Wasserstoff in der Schweiz. Wo stehen Politik und Wissenschaft?

Ist Wasserstoff ein wichtiger Energieträger der Zukunft oder nur ein Hype? Wir zeigen auf, welche Vorschläge die nationale Politik aktuell beschäftigen und welche offenen Fragen die Wissenschaft beantworten muss.

Einleitung

Wasserstoff kann ein Puzzle-Stück im Klimaschutz werden - als Verbindung zwischen erneuerbaren Stromproduktion und Anwendungen, bei welchen eine Elektrifizierung nur unter prohibitiv hohen Kosten möglich ist. Vielversprechend ist eine Nutzung von Wasserstoff insbesondere in Schwerverkehr und Industrie, wo die Energiedichte von erneuerbaren Energien nicht hoch genug ist oder nicht entsprechende Temperaturen erreicht werden können.

Doch die Vorstellungen, welche Rolle Wasserstoff im Energiesystem der Zukunft spielen soll, gehen politisch weit auseinander. Die potenziellen Einsatzbereiche sind breit: von Verkehr über industrielle Nutzung bis hin zur Energiespeicherung. Die hohe Komplexität des Wasserstoff-Systems ist ein Paradebeispiel eines herausfordernden Wissenstransfers und Gesetzgebungsprozesses.

Im Hinblick auf die Ende Mai 2022 beginnende Sommersession des Parlaments gibt dieses Papier einen Überblick über Vorlagen zu Wasserstoff, mit welchen sich Bundesbern aktuell beschäftigt (Teil 1). Im zweiten Teil erklären wir, wie sich die politischen Geschäfte in den grösseren Kontext einordnen lassen und welche Forschungsfragen sich daraus für die Wissenschaft ableiten. Zum Schluss illustrieren wir am Beispiel von Wasserstoffimport und des Transportsektors, welche politischen Fragen in den nächsten Monaten und Jahren beantwortet werden müssen (Teil 3).

Beschreibung der Technologie (klicken, um auszuklappen)


Wasserstoff-Produktion

In Diskussionen ist unter anderem von grauem, grünem, rosa oder blauem Wasserstoff die Rede. Die Wasserstoff-Farben haben jedoch nichts mit dem Gas per se zu tun, sondern beziehen sich auf das Herstellungsverfahren.

Als grüner Wasserstoff wird Wasserstoff bezeichnet, der durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt wird. Für eine grüne Klassifizierung muss der benötigte Strom aus erneuerbaren Quellen wie Windkraft oder Solar stammen. Von rosa Wasserstoff spricht man, wenn zur Durchführung der Elektrolyse Strom aus Kernkraft verwendet wird.

Grauer Wasserstoff wird via Dampfreformierung aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas, Kohle oder Öl erzeugt, wobei grosse Mengen an CO2 entstehen. Blauer Wasserstoff wird ähnlich hergestellt wie grauer, wobei das entstandene CO2 jedoch via Carbon Capture and Storage-Technik (CSS) unterirdisch gelagert wird.

Weil die Menge an erneuerbarem Strom noch niedrig ist, ist grüner Wasserstoff momentan nur beschränkt verfügbar. Entsprechend könnte blauer Wasserstoff als Brückentechnologie dienen – also während einer Übergangszeit genutzt werden – bis genügend grüner Wasserstoff verfügbar ist. Das Problem mit blauem Wasserstoff besteht darin, dass aufgrund von Methanverlusten und limitierter Prozesseffizienz die Emissionen hoch sind. Somit stösst blauer Wasserstoff immer noch mehr Treibhausgase aus als das Erdgas, welches er ersetzen soll.

Adaptiert von chem4us

Wasserstoff-Nutzung

Wasserstoff kann nach der Produktion transportiert werden, z.B. via umgerüsteten Pipelines oder über längere Strecken auf dem Seeweg. Zudem ist es möglich, Wasserstoff durch chemische Reaktionen in E-Fuels umzuwandeln.

Die Einsatzbereich von Wasserstoff bzw. den daraus gewonnen E-Fuels sind sehr divers: Derzeit wird Wasserstoff auch ins bestehende Erdgasnetz eingespeist – was in den kommenden Jahren wahrscheinlich weiter zunehmen wird. Am sinnvollsten ist nachhaltiger Wasserstoff in Bereichen, in denen heute bereits aus Erdgas gewonnener grauer Wasserstoff eingesetzt wird (z. Bsp. für Ammoniak oder Dünger). Weiter kann nachhaltiger Wasserstoff in Bereichen genutzt werden, wo eine Elektrifizierung schwierig ist (z.B. bei Hochtemperatur-Prozessen). E-Fuels können aber auch für den Kerosinersatz im Flugverkehr in Frage kommen.

Da bei der Umwandlung von Wasserstoff ein Energieverlust entsteht, ist eine direkte Stromnutzung in vielen Fällen zu bevorzugen. Dies zeigt sich exemplarisch beim motorisierten Individualverkehr, bei welchem Elektroautos eine Gesamteffizienz von 77% aufweisen, hingegen jene von Wasserstoff nur bei 33% liegt. Auch in Prognosen für 2050 steigt die Effizienz von Wasserstoff-Antrieben lediglich auf ungefähr 42 %.

Preis und Verfügbarkeit

Aktuell sind die Kosten der Produktion von grünem Wasserstoff immer noch sehr hoch: Während grauer Wasserstoff 1.6 CHF/kg und blauer ca. 2.3 CHF/kg kostet, ist grüner Wasserstoff mit 7.3 CHF/kg wegen der benötigten Elektrolyse von Wasser um einen Faktor drei teurer (Daten von 2019). Im Vergleich dazu: die entsprechende Energiemenge aus Erdgas kostete ca. 0.7 CHF. Gemäss Prognosen wird sich das Preisverhältnis zwischen grünem und blauem Wasserstoff bis 2030 auf ca 1.5 bis 2 reduziert.

Da grauer und blauer Wasserstoff aus Erdgas hergestellt werden, sind deren Preise abhängig vom Erdgaspreis. Der rapide Anstieg der Erdgaskosten in den letzten Monaten, unter anderem durch den Ukraine-Krieg ausgelöst, erhöht die Attraktivität von grünem Wasserstoff im Vergleich zu grauem und blauem Wasserstoff.

Teil 1: Ausstehende Geschäfte

Lancierung des Themas

Insgesamt ist die Haltung zu Wasserstoff beim zuständigen Bundesamt für Energie (BFE) eher zurückhaltend: «Es gibt einen Hype um Wasserstoff», sagt deren Sprecherin Marianne Zünd. 2017 legte das BFE in einem Positionspapier dar, dass keine klaren Vorstellungen zur Rolle von Wasserstoff in den nationalen Energieszenarien bestehen.

Kritik an dieser Position äusserte Maja Riniker (FDP) im Frühjahr 2021 in einer Interpellation. Riniker beanstandet, dass das Potential von Wasserstofftechnologien zu wenig auf dem Radar des Bundes ist. Ausgelöst durch Vorstösse aus der SP (Motion von Gabriela Suter) und der Mitte (Postulat von Martin Candinas) hat der Bund unterdessen begonnen, ein nationales Wasserstoff-Strategiepapier auszuarbeiten (voraussichtliche Veröffentlichung 2023). Klärungsbedarf bestünde beispielsweise beim Speicherpotential in der Schweiz und bei verbindlichen Nachhaltigkeitsregeln, z.B durch eine Maximalgrenze an Emissionen für die Klassifizierung von Wasserstoff als grün.

Kommissionsmotion UREK

Am 1. April 2022 hat die Ständerats-Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK-S) eine Kommissionsmotion beschlossen, mit welcher sie den Bundesrat beauftragt, konkrete Vorschläge zur Wasserstoffversorgung auszuarbeiten. Die Motion bezieht nicht nur grünen Wasserstoff mit ein, sondern betont explizit, dass auch andere “Farben” für die Versorgungssicherheit genutzt werden sollten. Alternativen zu grünem Wasserstoff sind laut der Kommission nötig, da dieser in den nächsten Jahrzehnten auf dem Weltmarkt noch nicht in genügender Menge angeboten werden wird. Die Motionen von Gabriela Suter und der UREK-S werden am 31. Mai 2022 von beiden Kammern des Parlaments diskutiert.

Ausgewählte weitere Geschäfte

In den letzten Monaten sind neben den Vorlagen von Suter, Candinas und der UREK zwei weitere Vorstösse zur Nutzung von Wasserstoff eingereicht worden. Diese zwei werden hier exemplarisch vorgestellt. Ausgewählt wurden Geschäfte, welche seit Sommer 2021 eingereicht wurden und Stand April 2022 noch hängig sind.

Geschäft 1: Solarstrom in synthetische Gase umwandeln, um ihn zu speichern

Eine Motion von Cattaneo Rocco (FDP) zielt auf eine Stärkung der Produktion von Wasserstoff ab. So soll der Bund ein technologiespezifisches Anreizsystem aufstellen, welches die Umwandlung von Solarstrom in synthetische Gase wie z.B. grünen Wasserstoff fördern soll. Damit könnte Wasserstoff als Energiespeicher dienen.

Die politisch noch nicht geklärte Kernfrage besteht darin, ob und wie Speichermöglichkeiten vergütet werden sollen. Grundsätzlich besteht ein Konsens, dass Energiespeicher wichtig sind für einen saisonalen und täglichen Ausgleich des Strombedarfs. Dabei werden für den täglichen Ausgleich voraussichtlich primär Batterien relevant sein. Zusätzlich bräuchte es eine Anpassung der Nachfrage, sprich der Stromverbrauch sollte besser an die neuen Produktionszeiten adaptiert sein. Aktuell werden vom Staat erneuerbare Stromquellen wie Solarstrom oder Wind gefördert. Wenn für die Herstellung von Wasserstoff Strom verwendet wird, muss jedoch das Stromnetz genutzt werden, wofür in der Schweiz ein Netznutzungsentgelt bezahlt werden muss. Eine mögliche Effizienzstrategie für Wasserstoff ist die Realisation der Produktion direkt auf Arealen von Kraftwerken, damit das Stromnetz wenig belastet wird. Das ist jedoch nicht möglich, wenn Strom dezentral, also in kleinen Mengen an unterschiedlichen Standorten, produziert wird. Dies ist bei Solarenergie und Strom aus Windkraft der Fall.

Eine politische Möglichkeit wäre, Speichertechnologien vom Netznutzungsentgelt zu befreien. So wäre die Nutzung des Stromnetzes zwischen Stromproduktion (z.B. durch Solarpanels) und Elektrolyse-Standort gratis. In seiner Antwort auf die Motion Rocco erachtet der Bundesrat eine generelle Befreiung vom Netznutzungsentgelt jedoch nicht als produktiv, da die Kosten stattdessen von den anderen Endverbraucher getragen werden müssten.

Geschäft 2: Flächendeckendes Wasserstofftankstellennetz bis 2025 in der Schweiz aufbauen

Andreas Gafner (EDU) forderte im Dezember 2021 in einer Motion, dass der Bund die Finanzierung von Wasserstoff-Tankstellen vorantreiben sollte. Aktuell sind schweizweit nur acht solcher Tankstellen in Betrieb, zentriert in den Siedlungsgebieten in der Deutsch- und Westschweiz. Die Infrastruktur müsse gemäss der Vorlage bis 2025 auf 100 Tankstellen ausgebaut sein, um die Planungssicherheit in der Transportbranche zu erhöhen und eine nationale Harmonisierung anzustreben.

Unterstützt wird die Idee eines nationalen Wasserstoff-Tankstellennetzes auch von einzelnen Kantonen (z. Bsp. Bern). Diese Motion bezieht sich explizit auch auf PKWs (Personenkraftwagen). Bei diesen erlaubt eine Elektrifizierung allerdings eine höhere Energieeffizienz als ein Wasserstoff-Antrieb. Somit bleibt fraglich, wie sinnvoll eine parallele staatliche Förderung von Ladestationen für Wasserstoff-Fahrzeuge und elektrische Fahrzeuge ist (siehe auch Wasserstoff und direkte Stromnutzung).

International: Politische Kontroversen um die Rolle der fossilen Industrie

International äussern einige NGOs den Vorwurf, dass die Nutzung von Wasserstoff eine Strategie von fossilen Energiefirmen sei, die Elektrifizierung des Energiesystems zu verzögern. Das Corporate Europe Observatory stellt fest, dass die Wasserstoff-Industrie für fossile Unternehmen besonders interessant ist, da diese ihre Kompetenzen in Produktion, Lagerung und Lieferung von Energieträgern direkt auf Wasserstoff übertragen können. Auch der Einsatz von blauem Wasserstoff als Brückentechnologie ist für die fossile Industrie besonders lohnenswert, da die Erdgas-Nutzung bestehen bliebe.

Teil 2: Herausforderungen für die Wissenschaft

In diesem Abschnitt ordnen wir die aktuellen politischen Debatten in den grösseren Kontext ein und machen Vorschläge, bei welchen Fragen die Wissenschaft Entscheidungsträger:innen unterstützen kann (hervorgehobene Passagen).

Technologische Herausforderungen

Die Forschung in der Schweiz ist aktiv in die Entwicklung neuer Wasserstoff-Technologien involviert, insbesondere im Bereich der ETH (Paul Scherrer Institut, Empa und EPFL). Technologische Herausforderungen bestehen aktuell darin, die vielversprechendsten Verfahren zur Wasserstoff-Herstellung auf höhere Kapazität auszubauen und die Reduktion von kritischen Rohmaterialien wie Platingruppenmetalle anzustreben.

Sektorenübergreifende Regulation

Eine effiziente Nutzung von Wasserstoff ist nur sinnvoll, wenn übergreifend mehrere Sektoren gleichzeitig geregelt werden. Dies bedeutet, dass nicht nur geeignete Rahmenbedingungen für die Nutzung von Wasserstoff nötig sind, sondern eine Kopplung von Stromproduktion, Umwandlung in Wasserstoff und Transport vorhanden ist. Die Forschung kann helfen, die gegenseitige Interaktion von Regulierungen und Fördermassnahmen in den unterschiedlichen für Wasserstoff relevanten Sektoren zu analysieren und potentielle Ineffizienzen zu identifizieren.

Unklar ist zudem die zukünftige Preisentwicklung der Wasserstoffproduktion. Eine Möglichkeit zur Preissenkung besteht darin, Skaleneffekte zu nutzen. Dazu notwendig sind grossangelegte Produktionsstätten von Wasserstoff, welche mit verschiedenen Nutzungsstandorten (wie Industriegebiete oder Städte) verknüpft sind. Verstärkter Wasserstoffbedarf gibt wiederum die Möglichkeit, die Produktion zu vergrössern und dadurch Kosten zu senken. Umgesetzt werden könnte die Elektrolyse von Wasser sowohl in der Nähe der Produktionsstandorten für erneuerbare Energie (z.B. Windparks) oder in der Nähe von grossen Lager- oder Nachfrage-Standorten – je nachdem wird das Strom- oder Wasserstofftransport-Netz mehr oder weniger stark beansprucht. Notwendig sind Berechnungen, ob und in welchem Ausmass Skaleneffekte zur Preisreduktion von Wasserstoff in der Schweiz möglich sind und wo eine zentralisierte Infrastruktur zur Wasserstoffproduktion angesiedelt werden könnte.

Wasserstoff und direkte Stromnutzung

Gibt es andere sinnvolle direkte Einsatzbereich für nachhaltig produzierten Strom, sollte dieser demzufolge nicht für die Produktion von Wasserstoff eingesetzt werden. Konkret bedeutet das für die Schweiz, dass grüner Wasserstoff nur sinnvoll ist, wenn ein Überschuss an erneuerbarer Stromproduktion vorhanden ist. Im aktuellen Ausbautempo der erneuerbaren Energien kann der Bedarf an grünem Wasserstoff in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht gedeckt werden. 

Die direkte elektrische Nutzung ist immer die beste (siehe oben). Wenn jedoch keine andere Nutzung oder Speicherung der elektrischen Energie möglich ist, sind auch die niedrigen Wirkungsgrade von Wasserstoff-Elektrolyse unter Umständen wünschenswert. Aufgrund der Speicherfähigkeit von Wasserstoff kann dessen Produktion als pufferndes Element in der erneuerbaren Elektrizitätsproduktion eingesetzt werden (Verwendung von «Überschussstrom»). Wie sinnvoll Wasserstoff ist, hängt somit stark vom Ausbautempo der Erneuerbaren und der Verfügbarkeit von alternativen Speichermöglichkeiten ab.

Aktuelle Energieszenarien unterscheiden sich in den Annahmen zur Wasserstoffnutzung und erreichen dadurch unterschiedliche Resultate zum Nutzen von Wasserstoff. Demzufolge braucht es ganzheitlich integrierte Lebenszyklen-Analysen der verschiedenen Wasserstoff-Farben und Anwendungsbereiche basierend auf der zukünftigen Schweizer Stromproduktion und Verbrauchsstrukturen. Zudem sind Methoden notwendig, mit welchen die  Emissionen der Wasserstoffproduktion und Speicherung quantifiziert werden können, so dass eine klare Nachhaltigkeits-Klassifizierung von grünem Wasserstoff möglich wird. 

Es ist somit auch zu prüfen, ob ein Überschuss an grünem Strom aus erneuerbaren Quellen nicht an Nachbarländer verkauft werden sollte anstatt diesen in Wasserstoff umzuwandeln. Dies könnte mehr finanziellen Ertrag liefern als eine landesinterne Speicherung, erfordert jedoch eine enge Partnerschaft und ist von den Handelsabkommen mit der EU abhängig.

Teil 3: Herausforderung für die Politik

Wie im letzten Abschnitt erläutert, gibt es zahlreiche offene Forschungsfragen, wie ein Wasserstoff-System in der Schweiz gestaltet werden könnte. Ergänzend dazu stellen sich eine Reihe von politischen Entscheidungen, wie mit der neuen Technologie umgegangen werden soll. Einige der relevanten Fragen stellen wir hier exemplarisch anhand des Strassentransports und des Imports von Wasserstoff dar.

Strassentransport

Im Vergleich mit anderen Wasserstoff-Anwendungen haben im Strassenverkehr die Energiekosten einen eher geringen Anteil an den Gesamtkosten. Bei Diesel-Lkws macht beispielsweise der Treibstoff weniger als 15 % der Gesamtkosten aus. Dadurch könnte der Transportsektor mit Fokus auf den Schwerverkehr ein attraktiver Einstiegsmarkt für Wasserstoff darstellen. Neue Forschungsprojekte zeigen jedoch, dass batteriebetriebene Lastwagen auch auf längeren Strecken an Wirtschaftlichkeit gewinnen. Wenn Wasserstoff nur lokal verfügbar und nicht weit verbreitet ist, bleibt dieser wahrscheinlich für den Schwerverkehr nur eine teilweise sinnvolle und verfügbare Nischenlösung.

Risiko für Investitionen

Wegen der Unsicherheit über die zukünftige Rolle von Wasserstoff besteht aktuell eine Zurückhaltung für Investitionen in Pilotprojekte im Transportsektor. Momentan besteht ein “first-mover disadvantage”. Dies hemmt die Entwicklung neuer Technologien, könnte aber durch Garantien oder Darlehen vom Staat minimiert werden. Politisch ist jedoch unklar, ob und wie das Risiko für grössere Investitionen reduziert werden soll. Bei Wasserstoff besteht kein politischer Konsens, inwiefern solche Massnahmen zielführend und wünschenswert sind.

Solche Policy-Strategien müssen diskutiert werden, da sogar der aktuell hohe CO₂-Preis nicht hoch genug ist, um eine stabilen Wasserstoff-Nachfrage in den nächsten Jahren via Anreize zu garantieren. Ähnliche Unsicherheiten sind auch im Wärme- und Industriesektor vorhanden: Hemmnis für die Planung ist hierbei vor allem die Frage, wie allenfalls bestehende Gasinfrastruktur genutzt werden kann oder eben nicht.

Import von Wasserstoff

Wegen der komplexen Herstellungs- und Transportinfrastruktur von Wasserstoff wird eine Zusammenarbeit und Koordination mit anderen Ländern unumgänglich sein. Relevant für die Schweiz ist insbesondere die Europäische Union, welche Wasserstoff zu einem zentralen Energieträger erklärt hat. Bei der Zusammenarbeit mit der EU stellt sich die Frage, ob gemeinsame europäische Technologiestandards für Produktqualität und Transport geschaffen werden sollen. Zudem ist offen, wie stark sich die Schweiz an Forschungs- und Investitionsprojekten der EU beteiligen soll und kann. Hier spielen allfällige gemeinsame Abkommen eine wichtige Rolle.

Auch Nordafrika ist durch die geographische Nähe und das Solarstrompotential ein möglicher Anbieter von grünem Wasserstoff. In Nordafrika könnte Wasserstoff günstig hergestellt werden, doch müssten die Transportkapazitäten nach Europa geschaffen werden. Es ist unklar, inwiefern auf potenziell günstigere Wasserstoff-Importe im Gegensatz zur heimischen Produktion gesetzt werden soll. Es steht auch zur Diskussion, ob sich die Schweiz an Infrastrukturprojekten (z.B. zum Transport) beteiligt und wie mit neu geschaffenen Abhängigkeiten umgegangen werden soll.

Auch weiter entfernte Märkte wie beispielsweise Südamerika können für den Import von Wasserstoff relevant werden, da sich dieser per Schiff über länger Strecken transportieren lässt. Dafür müsste ebenfalls die Infrastruktur geschaffen und langfristige Verträge mit den Ländern abgeschlossen werden. Es ist fraglich, ob die potentiellen Exportländer eine solche Produktion stemmen können, ohne dass deren nationale Stromerzeugung vernachlässigt wird.

Zusammenfassung und Ausblick

Politisch ist noch unklar, in welche Richtung die Wasserstoff-Politik der Schweiz geht und ob der Bund den gleichen Fokus auf die Technologie legen wird wie die Europäische Kommission. In der kommenden Sommersession werden Weichen gestellt, ob Wasserstoff zukünftig staatlich gefördert werden soll. Von Seiten der Wissenschaft werden klar gewisse Anwendungen von Wasserstoff priorisiert. Im Parlament hingegen werden je nach politischer Ausrichtung unterschiedliche Sektoren und Förderungsinstrumente bevorzugt. In der Forschung wird die grösste Herausforderung in den nächsten Jahren darin bestehen, die Komplexität des Wasserstoff-Systems zu verstehen und Erfahrungen aus dem Ausland auf die Schweizer Gegebenheiten zu übertragen.

Das Franxini-Projekt baut Brücken zwischen Wissenschaft und Politik, indem es die gesellschaftliche und politische Teilhabe von Wissenschaftler*innen sowie das gegenseitige Verständnis und Vertrauen zwischen Politik und Wissenschaften fördert. Forschende erhalten im direkten Kontakt mit Entscheidungsträger*innen die Möglichkeit zu verstehen, von welcher Art wissenschaftlicher Arbeit diese am meisten profitieren. Politiker*innen lernen im persönlichen Umgang mit Forschenden die Funktion und Funktionsweise wissenschaftlicher Arbeit besser kennen. Das Franxini-Projekt bietet Weiterbildungsmodule, Publikationen, einen Policy Innovation Hub Förderprogramm und organisiert Dialog-und co-creation Anlässe.

Mehr Informationen: www.franxini-projekt.ch

Kontakt: franxini@reatch.ch , Projektleitung: anna.krebs@reatch.ch

Autor*innen

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Franxini-Projekt, Leiter Hive

Luca Schaufelberger ist Co-Leiter des Franxini-Projekts. Er ist verantwortlich für die Konzeptionierung und Weiterentwicklung der Formate des Franxini Hive. Luca forscht an der ETH Zürich an Anwendungen von künstlicher Intelligenz in der Chemie.

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