Neurofeedback

Neurofeedback: Vielversprechende Therapie oder Super-Placebo?

Neurofeedback soll es ermöglichen, sonst verborgene Gehirnfunktionen aktiv zu kontrollieren und damit psychische Krankheiten zu heilen. Doch wie effektiv ist die Technologie wirklich?

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl. Auf dem Kopf trägt sie eine Haube aus dutzenden Elektroden. Ein Kabel verbindet die Haube mit einem Computer, ein weiteres den Computer mit einem Bildschirm, der vor ihr steht. Der Bildschirm zeigt einen Kreis, dessen Mittelpunkt durch ein Kreuz markiert ist. Die Frau hält ihren Blick auf das Kreuz gerichtet. In ihrem Kopf kommunizieren Milliarden von Neuronen fortwährend über elektrische Signale. Ein bisschen Elektrizität erreicht auch ihre Kopfhaut. Die Elektroden in der Haube messen den Strom und senden Signale an den Computer. Dieser filtert bestimmte Frequenzen aus dem Signal heraus und wandelt sie in visuelles Feedback um, das er der Frau als Kreis auf dem Bildschirm präsentiert. Steigt die Aktivität in einem bestimmten Frequenzbereich, so wächst der Kreis. Sinkt die Aktivität, so schrumpft er. Die Frau atmet ruhig und konzentriert sich. Allmählich beginnt der Kreis zu wachsen.

So oder so ähnlich verläuft eine Trainingseinheit beim sogenannten Neurofeedback. Die Methode: Normalerweise verborgene Hirnvorgänge werden in Feedback umgewandelt, das der teilnehmenden Person in Echtzeit präsentiert wird. Das Ziel: Die Person soll lernen, ihre Hirnvorgänge aktiv zu beeinflussen. Idealerweise entwickelt sie ein Gespür dafür, wie sich eine Veränderung der Hirnaktivität in einem bestimmten Bereich anfühlt, um sie auch nach Beendigung des Neurofeedback-Trainings beeinflussen zu können.

Neurofeedback ist eine Technologie, die zum Träumen einlädt. In Richard Powers' Roman Erstaunen benutzt eine Figur Neurofeedback, um sich seiner verstorbenen Mutter anzunähern, deren Gedanken und Gefühle aus Gehirnscans abrufbar sind [1]. Das ist natürlich (noch) Science-Fiction. Doch schon heute findet Neurofeedback zahlreiche Anwendungen. In der klinischen Psychologie etwa wird es zur Behandlung von psychischen Störungen eingesetzt und kann eine Reihe beachtlicher Erfolge vorweisen – zumindest auf den ersten Blick. Doch wo liegt das wirkliche Potential des Neurofeedback, und welchen Anwendungen sollten wir skeptisch gegenüberstehen?

Wo wird Neurofeedback eingesetzt?

Ein vielerforschtes Beispiel ist ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung). Zahlreiche Studien belegen eine Verbesserung von ADHS-Symptomen nach einer Behandlung mittels Neurofeedback [2]. Anhänger der Methode führen das darauf zurück, dass die Patienten durch Neurofeedback-Training lernen, sogenannte Delta-Wellen abzuschwächen. Delta-Wellen sind bestimmte Muster in der Hirnaktivität, die bei Menschen mit ADHS besonders stark ausgeprägt sind.

Auch in der Wirtschaft glauben einige, das Potential der Technologie erkannt zu haben. Zahlreiche Start-Ups bieten Neurofeedback-basiertes Gehirntraining an, zum Teil in Kooperation mit grossen Firmen. Mithilfe von Neurofeedback sollen deren Mitarbeiter lernen, bestimmte Muster in ihrer Hirnaktivität zu kontrollieren, die mit Konzentration und Fokus zusammenhängen. Die Hoffnung der Arbeitgeber: Gelingt das Training, sind ihre Angestellten am Arbeitsplatz fokussierter und damit produktiver.

Ausserhalb der Forschung wird bisher nur eine einzige Neurofeedback-Variante eingesetzt, das sogenannte EEG-Neurofeedback. EEG ist ein Kürzel für Elektroenzephalographie. Dabei messen an der Kopfhaut befestigte Elektroden die Hirnaktivität, wie bei der Frau, der wir am Anfang des Artikels begegnet sind. EEG hat den Vorteil, dass sie leicht zu handhaben und im Vergleich zu anderen Methoden billig ist. Damit ist sie für Psychologen und Start-Up-Gründer besonders attraktiv.

Science oder Fiction?

Doch hält EEG-Neurofeedback, was es verspricht? In den vergangenen Jahren zweifeln Forschende zunehmend an der wissenschaftlichen Grundlage von Therapien, die auf EEG–Neurofeedback beruhen.

«Was EEG-Neurofeedback von der gängigen Biomedizin unterscheidet, ist vor allem die unterdurchschnittliche Forschung, auf der es basiert», lautet etwa das harte Urteil der kanadischen Psychologen Robert Thibault und Jimmy Ghaziri [3]. Thibault, der heute an der Stanford-Universität forscht, hat gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern zahlreiche EEG-Neurofeedback-Studien analysiert [4][5]. Das Ergebnis: Zwar gibt es über 3000 Publikationen, die sich mit der Methode auseinandersetzen. Doch nach 60 Jahren Forschung erfüllt nur eine Handvoll Studien den Standard, der in der Wissenschaft üblicherweise verlangt wird, um die Wirksamkeit einer Behandlung nachzuweisen: placebo-kontrolliert und doppelblind.

Wenn diese Standards erfüllt sind, fällt der Erfolg des EEG-Neurofeedbacks deutlich bescheidener aus. Der Tübinger Psychologe Michael Schönenberg und sein Team veröffentlichten etwa 2017 eine Studie, in der sie die Wirkung von EEG-Neurofeedback auf ADHS bei Erwachsenen untersuchten [6]. Wie in früheren Studien beobachteten sie, dass sich die ADHS-Symptome nach dem Neurofeedback-Training deutlich verbesserten.

Doch Schönenbergs Team analysierte neben den Resultaten des echten Neurofeedbacks auch eine Kontrollgruppe, die sogenanntes Sham-Feedback erhielt. Sham-Feedback basiert auf einem zufällig generierten Signal und nicht auf der Gehirnaktivität der Teilnehmenden. Man würde also erwarten, dass Sham-Feedback den Probanden nicht beibringt, ihre Hirnaktivität zu kontrollieren. Überraschenderweise verbesserten sich aber die Symptome in Schönenbergs Kontrollgruppe ähnlich stark wie in der Gruppe, die echtes Neurofeedback erhielt. Die Wirkung könnte folglich durch den Placebo-Effekt entstanden sein. Das würde bedeuten: Die Verbesserung wäre nicht direkt durch das EEG-Neurofeedback herbeigeführt worden, sondern durch die Erwartungen der Versuchspersonen.

Das Problem ist also nicht, dass EEG-Neurofeedback nicht wirkt. Zweifel gibt es nur darüber, was daran genau wirkt. Ist es tatsächlich das Feedback-Training? Oder sind andere Faktoren ausschlaggebend?

Potential für Prothesen und Psychologie

EEG-Neurofeedback zur Behandlung von psychischen Störungen stellt nur einen Teil der Forschung zum Thema Neurofeedback dar: Wissenschaftler forschen an Alternativen, denen andere Methoden zugrunde liegen als die EEG. Ausserdem wird Neurofeedback in einer Reihe weiterer Bereiche eingesetzt, unter anderem in sogenannten Brain-Machine-Interfaces. Diese Geräte helfen beispielsweise gelähmten Patienten, die nicht mehr sprechen oder schreiben können, mit anderen zu kommunizieren. Ausserdem sollen sie die Steuerung künstlicher Gliedmassen ermöglichen – gewissermassen per Gedankenkraft.

«Diese Felder beruhen auf einer eigenen Literatur und eigenen Evidenz im Vergleich zu EEG-Neurofeedback», erklären Thibault und Ghaziri [3]. Sie hoffen deshalb, dass sich aus ihnen in Zukunft fruchtbare Behandlungsmöglichkeiten ergeben könnten.

Dennoch: Was das therapeutische Potential von EEG-Neurofeedback bei psychischen Erkrankungen angeht, ist ein gewisses Mass an Skepsis wohl nicht fehl am Platz – zumindest, solange es nicht mehr verlässliche klinische Studien gibt, die seine Wirksamkeit belegen.

Referenzen

[1]

Powers, Richard. Erstaunen. Übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. Deutsche Erstausgabe. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2021.

[2]

Sitaram, Ranganatha, Tomas Ros, Luke Stoeckel, Sven Haller, Frank Scharnowski, Jarrod Lewis-Peacock, Nikolaus Weiskopf, u. a. „Closed-Loop Brain Training: The Science of Neurofeedback“. Nature Reviews Neuroscience 18, Nr. 2 (Februar 2017): 86–100. https://doi.org/10.1038/nrn.2016.164.

[3]

Ghaziri, Jimmy, und Robert T. Thibault. „Neurofeedback: An inside perspective“. In Casting light on the dark side of brain imaging, herausgegeben von Amir Raz und Robert T. Thibault. London: Academic Press, an imprint of Elsevier, 2019.

[4]

Thibault, Robert T., Michael Lifshitz, Niels Birbaumer, und Amir Raz. „Neurofeedback, Self-Regulation, and Brain Imaging: Clinical Science and Fad in the Service of Mental Disorders“. Psychotherapy and Psychosomatics 84, Nr. 4 (23. Mai 2015): 193–207. https://doi.org/10.1159/000371714.

[5]

Thibault, Robert T, Michael Lifshitz, und Amir Raz. „The Climate of Neurofeedback: Scientific Rigour and the Perils of Ideology“. Brain 141, Nr. 2 (1. Februar 2018): e11–e11. https://doi.org/10.1093/brain/awx330.

[6]

Schönenberg, Michael, Eva Wiedemann, Alexander Schneidt, Jonathan Scheeff, Alexander Logemann, Philipp M Keune, und Martin Hautzinger. „Neurofeedback, Sham Neurofeedback, and Cognitive-Behavioural Group Therapy in Adults with Attention-Deficit Hyperactivity Disorder: A Triple-Blind, Randomised, Controlled Trial“. The Lancet Psychiatry 4, Nr. 9 (1. September 2017): 673–84. https://doi.org/10.1016/S2215-0366(17)30291-2.

Autor*innen

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Victor Joss studiert Philosophie am Clare College, Cambridge.

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