Im Kampf gegen den Klimawandel müssen alle Optionen auf den Tisch – auch die Kernenergie

Wer in der Klimafrage nur mit Wirtschaftlichkeit argumentiert, verkennt die Dringlichkeit des Problems. Nicht nur Photovoltaik, sondern auch die Kernenergie kann einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten.

Um den Klimawandel zu bekämpfen, sind Kernkraftwerke schlicht zu teuer. So berichtet kürzlich die NZZ [1] mit Berufung auf eine Studie der Schweizerischen Energiestiftung [2]. Die Kosten seien zu hoch, die Risiken zu gross und die Bauzeit zu lang - zumal mit der Photovoltaik eine kostengünstigere und zukunftsfähige Alternative bereitstehe. Bei genauer Betrachtung relativieren sich aber die vermeintlichen wirtschaftlichen Nachtteile der Kernenergie.

Kernkraftwerke: Lange Bauzeit – lange Lebensdauer

Vom Bauentscheid bis zur Fertigstellung eines Kernkraftwerks dauert es gut 20 Jahre. So schreibt es die Energiestiftung in ihrer Studie und das ist für ein industrielles Grossprojekt in einem stark regulierten Umfeld durchaus realistisch. Würde also heute beschlossen werden ein neues Kraftwerk zu bauen, ginge dieses ungefähr 2040 in Betrieb. Dabei gibt es aber drei Punkte zu bedenken:

Erstens hat es die Schweiz nicht eilig, neue CO2-arme Elektrizitätskapazitäten aufzubauen, weil die Stromproduktion bereits CO2-arm ist und die bestehenden Kapazitäten noch eine Weile verfügbar bleiben. Zwar wird Beznau wohl wie geplant um 2030 abgeschaltet, aber die beiden grossen und leistungsstarken Reaktoren bleiben bis dahin einsatzbereit.

Zweitens misst die Studie nicht mit gleich langen Spiessen, wenn sie nur die Bauzeit, nicht aber die Betriebszeit berücksichtigt. Auf die Bauzeit von 20 Jahren folgt eine Betriebsdauer von bis zu 80 Jahren. Moderne Anlagen sind auf einen Langzeitbetrieb ausgelegt. Der Nutzen währt also viermal so lange wie der Bau, was wieder vergleichbar ist mit der Photovoltaik, die sich laut der Studie zwar innerhalb von 7 Jahren bauen lässt, aber auch nur 30 Jahre einsatzfähig ist [3].

Drittens würde die Bauzeit sinken, falls nicht nur ein Kraftwerk gebaut würde. Die Erfahrungen der 70er- und 80er-Jahre haben gezeigt, dass der schnelle Ausbau von Kernkraftwerken machbar ist. Meint man es mit einer tiefgreifenden Dekarbonisierung ernst, so werden durch E-Mobilität und Wärmepumpen grössere Strommengen benötigt, die problemlos durch Kernkraftwerke zur Verfügung gestellt werden können.

Günstiger als Photovoltaik

Es stimmt, dass Kernkraftwerke teuer sind, vor allem dann, wenn man wie die europäischen und amerikanischen Firmen mit halbfertigen Plänen den Bau beginnt [4]. Aber rechnet man die Kosten pro produzierter Kilowattstunde aus, sind selbst die teuersten Kraftwerke durch ihre hohe Leistung und lange Lebensdauer unschlagbar günstig. Der französische Kraftwerkstyp «EPR» kostet ca. 10 Mrd. CHF und erzeugt dafür 1'600 MW elektrische Leistung. Wenn ein solches Kraftwerk nun über besagte 80 Jahre Strom produziert, führt das zu effektiven Kosten von 1 Rp. pro kWh. Also deutlich geringere Kosten im Vergleich zur Photovoltaik, bei der laut Bundesamt für Energie [5] eine kWh zwischen 5 und 10 Rp. kostet. Durch die höheren Betriebskosten von Kernkraftwerken gleicht sich das wieder etwas aus, aber dafür liefern Kernkraftwerke auch länger und zuverlässiger Strom.

Das Thema Kosten bringt mich zum letzten Einwand, dem des fehlenden Investitionswillens. In der nahen Zukunft wird in der Tat kein marktwirtschaftlich handelndes Unternehmen in der Schweiz ein Kernkraftwerk bauen. Grosse Rechtsunsicherheit und lange Amortisationszeiten halten private Investoren auf Abstand. Aber auch die Photovoltaik ist keine Marktlösung, sondern muss subventioniert werden.

Eine rein marktwirtschaftliche Betrachtung der Elektrizitätsversorgung greift ohnehin zu kurz. Die Marktkräfte funktionieren hier nur ungenügend, weil die Nachfrage minütlich abgedeckt werden muss, das Angebot aber wegen langer Bauzeiten nur über Jahre ausgebaut werden kann. Diese grossen Unterschiede in den Zeitkonstanten verunmöglichen vollständige Marktlösungen im Vorhinein. Im Gegensatz zu einem privatwirtschaftlichen Investor ist ein Staat allerdings in der Lage, Investitionsrisiken einzugehen, zumal er dadurch langfristig eine stabile, umweltfreundliche und verlässliche Strominfrastruktur gewährleistet.

Nur gemeinsam gelingt die Energiewende

Seit den Schülerstreiks dürfte den meisten Menschen klargeworden sein, dass der Klimawandel eine nicht zu unterschätzende Bedrohung darstellt. Wenn es die Schweiz mit dem Kampf gegen den Klimawandel ernst meint, muss sie in den nächsten 30 Jahren – besser noch früher – ca. 65% ihrer Energiequellen ersetzen. So viel machen die fossilen Brennstoffe in der Schweiz momentan noch aus [6]. Noch nie in der Geschichte der Menschheit standen wir vor einer so grossen Herausforderung mit so wenig verbleibender Zeit. Da ist es ein Gebot der Stunde, alle vorhandenen Alternativen zu nutzen, statt diese gegeneinander auszuspielen.

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Lukas Robers hat am Labor für Kernenergiesysteme der ETH promoviert und ist Leiter der Arbeitsgruppe Energie bei Reatch.

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