Laut dem Philosophen Karl Popper ist eine Aussage nur dann wissenschaftlich, wenn wir sie so formulieren, dass sie überprüft und – zumindest theoretisch – widerlegt werden kann. Das ist das berühmte «Falsifikationsprinzip».
Widerlegbar bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass jede Aussage auch tatsächlich widerlegt wird. Es heisst bloss, dass sie überprüfbar sein muss.
Lichtnahrung
Ein Beispiel: Wenn ich sage: «Kein Mensch kann sich von Licht ernähren», dann handelt es sich eindeutig um eine widerlegbare Aussage. Es braucht mir nur irgendjemand irgendeine Person zu zeigen, welche ausschliesslich Licht als Nahrungsquelle nutzt, und ich werde anerkennen, dass meine oben gemachte Aussage falsch war.
Wenn ich jedoch sage: «Menschen können sich von Licht ernähren, wenn sie den richtigen Geisteszustand erreicht haben», dann stelle ich eine Behauptung auf, die nicht widerlegbar ist. Egal, wie viele Studien zeigen, dass es so etwas wie Lichtnahrung nicht gibt – ich kann immer behaupten, dass die Teilnehmer der entsprechenden Studien eben «nicht die richtige geistige Einstellung» an den Tag gelegt hätten.
Wilde Behauptungen ohne Konsequenzen
Nicht widerlegbare Aussagen sind aus zweierlei Gründen problematisch. Einerseits kann ich damit alle möglichen Behauptungen aufstellen, ohne jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden:
«Aliens leben unter uns, aber ihre Existenz wird von der Regierung geheim gehalten» oder «Die Welt ist in Wirklichkeit nur einige tausend Jahre alt, doch Gott hat sie bei der Erschaffung bewusst älter erscheinen lassen.»
Andererseits verhindern unwiderlegbare Aussagen auch das Erarbeiten von neuem Wissen. Wenn ich nämlich etwas behaupte, das sich nicht überprüfen lässt, dann weiss ich, dass mich niemand widerlegen kann. Wieso sollte ich mir denn überhaupt die Mühe machen, nach neuen Informationen zu suchen?
Von Nadeln und Zuckerkügelchen
Unwiderlegbare Aussagen zeigen sich aus diesem Grund ausgesprochen «beratungsresistent». Das zeigt sich sehr schön am Beispiel von alternativen Behandlungsformen wie Homöopathie oder Akupunktur, deren theoretisches Grundgerüst zu einem wesentlichen Teil aus nicht widerlegbaren Aussagen besteht.
Dabei geht es gar nicht um die Frage, ob Akupunktur oder Homöopathie wirkt oder nicht. Selbst wenn wir annehmen, dass das Einstechen von kleinen Nadeln oder die Einnahme von Zuckerkügelchen einen medizinischen Nutzen hat, dann stammt die Wirkung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht von der Aktivierung irgendwelcher «Meridiane», die unseren Körper durchströmen, oder von «energetischen Informationen», die in bis zur Unendlichkeit verdünnten Tinkturen gespeichert sein sollen. Andere Erklärungen müssten also her.
Anpassungsresistente Theorien
Trotzdem argumentieren die Vertreter von Homöopathie und Akupunktur immer noch weitgehend gleich wie die Gründerväter ihrer Zunft vor zweihundert beziehungsweise zweitausend Jahren – obwohl sich unser medizinisches und biologisches Wissen seither massiv verbessert hat.
Es scheint jedoch bequemer zu sein, den fehlenden Nachweis von «Meridianlinien» oder «feinstofflichen Energieträgern» darauf zurückzuführen, dass wir solche Dinge «eben noch nicht messen können», als sich Gedanken darüber zu machen, wie sich allfällige Effekte (und Nicht-Effekte) von Akupunktur und Homöopathie schlüssig erklären lassen.
Aber eine solche Haltung bringt uns keinen Schritt weiter in unserem Bestreben, effektivere Behandlungen zu entwickeln oder unsere Welt besser zu verstehen.
Lasst uns nach Fehlern suchen…
Für die Wissenschaft ist das Eingestehen der eigenen Fehlbarkeit deshalb der beste Garant dafür, dass falsche Aussagen erkannt und entsprechend korrigiert werden. Wenn wir hingegen von Beginn weg ausschliessen, dass Fehler überhaupt gemacht werden können, dann laufen wir Gefahr, dass sich unsere Beschreibung der Wirklichkeit nicht mehr mit der Wirklichkeit selbst deckt und damit an Aussagekraft verliert.
Wieso fürchten wir uns nicht mehr vor Vampiren? Weil wir erkannt haben, dass es bessere Erklärungen für Krankheiten wie Tuberkulose oder Tollwut gibt.
Wieso glauben wir nicht mehr, dass die Erde eine Scheibe ist? Weil das Modell einer flachen Erde schlicht nicht geeignet ist, um einen Satelliten ins All zu schicken.
Und wieso verbrennen wir keine Hexen mehr? Weil wir verstanden haben, dass der Hexenschuss nichts mit Magie zu tun hat.
…um sie dann zu korrigieren
Natürlich ist Poppers Falsifikationsprinzip nicht das einzige Merkmal von wissenschaftlichen Aussagen. Die logische Schlüssigkeit einer Aussage ist mindestens so wichtig; genauso wie das Streben nach einer objektiven Betrachtungsweise oder die Reproduzierbarkeit von Messergebnissen.
Nichtsdestotrotz darf die Forderung, dass wissenschaftliche Aussagen grundsätzlich widerlegbar sein sollten, als eines der Kernprinzipien der Wissenschaft bezeichnet werden. Wir sollten uns also immer freuen, wenn wir in unseren Aussagen einen Fehler erkennen – weil wir dann die Möglichkeit erhalten, ihn zu korrigieren.
Dies ist eine leicht redigierte Version eines Artikel, der am 9. April 2015 im Science-Blog von NZZ Campus erschienen ist. Den Originalartikel gibt es hier zu lesen.
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