Forschung ist die Auseinandersetzung mit der Unsicherheit. Wer schon mal an einer Abschlussarbeit sass, im Labor bis spätabends hängengeblieben ist oder vor dem Statistikprogramm verzweifelt ist, weiss: Was glorreich klingt, ist in Wahrheit ein zäher Prozess, geprägt von kurzen Hohenflügen und der latenten Befürchtung, dass am Ende kein fruchtbares Ergebnis auf dem Tisch liegt.
Forschung muss scheitern können. Wer neue Wege einschlägt, riskiert, in der Pampa zu landen. Wie brachte es Henry Ford so schön auf den Punkt: «If you always do what you’ve always done, you’ll always get what you’ve always got». Zynisch, denkt sich da der Experimentalphysiker, dem es nicht mal mehr gelingt, seine bisherigen Ergebnisse zu reproduzieren.
Die gesellschaftlichen Erwartungen
Aus Sicht der Gesellschaft hat die Forschung klare Aufgaben zu erfüllen: Sie soll auf möglichst effiziente Art Antworten auf relevante und drängende Fragen liefern. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass Forschung einen gesellschaftlichen Nutzen bringen soll. Die Wissenschaft soll einen verwertbaren Output produzieren, der möglichst vielen Menschen dient. Die Forderung nach dem Nutzen wird in der Öffentlichkeit über verschiedene Aspekte gerechtfertigt: Einerseits über die Steuergelder, welche umgemünzt in Forschungsgelder, möglichst wieder der Allgemeinheit zukommen sollen.
Andererseits mit den Grundwerten der Effizienz und Zielgerichtetheit, also dass finanzielle und zeitliche Ressourcen möglichst optimal und zielführend genutzt werden sollen. Nicht zuletzt verbirgt sich hinter dem geforderten Nutzen der Forschung die gesellschaftliche Vorstellung, dass sie anwendungsorientiert sein soll – sie soll praktische und reale Probleme lösen. Probleme, die man konkret benennen und im Idealfall darauf zeigen kann. (Mein Philosophieprofessor in Bern sagte immer: Reale Dinge, dass sind die, über die man eine Tasse Kaffee verschütten kann.)
Die Aufgaben der Forschung
Die Forderung, dass Forschung nützen soll, ist sicherlich berechtigt. Angesichts der vielen drängenden Probleme, mit der wir in unserer Welt zu kämpfen haben, wäre es ein Hohn, sich vor diesen Fragen zu verschliessen. Daran zeigt sich, dass der Antrieb zur Forschung nicht nur menschliche Neugierde ist, sondern auch in der Empathie wurzelt. Forschung soll sich kümmern. Und zwar weniger um Probleme, als um die Menschen, welche mit diesen Problemen zu kämpfen haben. Was pathetisch klingt, beschreibt nur eine sehr banale Forderung: dass Forschung helfen und Probleme lindern soll.
Trotzdem: Die Forderung, dass Forschung nützen muss, bringt auch Probleme. Wird nämlich nur die angewandte Forschung gefördert, bleibt die Grundlagenforschung auf der Strecke, weil sie sich nicht mit konkreten Problemen befasst.
«Nutzlosen Kuriositäten» wie Elektrizität
Dass wir aber auch die vermeintlich nutzlose Forschung brauchen, erklärte der Rektor der Universität Zürich, Michael Hengartner, vor kurzem mit einem passenden Beispiel: Die Elektrizität war bereits den alten Griechen bekannt, sie galt aber bis ins 19. Jahrhundert lediglich als nutzlose Kuriosität. Wie unverzichtbar diese Kuriosität heute ist, lässt positive Erwartungen bezüglich gegenwärtigen «nutzlosen Kuriositäten» aufkommen. Man denke nur an das Higgs-Boson und welche glorreichen Innovationen es uns vielleicht noch bescheren mag.
Auch die hohe Orientierung am Forschungsoutput ist nicht unbedingt die beste Voraussetzung, damit Forschung gedeihen kann. Die Stossrichtung der Forschung muss frei bleiben und ist darum in Form der Forschungsfreiheit in Artikel 20 der Bundesverfassung verankert. Weder die Politik, die Unternehmen, noch die Öffentlichkeit sollen zu viel Einfluss nehmen können. Die Forschung ist somit auch nicht verpflichtet, sich am maximalen gesellschaftlichen Nutzen zu orientieren.
Das ist auch gut so, weil sich der Nutzen von medizinischen Studien sowieso nicht mit dem Nutzen einer literarischen Analyse von Thomas Bernhards Werk vergleichen lässt. Und es ist auch gut, wenn neben den häufigen auch die seltenen Probleme (z.B. die «orphan diseases») beachtet werden. Zu behaupten, der Nutzen der Forschung würde sich nur in Zahlen niederschlagen, würde der Komplexität unserer Gesellschaft einfach nicht gerecht werden.
Die Pflicht, zu forschen
Um zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, braucht es also vielseitige Forschung, welche sich Ergebnisoffenheit leisten darf und sich nicht nur über ihren Nutzen legitimieren kann. Eine Pflicht zu forschen ergibt sich aus der Überzeugung, dass Forschung sich kümmern muss, aber auch aus dem Wissen, dass neue Erkenntnisse immer notwendig sein werden, um unsere Existenz langfristig zu sichern. Zu den schwierigsten Fragen, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen, gehört, wann wir in welcher Intensität an welchen Themen forschen sollen.
Während der akutesten Ebola Krise im Sommer und Herbst 2014 bezeichnete die WHO es treffend einen «ethischen Imperativ» an therapeutischen Mitteln gegen den Ebola-Virus zu forschen. Dies bedeutete aber, dass Krankenpflegerinnen in Mitten einer Epidemie, wo es sowieso schon horrenden Personalmangel gab, ihre wertvolle Zeit für das Sammeln von Daten anstatt für die Patienten verwenden mussten. Es war eine schmerzhafte Lektion dafür, dass wir uns als Gesellschaft gut überlegen müssen, wie wir unsere zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen für die Wissenschaft einsetzen sollen ohne der Forschung die Freiräume zu rauben, welche sie braucht, um erfolgreich zu sein.
Dieser Artikel ist am 20. Oktober 2015 im Science-Blog von NZZ Campus erschienen.
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