Krisen Schmid

Mit den Wissenschaften Krisen meistern, bevor sie entstehen: Die Wissenschaft als Teil des gesellschaftlichen Krisenmanagements stärken

Die Wissenschaft verhält sich bei relevanten gesellschaftlichen Krisensituationen nicht rechtzeitig situationsgerecht und kommunikativ richtig. Sie kann darum nicht optimal mithelfen, Krisen aller Art zu meistern oder zu antizipieren. Dies führt zu einer Krise der Rolle der Wissenschaft bei der Vermeidung, Begegnung und Bewältigung von Krisen unterschiedlicher Art.

Die Krisen der letzten Jahre, sei es die Finanzkrise, sei es die Corona-Pandemie oder neustens die Energiekrise sind beredte Zeugnisse des Versagens der Wissenschaft, einen aktiven Beitrag zur Antizipation und zur Bewältigung von solchen Krisen zu leisten. Während bei der Klimakrise die Wissenschaft es immerhin frühzeitig geschafft hat, durch Fakten und Einschätzungen die Sensibilität zu wecken, ist bei den anderen erwähnten kürzlichen Krisensituationen die Wissenschaft eher konfus und widersprüchlich wahrgenommen worden – mit entsprechendem Imageschaden für die gesamte Wissenschaft. Die Rolle der Wissenschaft wird nachstehend somit als Untersuchungsgegenstand analysiert und als zentral für die Bewältigung oder frühzeitige Erkennung von exogenen Krisen betrachtet. In aller Kürze werden hier die wichtigsten Elemente für die Rolle der Wissenschaft bei und in Krisen aufgeführt:

Die Rolle der Wissenschaften in Krisen

Die Wissenschaft braucht antizipative Instrumente zur frühzeitigen Erkennung potentieller Krisen in der Gesellschaft, denen sich die Wissenschaft nicht wird entziehen können. «Hilfreich für die Erkennung des eigenen Krisenpotentials hat sich das Issue-Management erwiesen. Dabei werden die wichtigsten Risiko-Themen aber auch die Chancen-Themen bewertet, die für ein Unternehmen (bzw. hier für die Wissenschaft) in den kommenden 12–24 Monaten von Bedeutung sind. Die Themen werden dabei nach ihrer Bedeutung für das Unternehmen und der Wahrscheinlichkeit, dass sie sich im gesetzten Zeitraum auch tatsächlich manifestieren bzw. aktiv lanciert werden können, in ein Portfolio übertragen. Dieses Issues-Portfolio wird für das Unternehmen zum „Radarschirm“, der die Einschätzung des Krisenpotentials wesentlich erleichtert, wenn es regelmässig hervorgeholt und die einzelnen Themen bezüglich der Volatilität auf dem „Radar“ verfolgt werden.»[1] 

Die Wissenschaft braucht ausgebildete Krisenmanager:innen, die die für bestimmte Krisen notwendigen Wissenschaftsbereiche und Wissenschafter:innen bezüglich der frühzeitigen Positionierung, Kommunikation und bei der Bewältigung von Krisen berät. Solche Rollen sind entweder in einer landesweiten Stiftung, beim Wissenschaftsrat oder bei den einzelnen Wissenschafts-organisationen anzusiedeln. Zu überlegen wäre hier auch eine erweiterte Rolle von Reatch in diesem Bereich, finanziert durch die Wissenschaftsorganisationen und/oder durch staatliche Mittel.

Diese und viele weitere Ideen werden in der Blogposts Reihe zum Reatch Ideenwettbewerb 2022 präsentiert.

Die Wissenschaft braucht Erkennungsmuster, die frühzeitig auf potentielle Krisen hinweisen und im Falle des Eintretens der Krise rasch die richtigen Massnahmen erkennen lässt. Jede Krise ist zwar einzigartig. Dennoch gibt es Muster, die regelmässig auftauchen. Sie zu kennen, hilft bei der Vorbereitung und der systematischen Analyse. Für solche Einschätzung von Risiken gibt es bewährte Vorgehensweisen: «Wenn Krisen also oft zu spät oder nicht in ihrer Tragweite erkannt werden, stellen sich Fragen, wie denn die Eintretenswahrscheinlichkeit oder das Schadenspotential von Risiken beurteilt werden kann im Hinblick auf Vermeidung von Krisen».[1]

Die Wissenschaft braucht ein Know-how zur zielgruppengerechten Krisenkommunikation. Dabei muss die Wissenschaft ihre eigene Rolle kritisch hinterfragen und sich auf die Rolle der Wissenschaft beschränken. Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, politische Entscheide zu definieren. Die Rektorin der Universität Freiburg sagt zur Rolle der Wissenschaft in Krisensituationen klar: «Ich halte es für einen grober Fehler, von der Wissenschaft zu erwarten, sie solle uns jetzt sagen, was wir tun sollen. Das ist nicht ihr Job. Die Wissenschaft soll die Grundlagen erarbeiten, soll Wahrscheinlichkeiten und Risiken aufzeigen, aber es ist an der Politik, die Abwägungen vorzunehmen und dann Massnahmen zu treffen.»[2]

Die Wissenschaft muss sich der Reputationswirkung ihres Verhaltens und ihrer Aussagen in Krisensituationen bewusster werden. Jede Krise ist auch eine Herausforderung für die Art und Weise der Kommunikation und letztlich des Reputations-managements.[3] Die Wissenschaft muss die Frage der Glaubwürdigkeit als eigene Aufgabe begreifen und darf sich nicht wundern, wenn ihre Reputation durch andauernde Fehler in gesellschaftlichen Krisensituationen derart in Mitleidenschaft gezogen wird, dass ihre Bedeutung für die Gesellschaft in Frage gestellt wird. Dabei ist auch das Phänomen der «Vernunftspanik» einzubeziehen, das Sacha Lobo beschreibt. Er versteht darunter die überdrehte Stufe von tatsächlich sinnvollem Handeln. «Vernunftpanik ist der Abschied vom eigentlichen Wesen der Vernunft, nämlich dem Abwägen zwischen verschiedenen Werten. Was aufgegeben wird zugunsten des plakativsten Handelns. (…) Wenn Vernunft bedeutet, ein brennendes Haus zu löschen, heisst Vernunftpanik, sicherheitshalber auch einen Stausee um das Haus zu fluten.»[4] Leider fallen immer wieder Wissenschafter in diese Falle und bleiben nicht beim «Wesen der Vernunft» bei ihren Rat-Schlägen.

Fazit

Die Umsetzung der Gedanken in diesem Essay ist nicht einfach und bedingt ganz klar ein Konzept, das eine breite Zahl von Akteuren und Stakeholdern einbezieht. Die Frage: Wer hilft dabei ist so zu beantworten. Erfolgsversprechend dürfte das gegenwärtig hohe Problembewusstsein sowohl bei der Wissenschaft wie auch bei den relevanten gesellschaftlichen Akteuren und Opinion Leaders von Politik bis Wirtschaft sein, das nach den kürzlichen und aktuellen Krisen klar aufzeigt, dass von der Wissenschaft mehr erwartet werden muss bezüglich ihres Beitrages zur Krisenprävention und -bewältigung. Vorzuschlagen wären explorative Gespräche mit den Wissenschaftsorganisationen, dem Wissenschaftsrat, der Bundeskanzlei (als verantwortliche Stelle des Bundes für generelle Krisensituationen), dem Staatssekretariat für Bildung und Forschung, von swissuniversities (Rektorenkonferenz der Schweizer Hochschulen) und dem Schulrat, aber auch unter Einbezug von think tanks wie Avenir Suisse oder Wirtschaftsverbänden wie die economiesuisse etc. Das Ziel müsste sein, eine Organisation oder Stiftung zu schaffen, die einerseits die erwähnten Mankos der Wissenschaft adressiert und aktiv angeht und andererseits selber in der Erkennung und Prävention von Krisen als Partner auftreten kann.

Auch dieses Jahr suchen wir im Rahmen des Ideenwettbewerbs wieder deine Ideen für die Zukunft!

Das Bewerbungsfenster für den diesjährigen Reatch Ideenwettbewerb ist geöffnet und wir suchen Ideen, wie die Wissenschaften mit der Politik, der Wirtschaft oder der Zivilgesellschaft in den nächsten 175 Jahren gemeinsam Herausforderungen unserer Gesellschaft meistern können.

Alle Informationen zum Ideenwettbewerb 2023 findest du hier.

Literatur

[1]

Victor Schmid: Krisenmanagement beginnt im Aufsichtsrat, in: A. Thießen (Hrsg.), Handbuch Krisenmanagement, Springer Fachmedien Wiesbaden 2013, S. 279.

[2]

Astrid Epiney in Victor Schmid (Hrsg.): Klartext – Schönreden war gestern. Stämpfli Verlag, 2020, S. 201.

[3]

Schmid, V. und Reber, D.: Die Reputation als vernachlässigte Aufgabe des Verwaltungsrats, Neue Zürcher Zeitung, 28. Juni 2012.

[4]

Sacha Lobo: Wider die Vernunftpanik, in: Der Spiegel, 18. März 2020.

Dieser Text ist im Rahmen des Reatch Ideenwettbewerbs entstanden. Um die Krisen von morgen zu meistern, brauchen wir als Gesellschaft Vorstellungsvielfalt als Rüstzeug. Dafür notwendig ist ein gemeinsames Verständnis, aber auch konkrete Ideen und Ansätze, wie Probleme angegangen und gelöst werden können. Dieses Ziel verfolgt der Reatch Ideenwettbewerb. Im Rahmen davon, haben wir nach Ideen gesucht, wie die Wissenschaften zusammen mit Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft die Krisen von morgen meistern können. Denn eine enge und konstruktive Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren ist entscheidend, damit wissenschaftliche Erkenntnisse auch Eingang in politische und gesellschaftliche Lösungen finden. Der Ideenwettbewerb wurde u.a. unterstützt durch die Stiftung Mercator Schweiz, die Gebert Rüf Stiftung und den Schweizerischen Nationalfonds (SNF).

Das Franxini-Projekt: Wir wollen eine Gesellschaft, in der Akteure aus Wissenschaften und Politik zusammenarbeiten, um gesellschaftliche Herausforderungen effektiv zu bewältigen. Dank dem politischen Engagement von Forschenden aus allen Fachrichtungen tragen wissenschaftlich fundierte Ideen zu effektiven Lösungen bei, von denen die ganze Gesellschaft profitiert.

Das Franxini-Projekt ist entstanden auf Initiative der wissenschaftlichen Ideenschmiede «Reatch! Research. Think. Change.» und wird unterstützt von einer Reihe von renommierten Persönlichkeiten aus Wissenschaften, Politik und Gesellschaft und wird gefördert von der Stiftung Mercator, der Gebert Rüf Stiftung, der cogito foundation, der Universität Zürich, dem ETH Rat, der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz und weiteren Partnern.

Autor*innen

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Beirat

Soziologe und Politikwissenschaftler, Partner Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten AG, Präsident Robert Walser Stiftung

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