Über 100 Nobelpreisträger haben letzte Woche einen offenen Brief unterzeichnet und mit markigen Worten den Widerstand von Greenpeace gegen gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) angeprangert. Die Umweltschutzorganisation sei mitverantwortlich für den Tod von Millionen von Menschen, weil sie die Nutzung von GVOs verhindere. «Wie viele arme Menschen müssen noch sterben, bevor wir dies als ‹Verbrechen gegen die Menschheit› anschauen?», fragen die Spitzenforscher anklagend.
Was treibt abgeklärte Nobelpreisträger dazu, die Tätigkeit von Greenpeace auf eine Stufe zu stellen mit Mord, Folter und Versklavung?
Veränderter Reis gegen Mangelzustände
Die Unterzeichnenden kritisieren vor allem den Widerstand gegen den sogenannten «Golden Rice». Der an der ETH Zürich mitentwickelte Reis enthält Gene zur Produktion von «Beta-Karotin», das in unserem Körper zu Vitamin A umgewandelt wird. Viele Wissenschafter sehen den Reis deshalb als effizientes Mittel, um Vitamin-A-Mangel in Entwicklungsländern zu bekämpfen – und damit Leben zu retten.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass pro Jahr bis zu einer halben Million Kinder wegen Vitamin-A-Mangel erblinden oder sogar sterben. Als Gegenmassnahmen empfiehlt die WHO das Stillen von Säuglingen, die Abgabe von Vitaminsupplementen sowie eine Vitamin-A-reiche Ernährung – zum Beispiel in Form von Vitamin-A-Zugaben in Grundnahrungsmitteln wie Mehl, Zucker, Fett oder eben Reis.
Golden Rice könnte damit in jenen Entwicklungsländern, in denen Reis täglich auf dem Speiseplan steht, helfen, den verbreiteten Vitamin-A-Mangel in der Bevölkerung zu beheben.
«Richtiges Essen» statt Gentech-Nahrung
Greenpeace sieht das freilich anders. Die Umweltorganisation bezeichnet den Reis wahlweise als unnütz, kontraproduktiv oder sogar gefährlich. Man solle die Menschen besser mit «richtigem» Essen versorgen, heisst es in einer Stellungnahme. Auch sonst lässt Greenpeace keine Gelegenheit aus, um die grüne Gentechnik schlecht zu reden: «Gen-Pflanzen» seien gefährlich für die Umwelt und würden ein Gesundheitsrisiko darstellen. Zudem führten sie zu der Ausbeutung von Bauern.
Dass Greenpeace damit an den wissenschaftlichen Fakten vorbei argumentiert, zeigte jüngst ein Bericht der amerikanischen National Academy of Sciences. Die bisher umfassendste Untersuchung der grünen Gentechnik stellt klar, dass gentechnisch veränderte Pflanzen genauso gesund (bzw. ungesund) sind wie konventionell gezüchtete Pflanzen. Zudem hängen die Auswirkungen auf die Umwelt von den landwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab – und nicht von der Zuchtweise der Pflanzen. Es gibt deshalb keinen wissenschaftlichen Grund, GVOs und konventionelle Züchtungen nach unterschiedlichen Massstäben zu beurteilen.
Der wichtigste Schluss der Untersuchung ist aber der Folgende: Wenn wir über GVOs diskutieren, dann sollten wir zwischen wissenschaftlichen und weltanschaulichen Fragen unterscheiden. Genau das aber passiert zurzeit nicht.
Das Symbol des Bösen
Greenpeace lehnt Gentechnik kategorisch ab. Die Organisation sieht darin nicht einfach ein Werkzeug, sondern ein Symbol für die Tätigkeit von multinationalen Agrar-Unternehmen, für die Industrialisierung der Landwirtschaft und für die Patentierung biotechnologischer Entwicklungen – Entwicklungen also, welche die Umweltorganisation mit Vehemenz bekämpft.
Damit aber nimmt Greenpeace die Gentechnik in Sippenhaftung für eine Diskussion, die mit GVOs nichts zu tun hat: Grüne Gentechnik kommt nämlich unabhängig von Monsanto, Syngenta & Co. zum Einsatz. Ebenso, wie gentechnisch veränderte Pflanzen auch für Bio-Betriebe gewinnbringend sein könnten und es Patente auch auf konventionelle Züchtungen gibt.
Gentechnik ist kein Wundermittel
Anstatt mit den Forschenden an einem Strick zu ziehen und die grüne Gentechnik für nachhaltige Anwendungen zu nutzen, setzt Greenpeace auf gezielte Desinformation, Angstmacherei und anti-wissenschaftliche Propaganda. Das ist fahrlässig. Doch egal wie fehlgeleitet die Anti-Gentech-Kampagnen von Greenpeace sind – sie als mögliches «Verbrechen gegen die Menschheit» zu bezeichnen, ist einfach nur dumm. Daran ändern auch die Unterschriften von über 100 Nobelpreisträger nichts.
Es ist aber nicht nur die reisserische Rhetorik, die dem offenen Brief seine Überzeugungskraft nimmt. Der Text erweckt den Eindruck, dass die Zulassung von Golden Rice beziehungsweise die Anwendung der grünen Gentechnik auf einen Schlag Millionen von Menschen das Leben retten würde. Doch das ist zweifelhaft.
Alles eine Frage der lokalen Gegebenheiten
Natürlich bietet Golden Rice eine Möglichkeit, Vitamin-A-Mangel in Drittwelt-Ländern zu bekämpfen. Und natürlich gibt uns die moderne Biotechnologie überaus mächtige Werkzeuge an die Hand, um ertragreiche und widerstandsfähige Pflanzensorten zu züchten. Aber die grüne Gentechnik ist kein Wundermittel. Und nicht in jedem Fall sind gentechnische Veränderungen die schnellste und effizienteste Art, um neue Sorten zu züchten oder bestehende Sorten zu optimieren.
Zudem hängt der Kampf gegen Hunger und Mangelernährung nicht nur vom biotechnologischen Fortschritt, sondern auch von den sozio-ökonomischen Verhältnissen in den jeweiligen Anwendungsgebieten ab. Was in Mitteleuropa erfolgreich ist, muss nicht zwangsläufig eine Lösung für Ostafrika sei. Und auch wenn amerikanische, europäische, aber auch indische Bauern generell von der grünen Gentechnik profitieren, sind die verändern Samen für Kleinbauern in Entwicklungsländern oftmals zu teuer.
Ohne Ideologie urteilt es sich besser
Der Streit um gentechnisch veränderte Pflanzen wird allzu oft als Stellvertreterdebatte für weltanschauliche Meinungsverschiedenheiten geführt. Wir sollten deshalb nicht den Fehler machen, die Gentechnik als Lösung für alle unsere landwirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Probleme zu sehen. Genauso unsinnig wäre es aber, sie zu verteufeln.
Wenn Nobelpreisträger «Verbrechen gegen die Menschheit» für Wissenschafts-Propaganda missbrauchen, während eine Umweltschutzorganisation Augen und Ohren vor wissenschaftlichen Fakten verschliesst, dann dient das weder Wissenschaft noch Umwelt. Besser wäre es, einige Male tief durchzuatmen, den rhetorischen Vorschlaghammer wieder einzustecken und Gentechnik wie alle anderen wissenschaftlichen Werkzeuge zu behandeln: Mit Umsicht, aber ohne ideologische Scheuklappen.
Dieser Artikel ist am 8. Juli 2016 im Science-Blog von NZZ Campus erschienen.
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