Tierversuche small

Wenn Bilder lügen

Die geplanten Makakenversuche an Universität und ETH Zürich werfen wichtige wissenschaftliche und ethische Fragen auf. Eine offene Diskussion darüber ist deshalb ausgesprochen wichtig – sie macht aber nur dann Sinn, wenn sich die Diskussionsteilnehmer an die Fakten halten. Ein kürzlich in der ZS publizierter Artikel zeigt jedoch, dass oft fehlerhafte oder verzerrte Informationen verbreitet werden, wenn es um die Gesamtzahl und die Schwere von Affenversuchen geht.

Kommentar zum ZS-Artikel „Affen mit Elektroden im Hirn“

Kürzlich publizierte die Zürcher Studierendenzeitung (ZS) einen Artikel zu den an Universität und ETH Zürich geplanten Versuchen an Rhesusmakaken. Insgesamt ein ausgewogener Bericht, der die zentralen Streitpunkte sachlich aufgreift und sowohl Befürworter wie auch Gegner von Affenversuchen zu Wort kommen lässt.

Wäre da nur nicht dieses Titelbild. Und die dort gezeigten Zahlen.

Denn für die Onlineversion des Artikels hat sich die ZS leider dazu entschieden, ein Bild von der Website der Schweizer Liga gegen Vivisektion (LSCV) zu übernehmen – einer Organisation, welche jede Form von Tierversuchen bekämpft. Es wird keine Absicht gewesen sein, aber das Bild und die dazugehörigen Zahlen untergraben den sachlichen Grundton des Artikels.

Zahlenspiele

Zu sehen ist ein Makak, der dem Leser traurig entgegenblickt. Darüber finden sich – mit roten Balken hinterlegt – die folgenden beiden Sätze: „322 Primaten wurden in der Schweiz im 2013 benutzt“ und „109 Tierversuchsprojekte an ETH und Uni Freiburg. Hat die UZH/ETH noch nicht genug Tierleid produziert?“

Das von der ZS verwendete Bild der LSCV. (Bild ist nicht mehr verfügbar)

Nur: Die Zahlen stimmen nicht bzw. wurden von der LSCV bewusst oder unbewusst in einen falschen Kontext gesetzt.

Ein Blick auf die Tierversuchsstatistik des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zeigt zwar, dass im Jahre 2013 in der Tat 322 Primaten zu Versuchszwecken eingesetzt wurden.

„Primatenversuch“ bedeutet jedoch nur selten „Affe mit Elektroden im Hirn“. Viel häufiger ist darunter eher so etwas wie „Forscher guckt Affe an“ zu verstehen. Denn ein Versuch taucht auch dann in den Statistiken auf, wenn es sich um ein Beobachtungsexperiment handelt, beim dem das Tier keinen Belastungen ausgesetzt ist.

Aufschlüsselung nach Schweregraden

Tierversuche werden in vier Schweregrade eingeteilt. Bei Versuchen von Schweregrad 0 erfahren die Tiere keine Schmerzen, Leiden oder Schäden – es handelt sich meist um Verhaltens- und Beobachtungsexperimente. Schweregrad 1 bedeutet, dass die Tiere kurzfristige, leichte Belastungen ertragen müssen. Darunter fällt beispielsweise die Kastration von männlichen Tieren unter Narkose – ein Eingriff, den auch viele Haustierhalter bei ihren Lieblingen durchführen lassen.

Die Kastration weiblicher Tiere unter Narkose entspricht jedoch bereits Schweregrad 2 und auch die „Affen mit Elektroden im Hirn“ sind wohl hier einzuordnen.

Unter Schweregrad 3 versteht man schliesslich all jene Versuche, welche eine schwere Belastung für die Tiere bedeuten. Darunter fallen beispielsweise tödlich verlaufende Tumorerkrankungen, wie sie in der Krebsforschung häufig anzutreffen sind.

Die richtigen Zahlen

Zurück zu den Primaten: Von den 322 Versuchen, welche im Jahr 2013 in der Schweiz durchgeführt wurden, waren weniger als 10 Prozent als belastende Versuche im Sinne von Schweregrad 2 und 3 deklariert.

Primatenversuche im Jahr 2013 , aufgeschlüsselt nach Schweregrad und Versuchsinstitutionen. Quelle: Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV (Das Bild ist nicht mehr verfügbar)

Die meisten und schwersten Affenexperimente wurden auch nicht an den Hochschulen, sondern in der Privatwirtschaft durchgeführt: Wie man der erweiterten Tierversuchsstatistik entnehmen kann, war die Industrie für 92%, 56% und 100% der Versuche der Schweregrade 1, 2 und 3 verantwortlich. An den Hochschulen entsprachen hingegen vier Fünftel der Versuche dem Schweregrad 0.

Die Macht der Bilder

Das Bild und die Schriftzüge der LSCV machen den Betrachter hingegen glauben, dass Affenversuche primär an den Hochschulen stattfinden würden und dass diese Versuche durchwegs mit grossem Leiden für die Tiere verbunden seien. Und indem die ZS ein solches Bild unkommentiert übernimmt, leistet sie der Verbreitung solcher Falschinformationen Vorschub. Da kann der Inhalt des Artikels noch so ausgewogen sei – den Lesern bleibt in erster Linie das Bild in Erinnerung.

Eine Diskussion über die moralischen und wissenschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit Affenexperimenten macht aber nur dann Sinn, wenn sich die verschiedenen Seiten an die Fakten halten und nicht auf Behauptungen zurückgreifen oder Informationen verzerren.

Einladung zum Dialog

Fakt ist, dass es an UZH und ETH in den vergangenen Jahren keinen einzigen „Affen mit Elektroden im Hirn“ gab. Fakt ist aber auch, dass sich dies in den kommenden Jahren ändern könnte. Diskussionsbedarf ist also durchaus vorhanden.

reatch veranstaltet deshalb am 12. November sowie am 11. Dezember zwei Podiumsdiskussionen, an denen das Thema „Hirnforschung an Primaten“ aus wissenschaftlicher und ethischer Sicht diskutiert werden soll. Wir hoffen, dass wir damit einen sachlichen Diskurs ohne Polemik anstossen können.

Der vorliegende Text wurde am 3. November 2014 auf der Website der Zürcher Studierendenzeitung publiziert. Er gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und entspricht nicht zwingend derjenigen von Reatch oder seiner Mitglieder.

Autor*innen

Autor*in

Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

Die Beiträge auf dem Reatch-Blog geben die persönliche Meinung der Autor*innen wieder und entsprechen nicht zwingend derjenigen von Reatch oder seiner Mitglieder.

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