Bienen Lavendel

Was kostet die Natur?

Nutzbringende Leistungen aus der Natur werden anhand von Ökosystemleistungen quantifiziert, um Umweltverschmutzung oder die Zerstörung von Ökosystemen zu verhindern. Was steckt hinter dem Konzept?

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Dieser Artikel entstand im Rahmen des Reatch-Förderprogramms Scimpact.

Anfang Jahr machte der Blausee im Berner Oberland Schlagzeilen. Allerdings nicht wegen seiner beeindruckenden Farbe, sondern aufgrund eines waschechten Skandals: Eine Berner Transportfirma entsorgte illegal hunderte Tonnen belastetes Material als falsch deklarierten «sauberen Aushub» in einem Steinbruch oberhalb des Blausees. Sie sparte damit zwar einiges an Deponiegebühren, nahm jedoch gleichzeitig die Verschmutzung des Sees sowie des Grundwassers in Kauf [1]. Es ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen Profit über den Erhalt und Schutz der Natur gestellt wird. Um dem entgegenzuwirken, wurde das Konzept der monetarisierten Ökosystemleistungen entwickelt.

Ökosystemleistungen sind Leistungen der Natur, welche uns Menschen einen Nutzen bringen. Dazu gehören Rohstoffe wie beispielsweise Holz und regulierende Systeme wie die Reinigung der Luft durch die Aufnahme von Gasen durch Blätter. Ebenfalls dazu zählen unterstützende Leistungen wie die Bestäubung von Pflanzen durch Insekten sowie kulturelle Leistungen, welche spiritueller oder auch ästhetischer Natur sein können [2].

Diese Leistungen sind grundlegend, um unseren Planeten, wie wir ihn kennen, zu erhalten. Ausserdem sind sie grösstenteils kostenlos und es sind oft keine Eigentumsrechte definiert. Leider werden sie heutzutage aufgrund unserer unstillbaren Konsumlust sowie unseres wachstumsorientierten Wirtschaftssystems ausgebeutet und belastet. Nicht umsonst heisst es in China: «Die Modefarben der Saison erkennt man an den Farben der Flüsse.» [3] Der Verlust von natürlichen Ressourcen und die Verschmutzung wie auch Zerstörung von Ökosystemen werden dabei in Kauf genommen. Unternehmen können kurzfristig von den Leistungen der Natur profitieren, ohne für die langfristig anfallenden Konsequenzen bzw. Kosten aufkommen zu müssen. Ein Blick auf die Überfischung der Meere oder den Gebrauch von toxischen Insektiziden genügt, um diese Problematik zu verdeutlichen [4] [5].

Damit wir solche Unternehmen zur Kasse bitten oder zu einer nachhaltigeren Herangehensweise leiten können, ist es essenziell, dass wir einen Weg finden, den Ökosystemleistungen einen messbaren Wert zuzuschreiben. Mit konkreten, vergleichbaren Beträgen wird ein Bewusstsein für die enormen Leistungen der Natur geschaffen, die ansonsten zu oft als kostenlos und deshalb unwichtig eingestuft werden. Indem Ökosystemleistungen nach Prinzipien des Marktes quantifiziert werden, können sie in unternehmerischen Kostenrechnungen und politischen Überlegungen nicht länger ignoriert werden.

Doch wie quantifiziert man Ökosystemleistungen?

Wertschätzung von Ökosystemleistungen

Um etwas zu bewerten, sollte man sich zuerst fragen, für wen man es bewertet. Der primäre Nutzen von Ökosystemleistungen entspringt einer anthropozentrischen Sichtweise [6]. Das bedeutet, der Mensch steht im Mittelpunkt und der einzige Grund, warum wir die Leistung wertschätzen, ist ihr Nutzen für die Menschheit. Eine ziemlich egoistische Sichtweise! Schliesslich könnte man genauso gut argumentieren, dass es einen intrinsischen Grund gibt, diese Leistungen zu schützen. Dieses zweite Argument hat seinen Ursprung im Biozentrismus. Im Gegensatz zur anthropozentrischen Sichtweise misst dieser der Natur einen eigenen, intrinsischen Wert bei [7]. Würden wir nach dieser Sichtweise leben, müssten keine Konzepte entwickelt werden, die den Ökosystemleistungen einen ökonomischen Wert zuschreiben. Die Politologin Barbara Unmüssig fordert zum Beispiel, dass wir «den Eigenwert oder das Eigenrecht der Natur endlich wieder […] achten». Die Leistungen der Natur wertzuschätzen sei «ein wichtiger Schritt und eine starke Motivation, die Natur und ihre biologische Vielfalt zu erhalten.» [8]

Dieses Konzept macht in der Theorie Sinn, aber wenn man die Welt betrachtet, in der wir leben, funktioniert es offenbar nicht. Oder glauben Sie, es reicht, Unternehmen zu sagen, dass sie die Ökosystemleistungen zum Wohle der Natur nicht ausbeuten dürfen? Es muss also einen anderen Weg geben, die Leistungen der Natur zu bewerten, um ihre Ausbeutung zu verhindern.

Ökonomische Bewertung

Die monetäre Bewertung von Ökosystemleistungen ist universell verständlich und gut vergleichbar. Die Bestimmung des ökonomischen Wertes der Ökosystemleistungen ist jedoch extrem schwer und die Frage danach, wer diese Preise bestimmt wird wohl oder übel zu starken Ungleichheiten führen. Ohne diese Wertzuschreibung in Form von Geld geben wir den Ökosystemleistungen auf dem Markt den Wert Null und somit Menschen und Unternehmen die Freiheit, diese Leistungen auszubeuten. Ausserdem ist es leider Tatsache, dass etwas ohne Preisschild nur schwer politisches oder wirtschaftliches Handeln verändern kann. Aber wie viel kostet ein sauberer Fluss oder die Bestäubung durch Bienen?

Eine in der Forschung angewandte Möglichkeit, um diese Kosten zu bestimmen, stellen Umfragen dar, bei denen Menschen gefragt werden, wie viel sie zahlen würden, um beispielsweise die Bienen und damit die Bestäubung zu retten [9] [10]. Leider kann es dabei zu einem sogenannten «Hypothetical-bias» kommen; eine Antwortverzerrung, bei der Personen übertreiben, da die Fragen bloss hypothetischer Natur sind. Es kann also einen grossen Unterschied zwischen den Antworten von Personen und ihren Handlungen im realen Leben geben [9] [10]. Deshalb ist dies wohl nicht die geeignete Methode, um die Kosten zu bestimmen

Wenn die Natur eine für uns bedeutsame Ökosystemleistung nicht mehr übernehmen kann, muss diese Leistung von uns übernommen werden, was direkte Kosten verursacht − ein starkes Argument für den Schutz und Erhalt der Natur. Die Berechnung der anfallenden Kosten stellt zudem eine weitere Möglichkeit dar, den monetären Wert von Ökosystemleistungen zu bestimmen. So wird beispielsweise untersucht, welche Kosten die Bestäubung von Hand verursacht, um einen Anreiz für den Schutz der Bestäuber zu schaffen [11].

Ethische Bedenken

Auch aus ethischer Sicht gibt es einen grossen Punkt, den es bei der Monetarisierung von Ökosystemleistungen zu beachten gibt. Fehlen gesetzliche Grundlagen und Kontrollen, besteht die Möglichkeit, dass damit die Ungleichheit zwischen Gross- und Kleinunternehmen sowie Bauern verstärkt wird. Denn es ist für grosse internationale Unternehmen tendenziell einfacher als für KMU, die Rechte zur Nutzung und potenziellen Ausbeutung der Ökosystemleistung zu kaufen. Grosse Konzerne bekommen damit einen Freifahrtschein. Gleichzeitig schaffen wir eine Hürde für kleine Unternehmen, die meist nicht Hauptverursacher der Ausbeutung von Ökosystemleistungen sind.

Fazit

Ein Kassenzettel für die Nutzung der Natur? – So einfach ist es nicht. Für Barbara Unmüssig sind monetarisierte Ökosystemleistungen nicht die Lösung. Zum einen fehlen ihr noch Beispiele, bei denen die Wertberechnungen der Leistungen wirtschaftliche Interessen überwogen haben. Zum anderen sieht sie Schwierigkeiten in der korrekten Festlegung der Werte: «Können die Vielfalt und die komplexen Prozesse von Ökosystemen überhaupt in metrischen Skalen und Geldwerten korrekt erfasst werden?» [8].

Ausserdem sollen Unternehmen von sich aus umweltfreundlicher handeln, die Natur um ihrer selbst willen schützen. Wir bräuchten «eine echte Wertschätzung unserer Natur» [8].Eine sehr optimistische Haltung, die leider zu oft an wirtschaftlichen Realitäten scheitert.

Es geht aber offenbar auch anders. Ein Beispiel dafür, dass die monetäre Bewertung nicht nur in der Theorie funktioniert: Die Europäische Kommission hat im Mai 2013, entgegen den Interessen der Industrielobby, die Nutzung von drei extrem schädlichen Pestiziden verboten – und dazu hat die Berechnung der Bestäubungsleistungen von Bienen massgeblich beigetragen [12]. Solche Beispiele sind bisher jedoch noch rar. Somit ist die Politik weiterhin gefragt, um Gesetze auszuarbeiten, mit welchen eine Monetisierung der Ökosystemleistungen so umfassend und fair wie möglich ausgestaltet werden kann, um Ökosystemleistungen langfristig und für viele Generationen zu erhalten.

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Wir danken der folgenden Person herzlich für kritische Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge:

Vanessa Schenker hat Erdwissenschaften an der ETH Zürich studiert und arbeitete danach als Geologin beim kantonalen Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft in Zürich. Seit 2019 macht Vanessa ein Doktorat an der ETH Zürich, in dem sie die Umweltschäden von Rohstoffabbaugebieten untersucht.

Verbleibende Fehler und Unklarheiten liegen einzig und allein in der Verantwortung der Autorin.

Referenzen

[1]

Humbel, Georg. 2021. Hunderte Tonnen verschmutzten Schlamms illegal entsorgt. Webdoku ment. https://www.srf.ch/news/schwei...; ten schlamms-illegal-entsorgt; ten schlamms-illegal-entsorgt (zuletzt besucht am: 03.05.2021).

[2]

Assessment, Millennium Ecosystem 2005. Ecosystems and human well-being. United States of America: Island press.

[3]

Geiger, Sonja, Samira Iran und Martin Müller. 2017. Nachhaltiger Kleiderkonsum in Dietenheim. Webdokument. http://dietenheim-zieht-an.de/...; sch%C3%BCre_A4_online_LR.pdf (zuletzt heruntergeladen am: 31.03.2021).

[4]

Wiesmeth Hans. 2003. Umweltökonomie: Theorie und Praxis im Gleichgewicht. Ber lin: Springer-Lehrbuch.

[5]

Reyes, Tirado, Simon Gergely und Paul Johnston. 2013. Bye bye Biene? Das Bienensterben und die Risiken für die Landwirtschaft in Europa. Greenpeace Research Laboratories. England: Universität Exeter.

[6]

Staub, Cornelia, Walter Ott et al. 2011. Indikatoren für Ökosystemleistungen: Systematik, Methodik und Umsetzungsempfehlungen für eine wohlfahrtsbezogene Umweltberichterstattung. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Wissen Nr. 1102: 106 S.

[7]

Bruckner Michael und Angela Kallhoff. 2018. Biozentrismus. S.161-166. In Handbuch Tierethik, herausgegeben von J.B. Metzler, Stuttgart: Springer-Verlag GmbH.

[8]

Unmüssig, Barbara. 2019. Wertschätzung Ja - Inwertsetzung und Monetarisierung von Natur – Nein Danke! Webdokument. https://www.boell.de/de/2019/0... risierung-von-natur-nein-danke (zuletzt besucht am: 28.04.2021)

[9]

Breeze, T.D, A.P Bailey, S.G Potts, K.G Balcombe. 2015. A stated preference valuation of the non-market benefits of pollination services in the UK. Ecological Economics (111): 76-85.

[10]

Mwebaze, Paul , Gay C. Marris, Mike Brown, Alan MacLeod, Glyn Jones, Giles E. Budge. 2018. Measuring public perception and preferences for ecosystem services: A case study of bee pollination in the UK. Land Use Policy (71): 355-362.

[11]

Allsopp, Mike H., Willem J. de Lange, Ruan Veldtman. 2008. Valuing Insect Pollination Ser vices with Cost of Replacement. PLOS ONE (3): 9.

[12]

Kümper-Schlake, Lennart. 2013. Ökosystemleistungen im internationalen Naturschutz. Sprin ger-Verlag (37): 230–236.

Autor*innen

Chantal Adelmann studiert im Bachelor Sozialwissenschaften und nachhaltige Entwicklung an der Universität Bern.

Die Beiträge auf dem Reatch-Blog geben die persönliche Meinung der Autor*innen wieder und entsprechen nicht zwingend derjenigen von Reatch oder seiner Mitglieder.

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