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Forscher Aktivismus: Gehört zu werden ist nicht genug

Forschende engagieren sich lautstark in politischen Debatten bis hin zu illegalen Sitzblockaden auf Schweizer Autobahnen. Ist das Anmassung oder Bürgerpflicht?

Eine erste Version dieses Texts ist erschienen in den Schaffhauser Nachrichten am 24. Oktober 2022.

Eine Professorin klebt sich mit Klimaaktivist*innen auf eine Berner Autobahnausfahrt, blockiert den Verkehr und wird verhaftet. Nach den Kontroversen um die nationale Covide-19-Taskforce fragt man sich innerhalb und ausserhalb der Forschung erneut: Darf man sich so etwas erlauben als Wissenschaftler*in? Dürfen sich Forschende überhaupt in die Politik einmischen?

Die zweite Frage ist müssig. Natürlich dürfen sie das! Das Recht auf freie Meinungsäusserung steht allen in diesem Land zu, also auch Forschenden. Ob illegale Methoden des zivilen Ungehorsams legitime Mittel sind, um von diesem Recht Gebrauch zu machen, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Pauschal gibt es darauf keine überzeugende Antwort. Es ist deshalb im Einzelfall zu prüfen, ob das politische Anliegen wichtig genug ist, um illegale Aktivitäten rechtfertigen zu können, und ob es nicht auch legale Alternativen gibt, um sich gleichermassen Gehör zu verschaffen.

Nun sind die zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels zweifellos dramatisch genug, um auch Protestaktionen jenseits der Legalität rechtfertigen zu können. Fraglich ist aber, ob es - gerade für Klimaforschende - tatsächlich notwendig ist, das Gesetz zu brechen, um auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam zu machen. Denn grundsätzlich können sich die Wissenschaften in der Schweiz kaum über zu wenig Rückhalt und Aufmerksamkeit in Öffentlichkeit und Politik beklagen.

Gerade naturwissenschaftliche Perspektiven haben einen grossen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs und das politische Handeln. So gross, dass sie kaum grundsätzlich hinterfragt werden. Die Schweiz ist nämlich nicht nur ein Land der Volksentscheide, sondern auch eines der Expertenkommissionen. Wir sind bis jetzt ganz gut damit gefahren, technisch komplexe Aufgaben – von der Stabilisierung des Stromnetzes über die Kontrolle von Strahlenschutzwerten bis zur Zulassung von Medikamenten – an Expert*innen zu delegieren. So fliessen bereits heute eine Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse institutionalisiert und demokratisch legitimiert in die Politik ein.

«Gerade naturwissenschaftliche Perspektiven haben einen grossen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs und das politische Handeln. So gross, dass sie kaum grundsätzlich hinterfragt werden. Die Schweiz ist nämlich nicht nur ein Land der Volksentscheide, sondern auch eines der Expertenkommissionen.»

Natürlich gibt es immer wieder heftige Debatten über verschiedene wissenschaftliche Aussagen oder Empfehlungen. Aber gewichtige Kräfte, die der Wissenschaft grundsätzlich den Kampf angesagt haben, sucht man hierzulande vergeblich: Alle wollen Forschung und Technologie auf ihrer Seite haben, vor allem wenn es der eigenen politischen Sache dient. Die rhetorische Selbstverzwergung, die einige Forschende medial an den Tag legen und mit denen sie ihr politisches Engagement jenseits der Legalität rechtfertigen wollen, verdeckt die diskursive Macht, über die sie verfügen.

Wer sich als Forscher*in politisch einbringt, muss jedoch damit leben können, dass demokratische Entscheide gegen die eigenen Empfehlungen ausfallen. Wissenschaftliche Exzellenz ist schliesslich nicht genug, um politische Legitimation zu schaffen. Um sich diese zu erarbeiten, stehen glücklicherweise zahlreiche legale Mittel zur Verfügung: Von der erwähnten Tätigkeit in politischen Expertengremien über die aktive Mitarbeit in Parteien, politischen Organisationen und Parlamenten bis hin zu Referenden und Initiativen.

Für politisch marginalisierte Gruppen mag ziviler Ungehorsam das einzig verfügbare demokratische Mittel sein, um auf einen Notstand aufmerksam zu machen. Dass das auf Klimaforschende zutrifft, die vor den Konsequenzen des Klimawandels warnen, darf hingegen bezweifelt werden. Sie können ihr Recht auf freie Meinungsäusserung nicht nur ungehindert und institutionell privilegiert ausüben, sondern werden dabei auch noch ziemlich gut gehört.

Gehört zu werden ist jedoch nicht das Gleiche wie bestimmen zu können. Wer in einer Demokratie politische Taten fordert, muss dafür überzeugende Gründe liefern, politische Mehrheiten schaffen und - zumindest in der Schweiz - auch die Stimmbevölkerung überzeugen können. Das scheint bis jetzt nur bedingt gelungen zu sein, wie das knappe Scheitern des CO2-Gesetzes im vergangenen Jahr zeigt. So ärgerlich solche politischen Rückschläge auch sein mögen, so sind sie doch Teil des demokratischen Prozesses. Deshalb ist es demokratisch zumindest fragwürdig, wenn gewisse Forschende auf das Scheitern an der Urne mit illegalen Mitteln des Protests reagieren, obwohl sie über eine Vielzahl von legalen Optionen verfügen, um sich für griffige Klimaschutzmassnahmen einzusetzen.

Autor*innen

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Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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