Aus einem Artikel in der Medienwoche:
Das eidgenössische Parlament diskutiert zurzeit über eine Initiative, die bei einer Annahme nicht nur weite Teile des Schweizer Forschungsplatzes zerstören, sondern auch Menschenleben in Gefahr bringen würde. Das ist keine alarmistische Übertreibung, sondern die zu erwartende Konsequenz der Initiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot». Die Initiative fordert neben einem Verbot von Tierversuchen auch ein Totalverbot der Forschung am Menschen und ein Einfuhrstopp für alle neu entwickelten medizinischen Produkte, die zuvor an Mensch oder Tier getestet wurden.
Künftig wäre es also verboten, neu entwickelte Medikamente gegen Krebs, verbesserte Prothesen und Impfstoffe gegen die Grippe oder gegen neue Infektionskrankheiten wie das Coronavirus zu importieren – denn all diese Produkte werden vor der Marktzulassung an Mensch und Tier getestet. Die Folge wäre eine Zweiklassenmedizin: Moderne Medizin für jene, die das Geld haben und ins Ausland ausweichen können, veraltete oder weniger wirksame Behandlungsmethoden für den Rest – höheres Sterberisiko inklusive.
Angesichts solch absehbarer Folgen würde man erwarten, dass sich die Medienschaffenden hauptsächlich auf diesen Aspekt der Initiative konzentrieren würden. Doch anstatt kritisch alle Konsequenzen der Initiative zu beleuchten, dreht sich die mediale Diskussion fast ausschliesslich um Tierversuche.
Ob SRF, «Blick», «Tages-Anzeiger» oder NZZ: Das Verbot von neuen Medikamenten und der Forschung am Menschen wird – wenn überhaupt – nur in einem Nebensatz erwähnt. Selbst dort, wo es das Verbot der Forschung am Menschen in den Titel eines Artikels schafft, nimmt das Thema Tierversuche den weitaus grösseren Platz in Anspruch.
Wie kommt es zu dieser einseitigen Schwerpunktsetzung? «SRF hat über diese Initiative zum Tier und Menschenversuchsverbot berichtet, weil sie bisher relativ wenig beachtet wurde. Sie war Thema in den Kommissionen für Wissenschaft, Bildung und Kultur WBK. Darum sind wir darauf gestossen. Unser Hauptanliegen war es, die Initiative verständlich vorzustellen», meint dazu Gioia da Silva von der SRF-Bundeshausredaktion. Sie hat kürzlich einen Beitrag in der Tagesschau zur Initiative erstellt und begründet die Fokussierung auf Tierversuche unter anderem mit der begrenzten Zeit: «Wir haben die drei Hauptkonsequenzen der Initiative erwähnt.» Die Recherche im Vorfeld habe auch die drastischen Folgen des Importstopps und des Forschungsverbots am Menschen zutage gefördert, doch zum Tierversuchsverbot sei inhaltlich mehr Material vorhanden gewesen.
Damit werden jedoch mediale Schwerpunkte gesetzt, die politische Auswirkungen haben. Wie ein politisches Geschäft in den Medienpräsentiert wird, beeinflusst auch die Erfolgschancen an der Urne. Eine Initiative, die mit einem Importstopp von Medikamenten und einem Forschungsverbot am Menschen verknüpft wird, hat weniger Chancen auf Erfolg als eine Vorlage, die «nur» Tierversuche verbieten will. Hat SRF den Initianten also Schützenhilfe geleistet?
Da Silva widerspricht: «Unser Beitrag hat gezeigt, dass die Initiative auch dem Schweizer Tierschutz zu weit geht. Ebenso erhielten die Vertreter der Hochschulen die Gelegenheit, die negativen Auswirkungen der Initiative für den Schweizer Forschungsplatz aufzuzeigen.» Überdies sei die Debatte noch nicht zu Ende. Sie betont aber auch: «Welchen Schwerpunkt ein Bericht haben wird, entscheidet sich jeweils im Vorfeld bei der Recherche.»
Könnten mehr Informationen zum Importstopp von Medikamenten und zum Forschungsverbot an Menschen also auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass darüber berichtet wird? Womöglich. Damit das aber geschieht, muss die medizinische und wissenschaftliche Gemeinschaft ihren Beitrag leisten und die dafür notwendigen Informationen proaktiv zur Verfügung stellen.
Stellungnahmen wie jene von Swissuniversities, die stark auf Tierversuche fokussieren, sind diesbezüglich weniger zielführend als Mitteilungen wie jene der «Swiss Clinical Trial Organisation», die das Augenmerk auf das Verbot der Forschung am Menschen und den medizinischen Produkten legt. Wenn Medienschaffende diese Aspekte stärker wahrnehmen sollen, müssten sie insbesondere auch Ärzte- und Patientenorganisationen zu Wort kommen lassen.
Antworten auf häufige Fragen zur Forschung mit Tieren und Menschen finden Sie in den Themendossiers «Tierversuche in der Schweiz (FAQ)» und «Forschung mit Menschen (FAQ)».
Die Forschungs- und Medizinverbotsinitiative ist freilich nur eines von mehreren aktuellen Beispielen für das zwiespältige Verhältnis der Wissenschaften mit den Medien. Bei gesellschaftlich umstrittenen Themen wie Impfungen oder Klimawandel hängen viele Medienschaffende einer falsch verstandenen Vorstellung von «Ausgewogenheit» nach. Eine kleine, aber lautstarke Minderheit, die Impfungen für gefährlich hält oder den menschengemachten Klimawandel leugnet, erhält dadurch ein ähnliches Gewicht in der Berichterstattung wie der wissenschaftliche Konsens zu diesen Fragen. Die Faktenlage wirkt damit medial viel umstrittener, als sie es tatsächlich ist.
Hinzu kommt, dass manche Medienschaffende Mühe bekunden, den aktuellen Forschungsstand korrekt einzuordnen. Die Kommunikationswissenschaftlerin Senja Post zeigte jüngst auf, dass Artikel zum Klimawandel in den grossen deutschen Medienhäusern bevorzugt jenen Forschenden eine Plattform bieten, die klare Positionen einnehmen. Und weiter stellte sie fest, dass bestehende wissenschaftliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel oft falsch wiedergegeben werden.
Auch die Unsicherheiten im Zusammenhang mit der biomedizinischen Forschung werden medial verzerrt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die laufende Berichterstattung über die COVID-19-Epidemie, wo die Schlagzeilen zwischen Verharmlosung und Alarmismus mäandrieren. Wohl auch deshalb versuchen Gesundheitsbehörden und wissenschaftliche Organisationen proaktiv gegen Desinformation vorzugehen.
Wie stiefmütterlich wissenschaftliche und technologische Expertise in den Medien oftmals behandelt wird, zeigt auch die laufende Diskussion über die Einführung der Netzwerktechnologie «5G» in der Schweiz. Differenzierte Auseinandersetzungen wie im Tech-Podcast der «Republik» sind die Ausnahme, Formate wie die auf Emotionen und Konfrontation getrimmte «5G»-Arena im Schweizer Fernsehen leider die Regel.
Ausgetragen wird die Debatte zwischen den Fürsprecherinnen der erhofften wirtschaftlichen Chancen einerseits und den Warnern vor angeblichen Gesundheitsrisiken andererseits – obschon diese nach dem heutigen Kenntnisstand bei den geplanten 5G-Frequenzen und den dazugehörigen Schweizer Grenzwerten inexistent sind.
Dabei bestünden durchaus realistische Risiken im Bereich der IT-Sicherheit, etwa in Form einer erhöhten Instabilität des Systems bei ansteigender Vernetzung oder in Form von absichtlich oder unabsichtlich platzierten Sicherheitslücken in der IT-Infrastruktur. Im medialen Getöse geht das aber weitgehend unter.
Dabei können solche Lücken erheblichen Schaden anrichten – nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Gesundheit von uns Menschen. Man stelle sich nur vor, Hacker verschaffen sich Zugang zu den IT-Systemen eines Spitals. Eine Gefahr, die bereits heute besteht und die sich mit zunehmender Vernetzung durch 5G und den Sicherheitslücken in der dazugehörigen Infrastruktur verschärfen wird.
Dass Menschen sich mehr für Gesundheits- als für Sicherheitsrisiken interessieren, ist indes verständlich. Die Art und Weise, wie Menschen ohne Fachexpertise Risiken wahrnehmen, wird in der psychologischen und soziologischen Forschung seit Längerem untersucht.
Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere die subjektive Furcht, die eine bestimmte Gefahr auslösen kann, wie auch die vermuteten Unsicherheiten in Bezug auf diese Gefahr entscheidend sind für die Einschätzung eines Risikos. Menschen versuchen besonders jene Gefahren zu vermeiden, die sie als unkontrollierbar, katastrophal, furchteinflössend, schwierig abzuwenden, unfreiwillig oder gefährlich für das eigene Leben oder zukünftige Generationen betrachten («Furchtpotential») sowie solche, die sie als unbekannt, neu oder schwierig zu beobachten wahrnehmen («Unsicherheitspotential»).
Auf ein behauptetes Krebsrisiko durch 5G-Strahlung reagieren deshalb viele Menschen ängstlicher als auf tatsächliche Sicherheitslücken bei der Verwendung von 5G. Im ersten Fall ist die Gefährdung zwar nicht nachgewiesen, betrifft aber unser körperliches Wohlergehen und ist unfreiwillig. Im zweiten Fall ist die tatsächliche Eintretenswahrscheinlichkeit sehr viel grösser, doch das damit verbundene Risiko wirkt bis zu einem gewissen Grad freiwillig und es besteht keine direkte Gefahr für Leib und Leben.
Hinzu kommt, dass Gesundheit emotional klar besetzt ist: Niemand will krank werden, alle wollen gesund bleiben. Gleichzeitig sind behauptete Auswirkungen auf die Gesundheit notorisch schwer zu beweisen oder zu widerlegen – ein optimaler Nährboden für Angstmacherei und Heilsversprechen fernab jeder Realität. Technische Sicherheitsrisiken sind demgegenüber zwar leichter nachzuweisen, aber in der Regel viel abstrakter und damit weniger klar mit einer konkreten Schädigung verbunden. Wenn ich für alle Dienste, die ich im Internet nutze, das gleiche Passwort verwende, ist das ein enormes Sicherheitsrisiko. Einen konkreten Schaden habe ich aber erst, wenn sich Unbefugte Zugang zu meinen Nutzerkonten verschaffen.
Eine Untersuchung in Deutschland zeigte, dass die Befragten abstrakte Szenarien wie Datendiebstahl als wahrscheinlich betrachteten, aber nicht als besonders schwerwiegend. Als die Forschenden das Szenario konkretisierten und mit einer fassbaren Schädigung verknüpften, die sich aus dem Datendiebstahl ergeben könnte, wie zum Beispiel Stalking oder Einbruch, kehrte sich die Einschätzung um: Die Befragten schätzten das Risiko als schwerwiegender, aber dafür weniger wahrscheinlich ein. Eine andere Untersuchung zeigte, dass digitale Risiken in den Hintergrund traten, sobald «realer» wirkende Gefahren mit ins Spiel kamen.
Den Medien käme eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung solcher schwer fassbarer Risiken zu. Anstatt vorhandene Emotionen weiter anzuheizen, sollten sie dabei helfen, diese korrekt einzuordnen und den Durchblick zu behalten. Das heisst nicht, dass Emotionen ignoriert werden sollen. Es kann durchaus rational sein, auf eine neue Technologie erst einmal vorsichtig oder sogar ängstlich zu reagieren. Doch wenn uns emotionale Reaktionen den Blick auf andere, weniger offensichtliche Chancen und Risiken verstellen, dann ist eine rationale Einschätzung der Situation nicht mehr möglich.
Medienschaffende könnten hier Orientierung schaffen und uns dabei helfen, das zu sehen, was wir im Tumult der Debatte zu übersehen drohen. Im Falle von 5G hiesse das, die behaupteten Gesundheitsrisiken korrekt einzuordnen und neben den erhofften wirtschaftlichen Vorteilen auch die vorhandenen Sicherheitsrisiken kritisch zu thematisieren. Im Falle der Forschungs- und Medizinverbotsinitiative bedeutete es, sich nicht ausschliesslich auf das Thema «Tierversuche» zu stürzen, sondern auch zu thematisieren, dass eine Annahme der Initiative unmittelbare negative Folgen für Patientinnen und Patienten hätte.
Beispiele für eine einordnende statt emotionalisierende Berichterstattung gibt es durchaus in den Schweizer Medien. Trotz Budgetkürzungen unterhalten sowohl das Schweizer Radio und Fernsehen SRF, Tamedia und die NZZ-Gruppe eigene Wissenschaftsredaktionen. Sendungen wie «Einstein», «Puls» oder das «Wissenschaftsmagazin», sowie die Ressorts «Wissenschaft» der NZZ, respektive «Wissen» der «NZZ am Sonntag» oder der Tamedia-Zeitungen schaffen in der Regel den Spagat zwischen Publikumsnähe und wissenschaftlicher Korrektheit. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung wissenschaftlicher und technischer Themen.
Die Arbeit der Wissenschaftsredaktionen kann ihre volle Wirkung aber nur dann entfalten, wenn sie auch von den Kolleginnen und Kollegen in den anderen Ressorts zur Kenntnis genommen wird. Wenn diese aber vor allem jenen Stimmen eine Plattform bieten, die aus wirtschaftlichen, politischen oder dogmatischen Gründen gezielt wissenschaftliche Fakten untergraben, dann fallen sie damit dem Wissenschaftsressort in den Rücken.
Verantwortlich für die mediale Misere im Umgang mit Wissenschaft sind freilich nicht nur die Journalistinnen und Journalisten, sondern auch der Medienwandel der vergangenen Jahre. Die damit zusammenhängenden Sparmassnahmen treffen die Wissenschaftsressorts mitunter am stärksten.
So erodiert die dringend notwendige Expertise für die korrekte Einordnung wissenschaftlicher Fakten. Hinzu kommt, dass die Berichterstattung über politisch brisante Fragen nur selten im Wissenschaftsteil, sondern vor allem im Inland-Ressort oder im Feuilleton stattfindet. Dort gibt es zwar ein feines Gespür für die politischen und gesellschaftlichen Aspekte einer Debatte, aber in der Regel fehlt die wissenschaftliche Expertise (oder die Zeit und das Netzwerk, um sich diese anzueignen), um zwischen irreführendem «Bullshit» (nach Harry Frankfurt) und seriösen Einwänden zu unterscheiden.
In die Bresche zu springen versuchen viele: Die Universitäten mit ihrer Wissenschafts-PR, die aber in erster Linie die Vermarktung der eigenen Institution zum Ziel hat; private oder öffentliche Think-Tanks, die mit ihrer Arbeit aber nur selten die breite Bevölkerung erreichen; und neue Publikationsorgane wie das Deutschschweizer Online-Magazin «Higgs» oder «Heidi News» in der Westschweiz, die den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf wissenschaftliche Themen legen, aber damit nur beschränkten politischen Einfluss oder mediale Reichweite erzielen.
Gegen «Händler des Zweifels», die gezielt wissenschaftliche Fehlinformationen verbreiten oder die Debatte auf irrelevante Nebenschauplätze verschieben möchten, haben solche Nischenpublikationen kaum eine Chance. Komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge bleiben damit oft auf knallige Schlagzeilen oder täuschendes Halbwissen in den grossen Medien reduziert; die gesellschaftliche und politische Debatte ist gefangen zwischen inhaltlicher Irrelevanz und bewusster Irreführung.
Das ist kein neues Problem, doch die erwähnten Entwicklungen in der Medienbranche akzentuieren es. Diejenigen, die differenziert einordnen könnten, werden nicht gehört, während jene, die gehört werden, nicht über die Fähigkeiten oder den Willen zur Einordnung verfügen.
Eine Stärkung des Wissenschaftsjournalismus wäre eigentlich angezeigt. Wenn die (Massen-)Medien ihrer Rolle als «Vierte Gewalt» gerecht werden wollen, werden sie nicht umhinkönnen, der seriösen Einordnung wissenschaftlicher Fakten grösseres Gewicht zu schenken. Denn der Einfluss von Wissenschaft und Technik auf unser Leben wird nicht kleiner werden; die damit zusammenhängende Komplexität erst recht nicht. Umso wichtiger sind mediale Akteure, welche diese Komplexität wirksam kontextualisieren und einem breiten Publikum vermitteln können.
Den Original-Artikel gibt es hier zu lesen.
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