DALL E 2024 01 29 10 59 53 Neugier

«Für mich ist Forschung dann gut, wenn sie von Neugier getrieben ist»

Der Journalist Rico Bandle erzählt im Interview, warum es anmassend ist, wenn er die Qualität von Forschung kritisiert, und warum sich Forschende dieser Kritik trotzdem stellen müssen.

Servan Grüninger: Herr Bandle, Sie haben in der «Sonntagszeitung» über Projekte des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) berichtet, die Ihrer Meinung nach «fragwürdig» oder «skurril» sind. Was hat Sie motiviert, die Forschungsdatenbank des SNF zu durchforsten?

Rico Bandle: Auslöser war meine Recherche in der Sonntagszeitung zu anti-israelischen Tendenzen an Schweizer Universitäten. Dabei bin ich auf ein Studie gestossen, in der ein Forscher behauptete, Israel würde gezielt Wildschweine als Waffe gegen die palästinensische Bevölkerung einsetzen. Eine Propagandabehauptung, für die belastbare Belege fehlen. Weil die Studie vom SNF gefördert worden ist, habe ich mich gefragt, ob es wohl noch andere fragwürdige oder skurrile SNF-Projekte gibt.

Und warum der Fokus auf die Sozial- und Geisteswissenschaften?

Das hat zwei Gründe: Zum einen habe ich das studiert, d. h. ich verstehe etwas von dieser Forschung. Bei Projekten in der Physik hätte ich hingegen keine Ahnung, was davon zu halten wäre. Was nicht heisst, dass es mich nicht interessieren würde, wenn sich da jemand mit mehr Fachkenntnis die Mühe macht, genauer hinzuschauen. Zum anderen sind geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer anfällig für Moden, für Ideologien, das weiss ich aus meinem eigenen Studium.

Tun Sie Ihrer Zunft da nicht Unrecht? Ich nehme die Geistes- und Sozialwissenschaften als durchaus selbstkritisch wahr. Abgesehen davon ist die naturwissenschaftliche Forschung ebenso Trends unterworfen und sie hat sich immer wieder anfällig auf den Missbrauch durch Ideologen gezeigt.

Ich fände es super, wenn genauso kritisch bei den Naturwissenschaften hingeschaut würde. Dass das weniger geschieht, hat viel mit dem Hintergrund der Journalisten zu tun: Wir kommen fast alle aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es gibt leider viel zu wenige in den Medien, die sich kompetent und kritisch mit naturwissenschaftlichen Themen beschäftigen können, da sprechen Sie einen wunden Punkt an.

Kehren wir zu den Geistes- und Sozialwissenschaften zurück: Ist es nicht anmassend zu sagen, weil Sie Theaterwissenschaft und Soziologie studiert haben, können Sie Projekte aus allen Geistes- und Sozialwissenschaften beurteilen? Ich bin Statistiker mit einem Hintergrund in Biologie, wäre aber nicht dazu in der Lage, Projekte aus der Physik, der Chemie oder der Geografie zu beurteilen. Das sind alles Naturwissenschaften, aber da liegen Welten dazwischen. Wie können Sie da sagen: Ich kann von Literaturwissenschaften über Kunstforschung bis zu den Gender-Studies alles beurteilen?

Es ist tatsächlich anmassend. Ich habe aber versucht, die Projekte nicht zu skandalisieren, sondern sie von der humoristischen Seite zu betrachten, nach dem Vorbild der Ig-Nobelpreise, die jährlich von der Harvard-Universität für jene Projekte verliehen werden, die die Menschen zuerst zum Schmunzeln und dann zum Nachdenken bringen. Das ist jedes Jahr ein unglaublich unterhaltsames Ereignis und an diese Heiterkeit wollte ich anknüpfen.

«Als Theaterwissenschaftler hätte der Autor wissen müssen, dass man zuerst etwas anschauen soll, bevor man darüber schreibt. Eine Zusammenfassung zu lesen genügt nicht.»

Thomas Gartmann ist Musikwissenschaftler an der Berner Hochschule der Künste. Er ärgerte sich über die Oberflächlichkeit, mit der Bandle die verschiedenen Projekte präsentiert habe. Hier geht es zur Reportage.

Viele innerhalb der Forschungsgemeinschaft fanden das gar nicht zum Lachen. Der Artikel würde relevante Forschung unnötig ins Lächerliche ziehen, hiess es.

Ich habe auch viele positive Rückmeldungen aus akademischen Kreisen erhalten, von Leuten, die sich darüber amüsieren konnten und es auch richtig fanden, dass man gewisse Projekte hinterfragt. Das Ganze hat einen durchaus ernsten Hintergrund: Es geht letztlich um Steuergelder, mit denen solche Forschung finanziert wird. Die Menschen haben ein Recht zu erfahren, was damit geschieht, und es ist meine Aufgabe als Journalist, das zu beleuchten. Die Leser können ja nach der Lektüre des Artikels selber auf den Link zu den einzelnen Projekten klicken und herausfinden: «Ist das wirklich so dumm, wie der Bandle das beschreibt, oder ist es vielleicht doch sinnvoll?»

«Es erstaunt mich immer wieder, dass man den Geisteswissenschaften mangelnde Relevanz vorwirft. Bücher, Kunst, Filme, Musik spielen im Alltag vieler Menschen doch eine zentrale Rolle und verhandeln jene Themen, die das Leben ausmachen: Beziehungen und Verlust, Hoffnungen und Ängste, Identität und Fremdheit.»

Die Germanistin Sabine Barben erforscht das Werk von Friedrich Dürrenmatt und weiss: Der Schweizer Weltschriftsteller bietet reichlich Stoff für die wissenschaftliche Forschung. Hier geht es zur Reportage.

Müssten Sie als Journalist dazu nicht mehr Übersetzungsarbeit leisten, damit das klappt? Allgemeiner fragt: Ist es nicht zu viel verlangt, dass jedes wissenschaftliche Projekt so formuliert sein sollte, dass es auch Fachfremde auf Anhieb verstehen?

Bis zu einem gewissen Grad stimmt das. Aber wenn etwas derart verquirlt geschrieben ist, dass ich es auch als studierte Person nicht verstehe, dann hat man sich entweder zu wenig Mühe gemacht, die eigene Forschung verständlich zu machen, oder es ist Scharlatanerie, man macht es komplizierter als nötig, um zu verdecken, dass nichts dahinter steckt.

Damit könnte man aber auch vielen Projekten in den Naturwissenschaften «Scharlatanerie» vorwerfen. Ich zweifle, dass ein x-beliebiges Studium ausreicht, um meine statistische Forschung zu verstehen. Grundsätzlich gefragt: Ist es Aufgabe des Journalismus, den Wert einzelner Projekte zu beurteilen? Es ist ja gerade eines der Erfolgsrezepte der Schweiz, dass man sich auf eine gewisse Arbeitsteilung geeinigt hat: Wir Forscher machen die wissenschaftliche Qualitätsprüfung – die freilich nicht perfekt ist –, aber dafür lasst Ihr uns in Ruhe unsere Arbeit machen, sodass Ihr danach auf das Wissen, das wir schaffen, zugreifen könnt.

Selbst wenn ein guter Zweck dahintersteckt – und das ist beim Nationalfonds und bei einem Grossteil der Forschung in der Schweiz zweifellos der Fall –, müssen wir als Journalisten dennoch hinschauen und fragen können: Läuft alles richtig? Nur weil ein Forschungsprojekt gut gemeint ist, heisst das nicht, dass man keine Kritik üben dürfte.

Einverstanden, aber nach welchen Kriterien? Sie haben auch den mangelnden Bezug einiger Projekte zur Schweiz kritisiert. Warum ist das wichtig? Forschung ist schliesslich international.

Ich finde, wir dürfen schon die Frage stellen: Was bringt uns das? Warum sollen wir etwas mit Schweizer Steuergeldern finanzieren, das keinerlei Bezug hat zur Schweiz?

Die Luft würde dünn für die ETH, wenn Sie nur noch Projekte mit direktem Bezug zur Schweiz durchführen dürfte.

Klar, die Frage kann man sich bei jedem Projekt stellen. Was bringt das der Schweiz, wenn wir irgendwo im Weltall neue Galaxien entdecken? Aber abgesehen davon verlangt auch der Nationalfonds einen Bezug zur Schweiz, einfach auf eine andere Art: Der SNF fördert Projekte von Forschenden in der Schweiz oder mit einem engen Bezug zur Schweiz. Da könnte man sich auch fragen: Warum unterstützen wir nicht Forschung in Entwicklungsländern, wo alles viel weniger kostet als in der Schweiz? Damit wäre das Geld vielleicht sogar effizienter eingesetzt.

Einerseits kritisieren Sie Projekte, die zu unverständlich, zu weit weg von der Praxis sind. Andererseits werfen Sie Forschenden vor, zu nahe dran an gesellschaftspolitischen Debatten, zu aktivistisch zu sein. Mir scheint, als wollten Sie den Fünfer und das Weggli von der Wissenschaft. Forschung kann aber nicht gleichzeitig praxisrelevant und völlig ergebnisoffen sein.

Es ist ein Balanceakt: Wo hört Wissenschaft auf, wo beginnt Aktivismus? Das muss man immer wieder von Neuem aushandeln. Gerade wenn man Steuergelder braucht für seine Forschung, sollte man sich dieser Diskussion stellen und erklären können, warum das, was man tut, wichtig und wissenschaftlich wertvoll ist. Wenn man Mühe hat mit dieser Diskussion, mit Widerspruch, dann muss man vielleicht etwas anderes machen.

«Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, Forschung zu betreiben, die eine bestimmte politische Agenda unterstützt. Vielmehr sehe ich mich als jemanden, die neue, nuancierte Perspektiven bieten und möglicherweise Brücken bauen kann.»

Die Soziologin Madeleine Pape findet, die Medien seien mitschuldig daran, dass sich gewisse Themen öffentlich nicht mehr vernünftig diskutieren lassen. Hier geht es um vollständigen Interview mit ihr (auf Englisch).

Zum Abschluss die wohl schwierigste Fragen: Was zeichnet gute Forschung für Sie aus?

Das ist in der Tat eine schwierige Frage. Denkt nach. Für mich ist Forschung dann gut, wenn sie von Neugier getrieben ist. Und ich freue mich immer darüber, wenn es Forschende schaffen, diese Neugier und ihren Enthusiasmus für die Wissenschaft fassbar zu machen und einem breitem Publikum zu vermitteln.

Über die Person

Rico Bandle ist Redaktor bei der «SonntagsZeitung» und beschäftigt sich hauptsächlich mit kultur- und gesellschaftspolitischen Themen. Er hat in Bern Theaterwissenschaft studiert und als Zirkusartist gearbeitet, bevor er 2004 beim «Blick» seine erste feste Stelle im Journalismus antrat. Von 2008 bis 2011 leitete er das Kultur- und Gesellschaftsressort des neuen Onlineportals Tagesanzeiger.ch/Newsnetz. Danach war er acht Jahre lang Kulturchef bei der «Weltwoche».

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Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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