France in xxi century school small

Die vier Lerntypen - Eine Replik

Die Vorstellung, dass wir besser lernen, wenn wir unserem persönlichen Lerntyp gerecht werden, ist weit verbreitet – und irrig. Wichtig ist vielmehr, dass wir so lernen, wie es das jeweilige Thema verlangt.

«Zu welchem Lerntyp gehörst du? Finde es heraus und lerne besser!» – So das vollmundige Versprechen vor einigen Wochen auf NZZ Campus: «Die vier Lerntypen» waren ausgesprochen beliebt bei den Lesern – wenig überraschend, fiel die Veröffentlichung des Artikels doch mitten in die Prüfungsphase. Ob die im Artikel genannten Tipps geholfen haben?

Wohl eher nicht. Denn «Lerntypen», wie sie im Artikel dargestellt werden, gibt es nicht. Es ist ein Mythos, dass der Lernerfolg von den Besonderheiten des «eigenen Lerntyps» abhänge. Zumindest konnten wissenschaftliche Untersuchungen bis anhin keinen Zusammenhang nachweisen (siehe zum Beispiel hier, hier, hier oder hier).

Meine Lerntypen

Das Internet kümmert das freilich wenig. Eine unüberschaubare Zahl von Artikeln, Wegleitungen und Online-Fragebögen will uns dabei helfen, unseren «wahren» Lerntyp kennenzulernen. Diese Website attestiert mir besondere Stärken im kinästhetischen beziehungsweise motorischen Bereich. Laut dem eingangs erwähnten Blogbeitrag sollte ich also vermehrt «mit Lernkarten spazieren gehen».

Aber auch das Arbeiten in einer Lerngruppe könnte hilfreich für mich sein. so heisst es. Dieser vertrauenserweckende Online-Test erklärt mir nämlich, dass ich am besten über Gespräche lerne (also ein «kommunikativer» Typ bin).

Um ganz sicher zu gehen, müsste ich meinen Lernstoff aber auch «auf Papier visualisieren» – schliesslich bin ich laut diesem Fragebogen eher ein«visuell-lesender» Typ.

Ein Fünkchen Wahrheit

Völlig nutzlos ist die Lerntypen-Theorie indes nicht – dient sie uns doch als hervorragendes Beispiel für all die wunderlichen Erklärungen und Behauptungen, welche sich im Dickicht der rotierenden Medienproduktion verstecken oder die Weiten des Internets unsicher machen.

Theorien dieser Art haben mehrere Dinge gemeinsam: Sie sind intuitiv verständlich. Sie bieten einfache Antworten auf komplexe Fragen. Sie hüllen sich in ein halb- oder pseudowissenschaftliches Gewand. Und sie tragen meist ein Fünkchen Wahrheit in sich.

Bei der Lerntypen-Theorie besteht dieser Funken darin, dass es in der Tat individuelle Unterschiede gibt, wenn es um die Verarbeitung visueller oder auditiver Informationen geht. Manche Personen können sich Details auf einer Landkarte oder Autokennzeichen ohne Anstrengung merken. Andere sind hervorragend darin, Melodien aus der Erinnerung nachzusingen oder Dialekte zu imitieren.

Trockenschwimmen

Diese Unterschiede sind jedoch nicht naturgegeben, sondern lassen sich – wie viele andere geistige Fertigkeiten – mit Übung verbessern. Ein «auditiver Typ», der zu zeichnen beginnt, wird seine visuellen Fertigkeiten genauso verbessern können wie der «visuelle Typ», der anfängt, Klavier zu spielen und damit sein auditives Repertoire vergrössert.

Doch selbst wenn wir für einen Moment annehmen, dass dem nicht so ist: Die Tatsache, dass eine bestimmte Fähigkeit besonders stark ausgeprägt ist, bedeutet nicht, dass sich mein gesamtes Lernverhalten daran orientieren sollte.

Es ist ein Fehlschluss zu glauben, dass ein Student, der im Memory-Spiel alle in den Schatten stellt (also anscheinend über ein hervorragendes visuelles Gedächtnis verfügt), nun sämtliche Informationen besser über visuelle Kanäle aufnimmt. Eine begnadete Schwimmerin kommt schliesslich auch nicht auf die Idee, beim Rennen mit den Armen zu rudern, um damit schneller voranzukommen.

Was wirklich hilft

Viel wichtiger ist, die Lernstrategie dem Stoff anzupassen. So musste ich mir während meines Biologiestudiums verschiedene biochemische Stoffwechselkreisläufe einprägen. Einer davon war der Zitronensäurezyklus, der bei der Energiegewinnung in unserem Körper eine wichtige Rolle spielt.

[Bild the krebs]

Wenn wir den Aussagen der Lerntypentheorie nun Glauben schenken, dann lernt der visuelle Typ am besten, indem er sich den Zyklus aufzeichnet. Der auditive Typ sollte sich den Ablauf der einzelnen Reaktionen hingegen mündlich erklären lassen.

Ich wage jedoch zu behaupten, dass das Aufzeichnen und Visualisieren des Zyklus jedem Lernenden eine Hilfe ist, während eine rein mündliche Beschreibung des Zyklus niemanden wirklich voranbringt. Wer den Gegenbeweis antreten möchte, darf sich von einem befreundeten Biologen oder Biochemiker die relativ einfache Struktur eines DNA-Moleküls erklären lassen – ohne Bilder, versteht sich – und dann versuchen, das Gelernte wiederzugeben.

In bester Gesellschaft

Wir sehen: Die Zusammenhänge bei der Wissensvermittlung sind etwas komplizierter als uns die Lerntypen-Theorie weismachen will. Doch Komplexität ist schwierig zu verkaufen, was wohl der Grund dafür sein dürfte, warum Anhänger der vier Lerntypen nicht aus ihren Fehlern lernen und uns weiterhin mit ihren Ratschlägen belästigen.

Damit sind sie in bester Gesellschaft: Halb- und pseudowissenschaftliche Mythen begegnen uns in allen Bereichen des Lebens. Einige der hartnäckigsten werde ich in meinen kommenden Blog-Beiträgen vorstellen.

Dieser Artikel ist am 30. Juli 2015 im Science-Blog von NZZ Campus erschienen.

Autor*innen

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Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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