Antworten auf häufige Fragen zur Forschung mit Tieren und Menschen finden Sie in den Themendossiers «Tierversuche in der Schweiz (FAQ)» und «Forschung mit Menschen (FAQ)».
Der nachfolgende Text wurde ursprünglich als Gastkommentar in der NZZ am Sonntag vom 18. April 2020 publiziert:
Die Vorlage fordert ein Totalverbot im Forschungsbereich, und das gleich in dreifacher Ausführung: Die Rede ist von der Initiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot», die vor einem Jahr eingereicht wurde und nun im eidgenössischen Parlament behandelt wird.
Geht es nach dem Willen der Initianten, so sollen künftig Tierversuche, die Forschung am Menschen und alle daraus entstehenden medizinischen Produkte komplett verboten werden. «Ja zum Forschungs- und Medizinverbot» wäre die treffendere Bezeichnung für die Vorlage.
Bei einer Annahme der Initiative dürften die Schweizer Hochschulen künftig keinerlei Forschung mehr mit Menschen durchführen. Und zwar nicht nur in Medizin und Biologie, sondern auch in der Psychologie, den Sportwissenschaften oder der Verhaltensökonomie. Die weltweiten Spitzenplätze unserer Forschungsinstitute und -unternehmen sowie die dazugehörigen Arbeitsplätze wären Geschichte.
Noch schwerer wiegt das Importverbot für Medikamente, Impfungen oder Implantate. Die Initiative sieht vor, dass keine neuen medizinischen Produkte mehr in die Schweiz eingeführt werden dürfen, die am Menschen oder an Tieren getestet wurden.
Wenn also eine Forschungsgruppe in Deutschland eine neue Therapie gegen Lungenkrebs entwickelt, wären die Patientinnen und Patienten in der Schweiz genauso davon ausgeschlossen, wie wenn Forschende in Japan einen Wirkstoff gegen Depressionen entwickeln. Denn in beiden Fällen müssten die Behandlungen an Tieren und Menschen getestet werden, um Wirksamkeit und Sicherheit zu überprüfen.
Auch bestehende Arzneimittel wären vom Importstopp betroffen: So muss der Grippeimpfstoff jedes Jahre neu entwickelt und damit auch an Mensch und Tier getestet werden.
Der Schweizer Bevölkerung – oder zumindest jenem Teil der Bevölkerung, der es sich nicht leisten kann, für medizinische Eingriffe ins Ausland zu fahren – stünde er künftig nicht mehr zur Verfügung. Ein Grossteil der Schweizerinnen und Schweizer müsste langfristig mit veralteten oder unwirksamen medizinischen Produkten Vorlieb nehmen.
Wie gravierend die Folgen einer solchen Volksinitiative wären, zeigt sich am deutlichsten im Zusammenhang mit der Pandemie, welche die Welt zurzeit im Griff hat. Epidemiologische Untersuchungen mittels Bluttests, wie sie momentan durchgeführt werden, um die Verbreitung von Covid-19 in der Schweiz kennenzulernen, wären künftig unmöglich.
Den hiesigen Forscherinnen und Forschern wäre es ausserdem auch verboten, mit Versuchen an Menschen oder Tieren nach einem Wirkstoff gegen den neuen Erreger zu suchen. Und schliesslich dürften Spitäler, Hausärzte und Apotheken einen solchen Wirkstoff – sollte es ihn jenseits der Grenzen geben – auch nicht importieren. Bei einer Annahme der Initiative wäre die Schweiz künftigen Pandemien damit schutzlos ausgeliefert.
Die direkten und indirekten Folgen der Initiative wären also fatal. Doch bis anhin schenkten weder das Schweizer Fernsehen noch die verschiedenen Online- und Printmedien dem Verbot der Forschung am Menschen oder dem Importverbot von medizinischen Produkten grosse Beachtung. Geht oder ging es um die Initiative, so wird fast ausschliesslich das Tierversuchsverbot thematisiert.
Auch im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise diskutierten Medienschaffende bis anhin die potenziellen Auswirkungen der Initiative nur in Bezug auf die Forschung mit Tieren. Dass auch die Forschung am Menschen und die Einfuhr von Wirkstoffen verboten würde, blieb bisher unerwähnt. Vielleicht geschah dies aus der Überlegung heraus, dass sich mit einem Fokus auf Tierversuche die grössere Kontroverse und mehr Klicks generieren lassen?
Denn eines ist sicher: Ein künftiges Verbot der Forschung am Menschen und ein Importstopp lebensrettender Medikamente ist komplett chancenlos; die Diskussion wäre vorbei, bevor sie richtig begonnen hätte. Ein Verbot von Tierversuchen hätte hingegen durchaus Chancen an der Urne. Das wissen wohl auch die Medienschaffenden.
Eine solch ausschliessliche Ausrichtung auf Kontroversen verengt jedoch die Debatte allein auf das Emotionale. Aus Sicht der politischen Akteure und der Initianten mag das erwünscht sein, weil es ihnen eine Möglichkeit zur Profilierung bietet.
Gerade deshalb sollten Journalistinnen und Journalisten diesem Wunsch gezielt entgegenhalten und nicht Spektakel, sondern Einordnung in den Vordergrund stellen. Dazu gehört, den von den Initianten gewünschten Fokus auf das Verbot von Tierversuchen nicht blindlings zu übernehmen, sondern die Initiative nach dem zu beurteilen, was sie im Kern beinhaltet: ein weitgehendes Verbot von Forschung und Medizin in der Schweiz.
Den Original-Artikel gibt es hier zu lesen.
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