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Ferrum Noricum – Der Stahl der Kelten

Schon vor über 2000 Jahren haben es die Römer geschafft, sich durch diplomatisches Geschick kritische Rohstoffe und gut gehütete Betriebsgeheimnisse der Kelten zu sichern und so ihre militärische Macht weiter auszubauen. Stabile Handelsbeziehungen waren schon zu Zeiten von Asterix und Obelix unabdingbar.

Europa um das Ende der Eisenzeit im letzten Jahrhundert vor Christus: Vor etwa achthundert Jahren haben die Menschen gelernt, Eisenerz zu reduzieren und aus dem gewonnenen Metall zuerst einfache, dann kompliziertere Waffen und Werkzeuge zu fertigen. Ganz Mittel- und Westeuropa wird von keltischen Stämmen bewohnt, Spuren ihrer Kultur finden sich von Nordspanien und Südengland im Westen bis nach Ungarn im Osten. Nördlich siedeln die Germanen, und von Süden der Alpen her kündigen sich Änderungen an. Dort liegt das Reich der Römer. Erstreckte sich deren Herrschaftsgebiet um 300 v. Chr. noch nur über die Stadt selbst und ihr Umland, eroberte Gaius Iulius Caesar in den 50er Jahren v. Chr. das von verschiedenen keltischen Stämmen besiedelte Gallien (heute Frankreich, Belgien und die Schweiz). In den darauffolgenden Jahren breiteten die Römer sich immer weiter im gesamten keltischen Gebiet aus. Die mehr oder weniger friedlich vonstattengehende Angliederung an das römische Reich markierte den Übergang von der Eisenzeit in die Antike.

Haben also die Römer den Fortschritt auf die nördliche Seite der Alpen gebracht? Sicherlich, aber wir wissen heute, dass der Austausch nicht so einseitig war. Handel ging in beide Richtungen und Rom war in einigen Fällen vielleicht sogar abhängiger von seinen Provinzen als die Provinzen von Rom. Die Expansionsversuche der Grossmacht stiessen nämlich nicht unbedingt nur auf Begeisterung in den angrenzenden Gebieten, was zu Konflikten führte. Für Krieg braucht es bekanntlich neben ausreichend Soldaten auch Waffen, um diese auszurüsten. Das römische Kernland verfügte damals aber nicht über Stahlproduktion im grossen Stil. Grosse Erzvorkommen von genügender Qualität gab es nicht und das benötigte Wissen und die Fähigkeiten, um die wenigen verfügbaren Erze zu verarbeiten, fehlten.


Die Technik der Kelten

Nördlich der Alpen hingegen beherrschten die Kelten dieses Handwerk schon länger, wenn auch mit schwankenden Ergebnissen. Für gute Waffen braucht es schmiedbaren, kohlenstoffreichen Stahl, der durch Abschrecken gehärtet werden kann. Der fiel in den damals verwendeten sogenannten Rennöfen meist nur als zufälliges Nebenprodukt an. Die aus dem zuverlässig produzierbaren weichen Roheisen hergestellten Endprodukte mussten mit grossem Aufwand nachträglich aufgekohlt, also gehärtet werden, um als Kampfwerkzeuge nützlich zu sein. Keine guten Voraussetzungen für eine Massenproduktion, wie sie nötig gewesen wäre, um die römische Armee auszurüsten.

Bis in die 1960er Jahre war die in der Archäologie vorherrschenden Meinung, dass in Rennöfen nie die Bedingungen erreicht werden konnten, die zur Produktion von Stahl, mit Kohlenstoff angereichertem Eisen, in grossen Mengen nötig gewesen wären. Die Funde jedoch sprachen eine andere Sprache: durch nachträgliches Aufkohlen gehärtete Werkzeuge haben aussen einen höheren Kohlenstoffgehalt als im Kern, doch es wurden immer mehr antike Werkstücke mit homogener Kohlenstoffkonzentration gefunden. Das wohl überzeugendste Indiz für eine Stahlproduktion in grossen Mengen lieferte ein Fund von 5 Tonnen Nägeln aus Stahl, verbaut in einer römischen Festung in Schottland aus dem 1. Jahrhundert nach Christus. Schon die schiere Menge wäre beeindruckend. Zusätzlich hätten die Nägel gar nicht aus Stahl hergestellt werden müssen. Kohlenstoffarmes Eisen reicht für diese Anwendung völlig aus, so werden sie noch heute gemacht. Stahl musste wirklich sehr günstig produzierbar gewesen sein, sonst wäre er hier nicht verwendet worden.


Die Suche nach den antiken Stahlfabriken

Doch wo lag die antike Geburtsstätte der modernen Stahlindustrie? Um diese Frage zu beantworten, gräbt man entweder ganz Europa um und sucht nach Öfen und Schlackeabfällen, oder man gibt sich einfach ein bisschen den Studien antiker Literatur hin. Denn Ovid liefert uns die Antwort quasi auf dem Silbertablett: Wilder als der stürmische Ozean, härter als norisches Eisen oder Fels ist das Herz der Angebeteten des armen Jünglings. Auch andere römische Schriftsteller erwähnen Ferrum Noricum, das offensichtlich zu dieser Zeit allgemein für seine Härte bekannt war. Die Spuren führen in das Gebiet des heutigen Österreichs, genauer in eine namenlose keltische und später römische Siedlung, heute «Stadt auf dem Magdalensberg» genannt.

Das Königreich Noricum war ein Verbund 13 keltischer Stämme unter den Norikern, der etwa 200 Jahre vor Christus geschlossen wurde. Schon kurze Zeit später begann dank der Gründung der Hafenstadt Aquileia (nahe dem heutigen Triest) der Handel mit dem römischen Reich, zuerst mit Gold, bald auch mit Eisen. Im Jahre 170 v. Chr. verhandelte eine römische Gesandtschaft freundschaftliche Beziehungen mit den Stämmen. Von da an vergrösserte sich der römische Einfluss zunehmend, bis die Region kurz vor der dem Jahr Null friedlich ins Reich eingegliedert wurde.


Antworten in den Kellern auf dem Magdalensberg

Wie wichtig die Siedlung auf dem Magdalensberg vor dem Handel mit den Römern für die Kelten war, ist nicht genau bekannt. Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus gründeten römische Händler jedenfalls einen Markt. Es entstand ein Forum und später auch ein Badehaus, eine Markthalle und Wohnhäuser nach römischem Vorbild. Das Zentrum war ein riesiges keltisches Heiligtum, wahrscheinlich von den norischen Königen gebaut. Es gab auch ein paar kleine Öfen für die Metallverarbeitung. Noch bessere Hinweise auf die Stellung der Stadt als Knotenpunkt des Stahlhandels finden sich in den Kellern der Handelshäuser. Dort haben sich im Verputz der Wände Inschriften erhalten, die die Händler wahrscheinlich über ihren Waren in die Wände geritzt haben, um den Überblick über die Menge, den Bestimmungsort, den Handelspartner und die Bezahlmethode zu behalten. Sie sind der Beweis, dass ein grosser Teil des Stahls des römischen Reiches wirklich durch diesen Ort abseits aller heute bekannten römischen Handelsrouten gegangen sein muss. Teilweise über eine Tonne Haken, Ringe oder Beile wurden hier zeitgleich gelagert, und zusätzlich auch Halbzeug, das zur Herstellung komplizierterer Werkzeuge oder Waffen exportiert wurde. Geliefert wurde nicht nur nach Aquileia und Rom, sondern überallhin ins Reich.

Nun wäre das «Wo» geklärt, fehlt noch das «Wie». Hier gibt es leider keine so direkten Antworten von den Zeitgenossen, wenn man einmal von Plinius dem Älteren absieht, der die Qualität von Eisen mit den lokalen Unterschieden zwischen dem Wasser zu erklären versuchte. Abschliessend lassen sich die Fragen wahrscheinlich auch nie beantworten, denn die Hüttenleute kann niemand mehr nach ihren Geheimnissen fragen und schriftliche Zeugnisse wurden bis heute keine gefunden. Immerhin lassen sich die Vermutungen mit Untersuchungen der vorgefundenen Öfen und Schlackeresten auf ihre Plausibilität prüfen. Um zusätzliche Einblicke zu gewinnen, haben Archäologinnen und Archäologen Öfen nachgebaut und mit den damals verwendeten Werkzeugen Verhüttungsversuche durchgeführt.

Mehrere grosse Renn- und Schmiedeöfen, die wahrscheinlich zur Verhüttung des Eisenerzes verwendet wurden, wurden bei Ausgrabungen auf dem Hüttenberg, ein paar Kilometer nördlich der Stadt auf dem Magdalensberg entdeckt. Dort wurde das Erz auch abgebaut. Die Reduktion von Eisenerz (Eisenoxide vermischt mit diversen anderen Stoffen) zu reinem Eisen im Rennofen funktioniert folgendermassen: zuerst wird der Ofen mit Holzkohle angeheizt und einige Stunden gewartet, bis die gewünschte Temperatur erreicht wird. Danach wird von oben in Schichten abwechselnd klein gebrochenes Erz und mehr Kohle eingefüllt. Die Kohle verglüht dank durch Luftschächte zugeführten Sauerstoffs. Die Luftzufuhr wurde in der Antike entweder durch Blasebälge oder automatisch mit Luftzug dank Hangaufwind geregelt. Aufgrund der benötigten sehr hohen Temperaturen für die Stahlproduktion wird angenommen, dass auf dem Hüttenberg Blasebälge eingesetzt wurden. Die Eisenoxidverbindungen werden zuerst chemisch reduziert, wobei Kohlenstoff als Reduktionsmittel agiert. Dies kann entweder direkt über Kontakt mit der Kohle erfolgen oder über das bei der Verbrennung entstehende CO/CO2 – Gasgemisch. Je höher die Temperatur, desto besser verläuft die Reduktion. Genau dieses Gasgemisch kann bei genügend hohen Temperaturen und hohem Anteil an CO auch zum anschliessenden Aufkohlen, also zur Anreicherung von Kohlenstoff im gebildeten Eisen, führen. Die anderen Stoffe bilden eine unter diesen Bedingungen flüssige Schlacke. Alles klar so weit, aber wieso fiel dann in den meisten Fällen nur weiches Eisen ohne nennenswerten Kohlenstoffgehalt an, und was machten die Noriker anders, um ihren berühmten Stahl zu produzieren?


Glückliche Zusammensetzung des Eisenerzes

Hier scheiden sich die Geister, aber wahrscheinlich lag ihr Erfolg in der ausserordentlich glücklichen Zusammensetzung des Erzes der Region, kombiniert mit einem über Generationen perfektionierten Verhüttungsprozess. Beim Reduktions- und Aufkohlprozess handelt es sich nämlich, wie eigentlich immer in der Chemie, um Gleichgewichtsreaktionen. Die Kohlenstoffanreicherung findet erst statt, wenn nur noch ganz wenig zu reduzierendes Eisenoxid in der Schlacke vorhanden ist. Die normalerweise bei diesen Öfen gefundenen Schlackeabfälle beinhalten meist einen noch immer beträchtlichen Anteil an Eisen, was bedeutet, dass die Bedingungen für ein Aufkohlen gar nie erreicht werden konnten. Hier kommt das im Hüttenberger Erz in zur Genüge vorhandene Mangan ins Spiel. Manganoxid ist viel schwieriger zu reduzieren als Eisenoxid. Darum nimmt während des Reduktionsprozesses der relative Anteil von Manganoxid in der Schlacke gegenüber dem Eisenoxid immer mehr zu, was im Falle von Hüttenberg die aufkohlungshemmende Wirkung der Schlacke verringert haben könnte. Zusätzlich enthält das Erz praktisch keinen Phosphor, der zur Versprödung des Endproduktes hätte führen können.

Doch auch das reicht nicht, um den Erfolg der Noriker zu erklären. Um die erforderliche Temperatur zu erreichen, ist viel Sauerstoff notwendig. Damit sinkt aber gleichzeitig der CO-Gehalt im Gasgemisch. Kohlenstoffreiche Eisenteilchen können dank der hohen Temperaturen in der Nähe der Blasebälge entstehen, aber sie werden durch die neu eingeblasene Luft sofort wieder oxidiert und entkohlt. Untersuchungen der Öfen aus dem Regnum Noricum zeigen eine Eigenheit, die dazu gedient haben könnte, dieses Problem zu umgehen: Unter den Luftzufuhrlöchern befinden sich grosse Nischen, in die die Eisenteilchen absinken konnten, und zwar unter die Holzkohleschicht. Dort herrscht wieder eine reduzierende Atmosphäre mit wenig Sauerstoff, und Versuche haben gezeigt, dass das sich dort ansammelnde Eisen so erneut mit Kohlenstoff versetzt wird und sich harter Stahl bildet.


Militärischer Übermacht dank guter Waffen

In den nachgebauten Versuchsöfen konnte mit Erz aus der Umgebung tatsächlich Stahl gewonnen werden, aber die Homogenität liess noch sehr zu wünschen übrig. Alle Geheimnisse sind noch nicht gelüftet. Die Hüttenleute von damals sind den Archäologinnen und Archäologen mit ihren über Generationen gesammelten Erfahrungen und ihrem Wissen über die beste Ofenführung doch noch ein gutes Stück voraus. Sie haben ihre Kunst beherrscht, das ist klar. Die heute noch erhaltenen antiken Waffen und Werkzeuge sprechen dafür. Wer weiss, vielleicht sähe die Geschichte ohne Ferrum Noricum etwas anders aus. Denn die Römer haben sich dank ihrer guten Handelsbeziehungen einen Vorteil gegenüber ihren Feinden verschafft und mussten ihre Schwerter nicht alle paar Hiebe wieder geradebiegen, wie laut Caesar zum Beispiel die Gallier.

saevior illa freto surgente cadentibus Haedis,

durior et ferro, quod Noricus excoquit ignis,

et saxo, quod adhuc vivum radice tenetur,

spernit et inridet, factisque inmitibus addit

verba superba ferox et spe quoque fraudat amantem.

Publius Ovidius Naso, Metamorphosen 14, Verse 711-715, kurz nach Jahr Null


Jene – wilder als das Meer, das beim Untergang der Haedi* aufbraust,

härter als der Stahl, der in norischem Feuer geschmolzen wird,

und härter als der Fels, der noch lebend in seinem Grund wurzelt –,

verschmäht und verspottet den Verliebten, fügt grausamen Taten noch

hochmütige Worte hinzu, die Herzlose, und raubt ihm zuletzt die Hoffnung


*zwei Sterne, die als Sturmboten galten

Übersetzung aus dem Buch „Die Produktion von Ferrum Noricum am Hüttenberger Erzberg“, Kapitel „Die antiken literarischen Zeugnisse zum Ferrum Noricum“ von Andreas Hofeneder, leicht abgeändert

Dieser Text wurde in einer ersten Fassung im Sommer 2024 in der Zeitschrift des Vereins «Studierenden der Materialwissenschaften an der ETH Zürich» veröffentlicht.

Weiterführende Literatur

[1]

Harald Straube, Ferrum Noricum und die Stadt auf dem Magdalensberg, Springer-Verlag, Wien, 1996. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-6890-5

[2]

Brigitte Cech, Die Produktion von Ferrum Noricum am Hüttenberger Erzberg - Die Ergebnisse der interdisziplinären Forschungen auf der Fundstelle Semlach/Eisner in den Jahren 2006–2009, Austria Antiqua (6), Unipress Graz, 2017.

[3]

Alex R. Furger, Antike Stahlerzeugung. Ein Nachweis der Aufkohlung von Eisen aus Augusta Raurica, Beiträge zur Technikgeschichte Bd. 2, Dr. h. c. Alfred Mutz-Stiftung, Basel, 2019.

Autor*innen

Autor*in

Evamaria Fuchs studiert im Master Materialwissenschaft an der ETH Zürich. Momentan arbeitet sie im Rahmen ihrer Masterarbeit an der EMPA an Natrium-Eisenchlorid Hochtemperaturbatterien. Neben ihrem technischen Studium hat sie unter anderem ein starkes Interesse für Geschichte und es genossen, für die Recherche dieses Artikels für einmal nicht nur naturwissenschaftliche Papers lesen zu müssen. Sie findet gute Wissenschaftskommunikation sehr wichtig und war 2023/2024 Teil von Scimpact.

Die Beiträge auf dem Reatch-Blog geben die persönliche Meinung der Autor*innen wieder und entsprechen nicht zwingend derjenigen von Reatch oder seiner Mitglieder.

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