlung eine Zulassung von den Behörden. Für eine Zulassung muss ein neuer Wirkstoff einen medizinischen Vorteil gegenüber bestehenden Behandlungsoptionen zeigen, also zum Beispiel wirksamer, sicherer oder einfacher in der Verabreichung sein.
  4. Phase IV beginnt nach der Zulassung einer Therapie und dient dazu, sehr seltene Nebenwirkungen zu erfassen und auszuwerten, die bei den vorangehenden Phasen unentdeckt blieben. Ausserdem wird hier die Effektivität im Alltag erfasst. Es handelt sich hier um eine Beobachtungsstudie.

Der Ablauf der einzelnen Phasen kann je nach Produkt oder Krankheitsbild variieren. Beispielsweise werden Versuche in Phase I bei Krebsmedikamenten grundsätzlich nur mit bereits erkrankten Patient*innen durchgeführt, da diese Medikamente in natürliche Körpervorgänge eingreifen und daher auch gesunde Zellen schädigen können. Daher werden hier in der Regel Patient*innenen aufgenommen, für deren Erkrankung es noch keine effektive Therapie gibt oder bei denen die bekannten Behandlungsmethoden nicht angeschagen haben. So fällt das Risiko-Nutzen-Verhältnis für die Beteiligten positiver aus als bei gesunden Versuchsteilnehmer*innen [6].

Seit 2006 existiert eine zusätzliche Phase 0, die zwischen präklinischen Versuchen und klinischen Versuchen in Phase 1 anzusiedeln sind [7]. Studien in Phase 0 brauchen weniger präklinische Daten, um durchgeführt zu werden und dienen dazu, schneller Informationen darüber zu beschaffen, ob ein neuer Wirkstoff in Menschen erfolgversprechend ist. Um die Sicherheit der involvierten Versuchsteilnehmer*innen zu gewährleisten, dürfen in solchen Studien nur Wirkstoffdosen zum Einsatz kommen, die um ein Vielfaches unter der zu erwartenden therapeutischen Dosis liegen (sog. «Microdosing»). Ziel solcher Versuche ist deshalb nicht, Wirksamkeit und Sicherheit nachzuweisen, sondern herauszufinden, ob der Wirkstoff im menschlichen Körper ähnlich verarbeitet wird, wie es aus den Resultaten der vorangehenden Versuchen an Tieren, Zellkulturen oder in biochemischen Reaktionen zu erwarten ist.

Bei bereits zugelassenen Medikamenten, deren Wirkstoffe in Form von Generika [8] oder sog. «Biosimilars» [9] auf den Markt kommen sollen, bestehen vereinfachte Prüf- und Zulassungsverfahren, da hier davon ausgegangen werden kann, dass Risiko und Wirksamkeit vergleichbar sind mit dem bereits zugelassenen Medikament. Auch Wirkstoffe, deren Sicherheit und Wirksamkeit bereits in klinischen Studien nachgewiesen wurden, und die zur Behandlung neuer Krankheiten (sog. «Repurposing») oder in neuen Dosen, Verabreichungswegen, Darreichungsformen etc. eingesetzt werden sollen, können vereinfacht zugelassen werden [10].

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Das ist ein Beitrag des Themendossiers «Forschung mit Menschen (FAQ)».

Hier geht es zur Dossierübersicht.

Referenzen

[1]

Siehe dazu das Reatch-Themendossier «Tierversuche in der Schweiz (FAQ)».

[3]

Siehe dazu die Frage «Was sind klinische Studien und wofür werden sie eingesetzt?» im Reatch-Themendossier «Forschung mit Menschen (FAQ)».

[4]

U.S. Food & Drug Administration (FDA), For Patients, Learn About Drug and Device Approvals, The Drug Development Process, Step 3: Clinical Research, https://www.fda.gov/patients/d...; vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen, So entsteht ein neues Medikament, https://www.vfa.de/de/arzneimi...

[7]

Burt, T., Young, G., Lee, W. et al. Phase 0/microdosing approaches: time for mainstream application in drug development?. Nat Rev Drug Discov 19, 801–818 (2020). https://doi.org/10.1038/s41573.. .; Fromer, Margot J. FDA Introduces New Phase 0 for Clinical Trials, Oncology Times: August 10, 2006 - Volume 28 - Issue 15 - p 18-19. https://doi.org/10.1097/01.COT.. .

[8]

Swissmedic (2021). Wegleitung Zulassung Humanrzneimittel mit bekanntem Wirkstoff HMV4. https://www.swissmedic.ch/dam/...

[9]

Swissmedic (2020). Fragen und Antworten zur Zulassung von Biosimilar. https://www.swissmedic.ch/swis...

[10]

Swissmedic (2021). Wegleitung Zulassung Humanrzneimittel mit bekanntem Wirkstoff HMV4. https://www.swissmedic.ch/dam/...

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Autor*innen

Autor*in

Team Entwicklung & Qualität und Dossierverantwortlicher "Verantwortungsvolle Tierversuche"

Jonas Füglistaler schloss einen Master in Biotechnologie an der ETH Zürich und einen zweiten in Biostatistik an der UZH ab. Seither arbeitet er im pharmazeutischen R&D im IT Bereich. Sein besonderes Interesse gilt neuen Erkenntnissen aus verschiedenen wissenschaftlichen Diziplinen, die zum Fortschritt der Medizin beitragen.

Autor*in

Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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