Schroedingers katze

Wir leben in einer Quantenwelt, ohne es zu merken

Die Quantenphysik ist die Grundlage zahlreicher Schlüsseltechnologien der Moderne und hat unser Bild von der Welt grundlegend verändert. Für Nicht-Physiker ist sie oft immer noch ein Rätsel.

Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen der Sommerakademie «Wahrscheinlichkeiten, Determinismus und freier Wille in Naturwissenschaften und Philosophie» der Schweizerischen Studienstiftung und wurde redaktionell begleitet von Reatch.

Was wissen Sie über Quantenmechanik? Sagen Ihnen Begriffe wie «Schrödingergleichung», «Photoeffekt» und «Unschärfe» etwas? Klingelt es bei «Schrödingers Katze»? Wenn Sie keine Physikerin oder kein physikalischer Chemiker sind, wohl eher nicht. Vielmehr werden Sie sich fragen: «Versteht denn überhaupt jemand diese Quantenmechanik? Hat sie irgendeine Bedeutung für meinen Alltag?»

Tatsächlich sind Sie mit Ihrer ersten Frage in bester Gesellschaft. Schon der amerikanische Physiker Richard Feynman sagte an einem Vortrag an der Cornell Universität, er könne «mit Sicherheit sagen, dass niemand die Quantenmechanik versteht.» [1]. Seiner Aussage würden bis heute viele zustimmen.

Was es mit Schrödingers Katze auf sich hat

Wie unanschaulich und scheinbar absurd die Quantenmechanik sein kann, haben schon diverse Gedankenexperimente aufgezeigt – Schrödingers Katze ist wohl das bekannteste davon. [2, 3]. Alles beginnt mit einer radioaktiven Substanz und ihrer Halbwertszeit. Das ist jene Zeit, die es braucht, damit exakt die Hälfte aller Atome der radioaktiven Substanz zerfallen ist. Der Physiker Erwin Schrödinger nahm nun ein einzelnes Atom dieser Substanz und steckte es – gedanklich – zusammen mit einer Katze in eine Kiste. Einen Geigerzähler mit verbundener Giftampulle stellte er ebenfalls dazu. Sobald das Atom zerfallen war, sollte der Geigerzähler ausschlagen, das Gift freisetzen und damit das Schicksal der Katze besiegeln [4].

Die Quantenmechanik beschreibt den Zustand des Atoms nach Verstreichen genau einer Halbwärtszeit als Superposition – eine Form der Überlagerung – der beiden Zustände, zerfallen und noch nicht zerfallen. Dabei würde eine Messung des Zustands in 50% der Fälle ergeben, dass das Atom zerfallen, in den anderen 50% dass es noch ganz ist.

Doch reicht diese statistische Interpretation aus, damit die Quantenmechanik die Natur vollständig beschreiben kann? Nein, meinte Schrödinger, und führte zur Illustration sein Gedankenexperiment an. Wenn das ganze System der Kiste mittels der oben beschriebenen Superposition zu beschreiben wäre, dann wäre der Geigerzähler zu 50% ausgeschlagen, die Giftampulle zu 50% zerbrochen und die Katze zu 50% gestorben. Der ganze Inhalt der Kiste wäre damit in einer Superposition und der Zustand würde so lange aufrechterhalten, bis jemand die Kiste öffnet hineinschaut und damit eine Messung der Zustände durchführt.

Doch diese Vorstellung war für Schrödinger offensichtlich absurd: Die Katze in der Kiste ist entweder tot oder lebendig, ganz egal, ob jemand reinschaut oder nicht. Das Phänomen der Superposition lässt sich also nicht einfach auf die makroskopische Ebene übertragen. Die Verwirrung bei den Physikern jener Zeit hat sich bis heute nicht ganz aufgelöst und führt dazu, dass die meisten Nicht-Physiker die Quantenmechanik bestenfalls als unverständliche Kuriosität abtun oder im schlechtesten Fall zu esoterischem Quatsch degradieren.

Eine Theorie der Welt im Allerkleinsten

Auch Studierende der Physik beschleicht ein ungutes Gefühl, wenn sie zum ersten Mal von den kontraintuitiven Gesetzen hören, denen die Natur im Kleinsten zu gehorchen scheint. Mithilfe der Quantenmechanik gelingt es jedoch, die Welt im Allerkleinsten, d.h. auf der Ebene der Atome, genau und erfolgreich zu beschreiben.

Atome sind die kleinsten physikalischen Teilchen, die wir heute mittels spezieller Mikroskope direkt sichtbar machen und deren Eigenschaften wir damit bestimmen können. Die Quantenmechanik schafft, woran die klassische Mechanik scheitert: Sie beschreibt die Welt der Atome und der subatomaren Teilchen (Elektronen, Protonen und Neutronen) und liefert Erklärungen für deren Verhalten. Das ist auch für unseren Alltag von grosser Bedeutung.

Die Quantenmechanik ist Teil unseres Alltags

Auch wenn wir die Gesetze und Phänomene der Quantenmechanik noch nicht vollständig verstehen, können wir die Welt damit dennoch präzise beschreiben und Vorhersagen über das Verhalten von atomaren Teilchen machen. Diese Vorhersagen sind so verlässlich, dass ganze Technologien und Industrien darauf aufbauen.

Ich behaupte: Die Quantenphysik ist die erfolgreichste physikalische Theorie der vergangenen 100 Jahre. Ihre Vorhersagen stimmen mit bestechender Präzision mit Laborresultaten überein. Sie gehört zu den am meisten überprüften Theorien überhaupt und reicht in ihrer einfachen Formulierung bislang jeder theoretischen Alternative das Wasser. Längst haben sich aus den Formeln und Überlegungen von Einstein, Heisenberg und Schrödinger auch praktische Anwendungen entwickelt.

So war Einsteins Arbeit zum sogenannten «Photoeffekt» zentral für die Entwicklung des Lasers, der die Daten auf eine CD abliest und sie in elektrische Signale umwandelt, bis schliesslich Musik ertönt [5]. Laser können jedoch viel mehr als «nur» Daten ablesen. So erhielten Arthur Ashkin, Gérard Mourou und Donna Strickland 2018 den Nobelpreis für Physik für ihre bahnbrechende Forschung zur Laserphysik.

Dank ihren Arbeiten können heute Lichtstrahlen von hoher Intensität zum Schneiden einer Vielzahl von Materialien verwendet werden und viele Augenerkrankungen und Fehlsichtigkeit sowie Tumore sind mit Lasern behandelbar. Auch die Forschung hat profitiert: So wurden Verfahren entwickelt, die es erlauben, einzelne Atome oder Moleküle mit Licht einzufangen, zu verschieben und zu manipulieren. Heute sind dies Standardtechniken in diversen Labors und Kliniken [6].

Wenn wir den Computer oder das Smartphone einschalten, strahlen uns Pixel entgegen, die mittels quantenmechanischer Prinzipien gesteuert werden und die ihre Leuchtkraft der Quantenstruktur der Atome verdanken [7]. Die kleinsten Speichereinheiten dieser Geräte, die Transistoren, wurden durch die Festkörperphysik ermöglicht, die Kristalle quantentheoretisch behandelt, in Leiter und Halbleiter klassifiziert und deren Anwendung in der Elektrotechnik ermöglicht [8].

Ebenfalls der Quantenmechanik zu verdanken haben wir den Umstand, dass unsere Smartphones ein eingebautes GPS zur Orientierung im Raum nutzen können. Damit GPS-Satelliten uns auf wenige Meter genau orten können, müssen die Uhren in den Satelliten bis auf die Millisekunde abgestimmt werden. Um das zu erreichen, wurden Atomuhren entwickelt, die auf quantenphysikalischen Vorgängen in Atomen beruhen und so die Zeit mit nie dagewesener Genauigkeit messen können [9].

Forschung im Dienst der Gesellschaft

Für uns sind diese Annehmlichkeiten Alltag geworden und kaum jemand hinterfragt deren Funktionsweise auf einem derart grundlegenden Level, dass man mit quantenmechanischen Vorgängen argumentieren müsste. Doch aus wissenschaftlich-technischer Sicht sind Laptops, Smartphones oder nur schon Leuchtdioden durchaus spektakulär und zeigen täglich, dass die bisweilen absurd anmutenden Aussagen der Quantenmechanik im Alltag durchaus Bestand haben.

Weltweit arbeiten Forschende beständig daran, neue Technologien aus der Quantenphysik abzuleiten, die die Welt von morgen in einem ähnlichen Mass bestimmen und verändern werden, wie es diese «alten» Quantentechnologien bereits getan haben. In den kommenden Jahren werden zum Beispiel Quantencomputer unsere Informationstechnologien umkrempeln und den Computer neu definieren [10]. Eins ist deshalb sicher: Die Quantenmechanik wird auch weiterhin fester Teil unseres Alltags sein.

Den Original-Beitrag gibt es hier zu lesen.

Referenzen

[1]

Feynman, Richard. Probability and Uncertainty: Probability and Uncertainty: The Quantum Mechanical View of Nature | The Character of Physical Law. http://www.cornell.edu/video/richard-feynman-messenger-lecture-6-probability-uncertainty-quantum-mechanical-view-nature (abgerufen am 11.12.2018).

[2]

Schrödinger, E. (1935). Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik. Naturwissenschaften, 23(49), 823-828.

[3]

Schrödinger, E. (1935). Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik. Naturwissenschaften, 23(50), 844-849.

[4]

Gast, Robert (2012). Zwei Leben für Schrödingers Katze. ZEIT ONLINE. https://www.zeit.de/wissen/2012-10/nobelpreis-quantenphysik-haroche-wineman (abgerufen am 11.12.2018).

[6]

Rietz, Helga (2018). Der Nobelpreis für Physik geht an Arthur Ashkin, Gérard Mourou und Donna Strickland für wichtige Entwicklungen in der Lasertechnologie. Neue Zürcher Zeitung. https://www.nzz.ch/wissenschaft/der-nobelpreis-fuer-physik-geht-an-arthur-ashkin-gerard-mourou-und-donna-strickland-fuer-ihre-forschung-in-der-laserphysik-ld.1423318 (abgerufen am 11.12.2018).

[7]

EL-Pro-Cus (2018). Construction and Working Principle of LCD Display. El-Pro-Cus. https://www.elprocus.com/ever-wondered-lcd-works/ (abgerufen am 11.12.2018)

[8]

Jimblom (2018). Transistors. Sparkfun. https://learn.sparkfun.com/tutorials/transistors/all (abgerufen am 11.12.2018).

[9]

4Physics (2012). What is an Atomic Clock?. 4Physics. https://www.4physics.com/phy_demo/at_clock/at_clock.htm (abgerufen am 11.12.2018).

[10]

Simonite, Tom (2018). The Wired Guide to Quantum Computing. Wired.https://www.wired.com/story/wired-guide-to-quantum-computing/ (abgerufen am 11.12.2018).

Autor*innen

Autor*in

Rafael Eggli studiert als Geförderter der Schweizerischen Studienstiftung Nanowissenschaften an der Universität Basel und wird im kommenden Sommer seinen Bachelor abschliessen.

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