Oekomodernisten small

Kernkraft und Gentechnik für die Umwelt

Mit ihren unkonventionellen Ideen bringen die «Ökomodernisten» neuen Wind in eine festgefahrene Debatte. Ob Gentechnik, Kernenergie oder Aquakulturen – neue Technologien werden nicht als Gefahr gesehen, sondern sollen dabei helfen, die Umwelt zu retten.

Umweltschützer, die eine intensivere Landwirtschaft, mehr Städte und Kernenergie fordern? Ja, das gibt es. Die «Ökomodernisten» zeichnen sich neben ihrer Sorge um die Natur vor allem dadurch aus, dass sie neue Technologien nicht als Bedrohung, sondern als Chance für den Umweltschutz begreifen.

Das ist mutig. Denn viele Umweltverbände stehen dem technologischen Fortschritt eher kritisch gegenüber. Sie machen ihn – wohl nicht zu Unrecht – mitverantwortlich für die massiven Umweltbelastungen, mit denen wir heute zu kämpfen haben. Die Folge: Anstatt das vorhandene Potential von Wissenschaft und Technik in den Dienst der Umwelt zu stellen, werden technische Neuerungen oft kategorisch abgelehnt.

Neue Impulse für eine festgefahrene Debatte

Genau bei dieser reflexartigen Abwehrhaltung wollen die Verfasser des «Ökomodernen Manifests» ansetzen und so frischen Wind in eine festgefahren Debatte bringen.

Berührungsängste kennen sie keine: Kernenergie sei eine legitime Option im Kampf gegen den Klimawandel; eine verstärkte Verstädterung könne dabei helfen, den individuellen Ressourcenverbrauch zu reduzieren; und die weitere Intensivierung der Landwirtschaft soll mehr Menschen auf weniger Boden ernähren.

Was den meisten Grünen wohl die Zornesröte ins Gesicht treiben dürfte, sehen die Ökomodernisten als mögliche Lösung für unsere Umweltprobleme. Diese Unerschrockenheit ist sehr zu begrüssen – denn sie räumt erbarmungslos auf mit den vielen Unstimmigkeiten und Grabenkämpfen innerhalb der Umweltdebatte.

Ein allzu romantisches Naturbild

Frei von Widersprüchen sind aber auch die Ökomodernisten nicht. So sprechen sie von der Notwendigkeit, wirtschaftliches Wachstum vom Gebrauch natürlicher Ressourcen zu trennen, um das «menschliche Wohlergehen von Umweltauswirkungen zu entkoppeln». Zudem beschwören sie eine «tiefe Liebe und emotionale Verbundenheit mit der natürlichen Welt» und verlangen eine «‹Wildnis-Bewegung›, die aus ästhetischen und spirituellen Gründen mehr unberührte Natur fordert».

«Natürlichkeit» wird dabei als etwas grundlegend Positives angesehen. Der Einfluss des Menschen auf die Natur soll hingegen möglichst gering gehalten werden.

Doch der Glaube, es gäbe eine klare Unterteilung in «künstliche» und «natürliche» Lebensräume, ist ebenso verfehlt wie die Motivation, die Natur primär aus ästhetischen und nicht aus handfesten wirtschaftlichen oder sozialen Gründen zu schützen.

Eingriffe in die Umwelt sichern unser Überleben

Der Erhalt der Natur hat nur dann einen Sinn, wenn wir Menschen daraus einen Nutzen ziehen. In anderen Worten: Der Wert der Umwelt definiert sich ausschliesslich durch die Interessen des Menschen. Aus diesem Grund ist nicht jeder Aspekt der Natur schützenswert – und nicht jeder menschliche Eingriff gehört verurteilt.

Im Gegenteil. Viele menschengemachte Veränderungen hatten durchwegs positive Auswirkungen: Ackerbau und Viehzucht ernähren heute viel mehr Menschen als es Jagen und Sammeln je vermöchten; das systematische Austrocknen von Sümpfen und der gezielte Einsatz von Insektiziden vertrieben die Malaria aus Mitteleuropa; und die moderne Medizin mit ihren «unnatürlichen» Impfungen, Antibiotika und chirurgischen Eingriffen beschert uns ein längeres und gesünderes Leben.

Mensch und Natur – untrennbar verbunden

Wir brauchen deshalb keine «Wildnis-Bewegung» – WWF, Greenpeace & Co. erfüllen diese Aufgabe bereits mit Bravour und tun ohne Zweifel ihr Bestes im Kampf für intakte Ökosysteme. Aber sie zementieren eben auch ein allzu romantisches Bild von «Natürlichkeit», das die Diskussionen über Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Zerstörung von natürlichen Lebensräumen allzu oft auf Nebenschauplätze lenkt.

Was wir stattdessen bräuchten, ist eine Umweltschutzbewegung, welche die Natur als das sieht, was sie ist: Ein eher unwirtlicher Lebensraum, der dank des Zutuns des Menschen einiges an Lebensqualität gewonnen hat. Ein Lebensraum aber auch, der uns die Grundlagen für unser Überleben liefert und ein enormes Potential an Rohstoffen und nützlichen Informationen bereithält. Das Ziel einer «Entkopplung von der Natur» scheint deshalb verfehlt - zu stark ist der Mensch mit seiner Umwelt verflochten, zu tiefgreifend hat er sie zu seinen Gunsten verändert.

Aber gerade weil wir abhängig sind von einem stabilen Klima, von Biodiversität und Artenvielfalt, von intakten Ökosystemen und natürlichen Ressourcen, sollten wir uns darum bemühen, diese von uns massgeblich mitgestaltete Natur in einer Form zu erhalten, welche uns weiterhin als Lebensgrundlage dienen kann. Nicht, weil wir uns von einer romantisierten und spirituell aufgeladenen Vorstellungen von «Natürlichkeit» antreiben lassen, sondern weil unser Fortbestehen davon abhängt.

Dieser Artikel ist am 3. Dezember 2015 im Science-Blog von NZZ Campus erschienen.

Autor*innen

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Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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