Pexels sevenstormphotography 381739

Die Rolle der Freizeitgärten in Basels urbanem Raum – Ein Interview mit Dr. Karin Kook

Ein Blick in die Zukunft der städtischen grünen Räume: Dr. Karin Kook teilt ihre Vision für die Freizeitgärten in Basel mit Tomas Marik und diskutiert mögliche Entwicklungen für die Zukunft. Das Interview zwischen Obstbäumen und Gartenzwergen beleuchtet, wie sich die Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung und der Natur im urbanen Raum ausbalancieren lassen.

Frau Dr. Kook, wenn Sie das Wort „Freizeitgarten“ hören, was kommt Ihnen als erstes in den Sinn?

Ein Platz, an dem Pflanzenfreunde rund ums Jahr auf ihre Kosten kommen. Ausserdem ein Treffpunkt für Freunde und Familie, an dem man die Jahreszeiten mit allen Sinnen erleben kann.


Wie bewerten Sie die aktuelle Situation und den Zustand der städtischen Freizeitgärten in Basel? Was sind momentan ihre grössten Herausforderungen?

Die Gartenareale in Basel haben eine über 100-jährige Geschichte. Die einzelnen Parzellen wurden über eine lange Zeit hinweg ganz individuell geformt durch die jeweilige Gartennutzung und Bautätigkeit ihrer Pächterinnen und Pächter. Herausfordernd im Alltag ist so manches Mal der Übergang in ein neues Pachtverhältnis, weil die Geschmäcker der Vorpächter und Nachpächter ziemlich verschieden sein können. Teils hat sich Sperrgut oder Müll angehäuft, Tannenbäume sind zu gross geworden, Bambus oder invasive Neophyten – Pflanzen aus anderen Teilen der Welt, welche die lokale Flora verdrängen – haben sich ausgebreitet. Damit ein Garten weitergegeben werden kann muss am Ende meist noch einmal Arbeit investiert werden.


Welche Funktion erfüllen die Freizeitgärten in der Stadt Basel?

Während Freizeitgärten für Pächterinnen und Pächter vor allem als Treffpunkt, Identifikations-, Frei- und Kreativraum an der frischen Luft bedeutsam sind, haben sie auch für das ganze Stadtgebiet einen hohen Wert, etwa für das Klima. Wasser kann versickern, die Verdunstung stiftet Kühle für das umliegende, teils dicht bebaute Stadtgebiet. Die Gärten sind gleichzeitig Biodiversitätshotspots für zahlreiche Pflanzen und Tiere. Ein Freizeitgartenareal mit 200 Parzellen wird von 200 Familien bewirtschaftet, die jeweils andere Präferenzen haben. Die resultierende Strukturvielfalt, zum Beispiel Teiche, grössere Gehölze, Stein- oder Asthaufen oder ein Fahnenmast als Landeplatz für Greifvögel, wird durch den Anbau zahlreicher Kulturpflanzen noch erhöht. Somit beherbergen Freizeitgartenareale ein Maximum an Biodiversität: an Lebensräumen (Nistgelegenheiten und Nahrungsgrundlage), Arten (Fauna, Flora, insbesondere Kulturpflanzen) und Sorten (genetische Vielfalt innerhalb einer Art). Damit können sie zu den artenreichsten Biotopen im städtischen Umfeld zählen. Ausserdem werden in den Freizeitgärten frische Lebensmittel produziert. Schliesslich sind die Gärten ein wichtiger natürlicher Erlebnisraum. Der tägliche, praktische Umgang mit der Natur entspannt und man lernt von Jahr zu Jahr dazu. Gerade im städtischen Umfeld ist dieser Effekt sehr bedeutsam – nicht nur für die Kinder.


Welche demografischen Merkmale zeichnen typische Freizeitgärtner aus? Gibt es Bevölkerungsgruppen, die in den Freizeitgärten in Basel besonders häufig vertreten sind? Ich meine hier etwa Unterschiede bei Alter, Herkunft, Beruf oder Bildung.

In den Arealen gärtnern Pächterinnen und Pächter aus über 60 Nationen. Demographische Merkmale erheben wir leider nicht. Wir würden aber sehr gerne mehr über die demographische Zusammensetzung, kulturelle Verwurzelung und die damit zusammenhängenden Präferenzen bei der Gartennutzung wissen. Darf ich an dieser Stelle eine herzliche Einladung aussprechen für eine kulturgeographische oder sozialempirische Forschungsarbeit? Interessenten dürfen sich gerne bei uns melden.


In den Freizeitgärten sind oft verschiedene Staatsflaggen zu sehen. Könnten Sie erklären, warum das so ist und ob es in der Vergangenheit Konflikte oder Spannungen mit nationalen Hintergründen gab?

Ich muss gestehen, dass die Flaggen im Alltag für die Mitarbeitenden der Stadtgärtnerei so gut wie unsichtbar sind. Wir widmen uns bei Arealrundgängen ausschliesslich den zahlreichen gärtnerischen Themen. Dennoch kann man sagen: Es gibt Areale mit einzelnen Flaggen und solche, in denen keine einzige zu sehen ist. Darunter sind nationale und kantonale Flaggen, Fussballflaggen, Piratenflaggen etc. Sicherlich haben alle Flaggen etwas mit Identifikation und Zugehörigkeitsgefühl zu tun. In Verbindung mit Konflikten stehen sie jedenfalls nicht. Auch diese soziokulturelle Facette der Freizeitgärten darf gerne einmal in einer Befragung näher beleuchtet werden.


Wie hat sich die Nachfrage nach Freizeitgärten in Basel in den letzten Jahren entwickelt, insbesondere in Bezug auf die Covid-19-Pandemie? Gibt es lange Wartezeiten für Interessenten?

Vor der Pandemie hatten wir ca. 500 Interessenten pro Jahr, die eine Parzelle übernehmen wollten. Vor allem während das Reisen eingeschränkt war, hat sich die Nachfrage mehr als verdoppelt. Da gleichzeitig Gartenkündigungen zurückgingen, waren die Wartezeiten deutlich länger. Heute hat sich die Nachfrage beruhigt und ist wieder auf dem vorherigen Niveau. Auch ist die Warteliste inzwischen durchlässiger geworden. Ein grosser Teil der „Corona-Nachfrager“ ist zum alten Lebensstil zurückgekehrt und vermeldet – einmal an der Reihe – kein weiteres Interesse. Ein veritabler Teil jener, die spontan eine Parzelle übernommen haben, merkt, dass viel Arbeit im Garten steckt und kündigt rasch wieder.

Ein Freizeitgarten ist ein lebendiges Ökosystem in ständiger Veränderung und benötigt mindestens eine Stunde „Pflege“ pro Tag. Wer diese Pflegemassnahmen als schönes Hobby erlebt, kann sich dabei entspannen und ein eigenes Paradies schaffen. Wer die Gartenpflege als Arbeit ansieht, ist schnell überfordert.


Welche konkreten umweltbewussten und nachhaltigen Anforderungen gelten für die Bewirtschaftung der Freizeitgärten, beispielsweise hinsichtlich Düngemittel, Erhalt der Biodiversität, Bodennutzung und Pflege?

Seit 1996 ist nach den Grundsätzen der biologischen Landwirtschaft zu wirtschaften. Diese haben sich mit den Jahren immer wieder geändert. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL) gibt die „Positivliste: Dünger, Erden, Pflanzenschutzmittel und Nützlinge für biologische Kleingärten“ heraus. Diese Liste wird jährlich aktualisiert und stellt die erlaubten Gartenhilfsmittel zusammen. Für die Basler Pächterinnen und Pächter ist die Einhaltung ein verpflichtender Teil der Gartenordnung.


Wie erfolgen die Überwachung und Durchsetzung dieser Regeln und Vorschriften?

Die Vereinsvorstände leisten den grössten Teil dieser Arbeit. Wenn Sie „mit ihrem Latein am Ende“ sind, wenden sie sich an die Stadtgärtnerei, die von Fall zu Fall unterstützt. Ausserdem bietet die Stadtgärtnerei Kurse und Schulungen an und steht für fachliche Auskünfte gern zur Verfügung.


Wie wird die Migration von Tieren zwischen den Parzellen in den Freizeitgärten gefördert oder geschützt?

Die Basler Freizeitgärten sind von einem Zaun umgeben, der einen gewissen Bodenabstand hat. Innerhalb der Areale gibt es keine Zäune, so dass sich alle Tiere frei bewegen können. Innerhalb des Stadtgebietes und darüber hinaus gibt es ein Biotopverbundkonzept, wobei mittels Planung versucht wird, die Vernetzung der Lebensräume verschiedener Arten zu ermöglichen und zu verbessern.


Inwiefern sind Freizeitgärten in einer heutigen urbanen Umgebung noch zeitgemäss?

Die Pacht eines Freizeitgartens darf im dicht besiedelten urbanen Raum durchaus als Privileg betrachtet werden. Dennoch ist urbanes Gärtnern nicht nur zeitgemäss, sondern - gemessen an unserer aktuellen Klima- und Biodiversitätskrise – unglaublich aktuell, zukunftstauglich und sinnvoll, wie ich bereits eingangs zu den Funktionen ausgeführt habe.

Falls Ihre Frage auch auf die Inanspruchnahme der Flächen anspielt: In der Stadt gab und gibt es zahlreiche Flächen, welche für bestimmte Nutzungen reserviert beziehungsweise durch einzelne Gruppen belegt werden. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel mit den Sportstätten oder den öffentlichen Autoparkplätzen, die jeweils nur einem Teil der Bevölkerung zugänglich sind. Letztendlich muss sich die Politik respektive städtische Bevölkerung von Zeit zu Zeit entscheiden, wieviel Raum sie für welche Funktionen zur Verfügung stellen möchte.


Könnten öffentliche Parks möglicherweise eine bessere Alternative für Mensch und Natur sein?

Öffentliche Parks sind neben Freizeitgärten, Sportstätten oder Spielplätzen eine weitere Freizeitinfrastruktur. Die Natur wird in Parks aber eher passiv erlebbar durch Spazieren und Verweilen. Die intensive Auseinandersetzung mit Kulturpflanzen, wie sie im Gartenbau stattfindet ist – zumindest nach der heutigen Philosophie – in Parks nicht möglich. Das Geheimnis einer attraktiven städtischen Freizeitinfrastruktur ist es wohl, unterschiedliche Räume bereitzustellen, damit sich einerseits Gruppen mit gleichen Interessen besser begegnen und andererseits Gruppen mit unterschiedlichen Interessen auch aus dem Weg gehen können. Insofern haben beide Konzepte ihre absolute Berechtigung und Relevanz.


Gibt es Möglichkeiten, wie Stadtbewohner von den Vorzügen von Freizeitgärten profitieren können, auch wenn sie selbst keinen eigenen haben?

Es gibt viele Spazierwege entlang von Freizeitgartenarealen, von denen aus eine Menge Interessantes zu sehen ist. So mancher fühlt sich beim Anblick der Reihen in den Gemüsebeeten zurückversetzt in die Kindheit beziehungsweise in Omas Garten. Für Interessierte gibt es auch immer wieder spannende Führungen. Im vergangenen Mai gab es beispielsweise einen geführten Rundgang mit einem Ornithologen, der bei einem Spaziergang durch das Areal die Lebensweise des Gartenrotschwanzes erläuterte. Im Juni folgte eine Führung im Rahmen der Vitra-Ausstellung „Garden Futures: Designing with Nature“ bei der verschiedene Pächterinnen und Pächter Besucherinnen durch ihre Parzellen führten. Das ist bei beiden Seiten sehr gut angekommen. Auch über das ganze Jahr hinweg lohnt es sich, die Augen offen zu halten: manche Vereine veranstalten Sommerfeste, Setzlingsmärkte oder Pflanzentauschbörsen, die von Besuchern gern genutzt werden.



Wie stellen sie sich die Freizeitgärten in 50 Jahren vor?

Wenn man einen Blick in die Zukunft wagen möchte, lohnt sich zunächst einer in die Geschichte. Städtisches Gärtnern war ja nie statisch. Die Gartenflächen haben sich immer wieder gewandelt und im Wandel befindet sich wohl auch der Schlüssel für die Zukunft.

Auf der Fläche der heutigen Freizeitgartenparzellen wurden in der Gründerzeit zunächst Pflanzlandgärten angelegt, deren Sinn und Zweck die Lebensmittelproduktion war. Es herrschte Krieg in Europa und die Flächen waren der Selbstversorgung gewidmet. Wir kennen das unter dem Stichwort Anbauschlacht. Danach wurden daraus Familiengärten, damit Kinder einen Freiraum zum Spielen hatten. Schliesslich erfolgte nach einem Nachfragetief um die Jahrtausendwende eine nächste Umwidmung hin zu Freizeitgärten. Ich persönlich bin mit dieser Bezeichnung nicht wirklich glücklich, denn mit der „Freizeit“ rückten immer mehr nicht-gärtnerische Nutzungen in den Vordergrund. Damit einher gehen die Verbauung der Flächen, die Möblierung mit Pergolen, Trampolinen, Loungemöbeln, Pools und grossem Plastikspielzeug, welches der Witterung ausgesetzt schnell zerbröselt. Die Stadtgärtnerei hat vor einigen Jahren begonnen, mit Gartenkursen – etwa zu Obstbaumpflanzung, Beerenschnitt oder Kompostieren – die gärtnerische Nutzung wieder stärker zu fördern.

Es besteht kein Zweifel, dass die gärtnerische Nutzung in der Stadt auch zukünftig ihren Platz haben wird. Im Rahmen städtischer Umbauprozesse werden sich hier und da jedoch immer wieder Flächen verändern. Beim Ersatz dieser Flächen muss man die aktuelle Nachfrage nach „dem Gärtnern“ gut im Blick behalten. Was wird gewünscht, nachgefragt und dann genutzt?

Aktuell liegen die meisten Kündigungen von Freizeitgartenparzellen im Zeitmangel begründet. Gleichwohl ist die Nachfrage nach urbanem Gärtnern unvermindert hoch. Die Stadtgärtnerei reagierte im Frühling auf diese Trends mit der Eröffnung eines ersten Gemeinschaftsgartens. Mehrere Personen gärtnern gemeinsam auf der gleichen Fläche – was ihrem Zeitbudget eher entspricht, als sich alleine mit 200 qm Fläche „herumzuschlagen“. Aufgrund der Erfahrungen wird sich zeigen, ob weitere Gemeinschaftsgärten in Basel sinnvoll sind – oder ob Gartenland ggf. in anderer Art zur Verfügung gestellt werden kann.

Wahrscheinlich ist mittelfristig eine Angebotsdiversifizierung Erfolg versprechend, die auch private Bereiche mit einbezieht. Auch im Hinterhof, auf Balkonen und Dachterrassen – nah an der Wohnung – lassen sich wunderbare Biotope einrichten.


Erwägt die Stadt Basel auch die Förderung von urbanen Waldgärten?

Im Stadtgebiet von Basel sind aktuell keine Waldgärten geplant. Das Thema Schatten ist vor dem Hintergrund immer heisserer und trockenerer Sommer aber ein wichtiges Thema. Zu Zeiten der Pflanzlandgärten war nur besonnte Fläche „wertes Land“ für den Gemüseanbau. Die Bepflanzung einer jeden Parzelle musste so angelegt sein, dass kein Schatten auf die Nachbarparzelle fällt. Dieser Status ist bis heute in der Gartenordnung konserviert.

Sollen die Gärten weiter als Anbau- UND Erholungsraum dienen, muss man über Schatten und Kühlung definitiv nachdenken. Dies vor dem Hintergrund, dass es in den Gärten auch viele ältere Personen gibt, die sich ganztags auf ihren Parzellen aufhalten möchten und die teils unter der Sommerhitze leiden.


Zum Schluss, könnten Sie einige der gängigen Stereotypen und Vorurteile gegenüber Freizeitgärtnern erläutern - wie viel Wahrheit steckt in solchen Darstellungen?

Hmmm… ich denke, Kleingärtner werden vor allem gern dargestellt - von solchen, die keinen Garten haben. Ich bin generell kein Freund von Stereotypen. Letztere werden von Menschen benutzt, die sich nicht sonderlich für eine Sache interessieren. Da kann es schon praktisch sein, etwas oder jemanden in eine Kategorie zu stecken.

Wer in den Kosmos der Freizeitgärten wirklich eintaucht findet auch auf die Menschen bezogen eine unglaubliche Diversität. Bienenhalterinnen, Wochenendgrillierer, Fladenbrotbäckerinnen, Gewächshausbauer. Grossfamilien, alleinstehende Personen. Es gibt Studentengärten, Migrantengärten, Blumenzüchter, Hanfanbauer, Katzenfreunde, den neidischen Nachbar und die beste Freundin. Ich würde sagen, die Freizeitgärten sind ein gutes Abbild der Basler Gesellschaft. Und ja, den Gartenzwerg, den gibt es schon auch (lacht).

Autor*innen

Autor*in

Dr. Karin Kook leitet die Abteilung Freizeitgärten und Gartenberatung der Stadtgärtnerei Basel. Die Abteilung ist für die Infrastruktur und Verpachtung von 5`000 Parzellen in 32 Arealen in der Schweiz und Frankreich verantwortlich sowie für die Garten- und Kompostberatung im Kanton Basel-Stadt. Dr. Karin Kook promovierte in Anthropogeographie an der Fakultät für Forst- und Umweltwissenschaften der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau. Daneben hat Dr. Kook auf landwirtschaftlichen Betrieben Erfahrung im Gartenbau gesammelt und sich über viele Jahre ehrenamtlich für praktische Umweltbildung engagiert. 9 Jahre lang war sie selbst Pächterin eines Basler Freizeitgartens.

Autor*in

Tomas Marik ist Redaktor von JetztZeit.Blog und studiert im Master European Global Studies an der Universität Basel. Er ist Geförderter der Schweizerischen Studienstiftung.

Die Beiträge auf dem Reatch-Blog geben die persönliche Meinung der Autor*innen wieder und entsprechen nicht zwingend derjenigen von Reatch oder seiner Mitglieder.

Zum Kommentieren mehr als 20 Zeichen im Text markieren und Sprechblase anklicken.

Wir freuen uns über nützliche Anmerkungen. Die Kommentare werden moderiert.