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Der US-Arbeitsmarkt kränkelt - kann es der neue Präsident richten?

Am 20. Januar wurde Joe Biden als neuer US-Präsident vereidigt. Zusammen mit Vizepräsidentin Kamala Harris und der ganzen Regierung steht er vor grossen Herausforderungen - unter anderem muss er den angeschlagenen Arbeitsmarkt retten.

Die Vereinigten Staaten sind wie viele andere Länder stark von der Corona-Pandemie betroffen. Viele Menschen sind gestorben, andere leiden an Langzeitfolgen. Hinzu kommt die Sorge um Angehörige und Bekannte. Neben diesen gesundheitlichen Auswirkungen, hat die Pandemie auch dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft stark zugesetzt. Als Folge bangen die Leute überall im Land um ihre berufliche Zukunft. Ab März 2020 schoss die Arbeitslosigkeit in die Höhe und es kam zu einem dramatischen Einbruch der Wirtschaftsleistung: Das Bruttoinlandsprodukt verringerte sich im ersten Halbjahr von 2020 um rund 10% gegenüber dem Niveau des Schlussquartals 2019 [1].

Nachdem die Pandemie im Mai vorerst etwas eingedämmt und die verschiedenen Lockdown-Massnahmen teilweise aufgehoben worden waren, kam es im Frühsommer zu einer kräftigen wirtschaftlichen Erholung, die sich im Herbst abgeschwächt fortsetzte [2]. Stützend wirkte das finanzpolitische Hilfspaket, das im März beschlossen worden war. Zentrale Bestandteile dieses Programms waren

  • eine grosszügige Aufstockung der Arbeitslosenunterstützung bis Ende Juli,
  • Einmalzahlungen an Haushalte mit geringem oder mittlerem Einkommen
  • sowie ein Hilfsprogramm für Unternehmen.

Aber die Corona-Pandemie und die damit verbundenen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen waren damit noch lange nicht ausgestanden. Die Vereinigten Staaten sind weiterhin stark von der Pandemie betroffen und in vielen Bundesstaaten sind einschneidende Eindämmungsmassnahmen in Kraft.

Pandemie führt zu hoher Arbeitslosigkeit

Auf dem Arbeitsmarkt wird die Pandemie wohl tiefe Spuren hinterlassen und könnte bereits zuvor bestehende Ungleichheiten weiter verschärfen. Im Frühling 2020 ist die Arbeitslosenquote hochgeschossen, nachdem es zu grossflächigen Beurlaubungen und Entlassungen gekommen war. Die offizielle Arbeitslosenquote ist von 3,5% im Februar auf 14,3% im April 2020 geklettert [3]. Die breiter gefasste sogenannte U-6 Arbeitslosenquote, bei der insbesondere Personen berücksichtigt werden, die weniger Stunden arbeiten als gewünscht oder die nicht aktiv nach Arbeit suchen, ist im April sogar auf 22,9% gestiegen (von 7,0% im Februar) [4]. Die Arbeitslosenquote hat sich seit April zwar wieder deutlich verringert (auf 6,7% im Dezember 2020), dürfte aber noch längere Zeit erhöht bleiben. Auch die U-6 Arbeitslosenquote lag im Dezember immer noch bei hohen 11,7%.

Angesichts einer weiterhin stark wütenden Pandemie und einer schwächer werdenden wirtschaftlichen Erholung haben die politischen Parteien Ende Dezember ein zweites Corona-Hilfspaket beschlossen, das – ähnlich wie im Frühling 2020 – Einmalzahlungen an Haushalte sowie eine Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung bis Ende März vorsieht [5]. Dies dürfte den betroffenen Menschen zum einen helfen, finanziell über die Runden zu kommen. Zum anderen wird so die wirtschaftliche Aktivität gestützt, was – hoffentlich – die Erholung des Arbeitsmarkts im Frühling unterstützen wird.

Strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt verstärken sich durch die Pandemie

Die Lage auf dem US-Arbeitsmarkt war allerdings nicht erst seit Corona, sondern schon seit der Finanz- und Wirtschaftskrise gespalten. Die Arbeitslosenquote war zwar vor dem Ausbruch der Pandemie niedrig, aber viele Jobs waren schlecht bezahlt und zudem unsicher oder befristet – etwa in der Gastronomie oder in der sogenannten «Gig Economy». Ein Beispiel sind Uber-Fahrer, die zwar bei der Einteilung ihrer Arbeit relativ frei sind, aber über keine Festanstellung verfügen und somit im Fall von Arbeitslosigkeit nicht automatisch Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben.

In den vergangenen Jahrzehnten sind viele ehemals gut bezahlte Stellen für die Mittelschicht – gerade in der Industrie – durch Automatisierung oder Verlagerungen ins Ausland verloren gegangen [6]. Als Folge davon ist die Einkommensungleichheit in den Vereinigten Staaten hoch und die durchschnittlichen Reallöhne - also die um die Inflation korrigierten Löhne - haben in den vergangenen Jahrzehnten und insbesondere auch in den 2010er Jahren nur gedämpft zugelegt [7]. Forschungsarbeiten zeigen, dass die Personen mit den höchsten Einkommen während den vergangenen Jahrzehnten einen immer grösseren Anteil des Gesamteinkommens erhalten, während dieser Anteil für die Geringverdienenden rückläufig gewesen ist [8].

Das bedeutet nicht, dass die Mehrheit der Menschen in den USA insgesamt von der Globalisierung und dem technologischen Wandel nicht profitiert hätten. Vieles ist besser geworden; eine grosse Zahl von Waren und Dienstleistungen ist zu erschwinglichen Preisen verfügbar. Die Vorteile gerade von internationalem Handel werden oft unterschätzt. Dennoch hat sich für zu viele Menschen – zumindest in den USA – die Lohnsituation und die Jobsicherheit verschlechtert oder erstaunlich wenig verbessert.

Es ist denkbar, dass sich diese Ungleichheit durch die Folgen der Corona-Pandemie noch einmal vergrössert. Bislang sind durch die Corona-Pandemie viele Menschen mit niedrigen Einkommen arbeitslos geworden, die etwa im Gastgewerbe, in der Unterhaltungsbranche oder als Reinigungskräfte in Bürogebäuden gearbeitet haben [9]. Stark betroffen davon sind Minderheiten [10].

Auch zwischen den Geschlechtern könnten sich die Ungleichheiten eher verstärken. Mütter haben sich zum Beispiel überdurchschnittlich häufig aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen, um während der Pandemie und den Schulschliessungen die Kinder zu versorgen [11]. Dies wird wohl künftig die Lohn- und Karriereaussichten der betroffenen Frauen verschlechtern.

Beschäftigte, die ihre Arbeit zu Hause erledigen können, sind bislang vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen. Mittelfristig ist es aber denkbar, dass der Trend zu ortsunabhängigem Arbeiten von sogenannten «white-collar workers» – also Bürobeschäftigten – die Verlagerung von Arbeitsstellen ins Ausland begünstigen und so die bereits bestehende Polarisierung am Arbeitsmarkt verstärken könnte [12]. Bei einer verstärkten Polarisierung würden vergleichsweise viele Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit einer langen oder kurzen Ausbildung in den USA bestehen bleiben oder neu geschaffen werden, während Jobs für Personen mit mittlerer Ausbildung vermehrt von Automatisierung oder Auslagerung betroffen wären. Es ist also nicht auszuschliessen, dass Heimarbeit in dieser Hinsicht längerfristig Nachteile mit sich bringt.

Pläne des neuen Präsidenten

Präsident Biden beabsichtigt, zusätzliche Hilfs- und Stimulierungsmassnahmen zu ergreifen, um den Arbeitsmarkt und die wirtschaftliche Erholung zu stützen. Die bisher bekannten Pläne sehen etwa weitere Einmalzahlungen und eine erneute Verlängerung der Arbeitslosenunterstützung bis Ende Sommer vor [13]. Falls der Kongress diesen Plänen zustimmt, würden den Haushalten und Unternehmen hohe Summen von rund 10% des Bruttoinlandsprodukts zufliessen.

Politisch umstritten sind neben dem Gesamtumfang der Unterstützung vor allem die Einmahlzahlungen an Personen mit einem geringen oder mittleren Einkommen, weil viele Menschen Einmalzahlungen erhalten würden, welche diese gar nicht benötigen. Ein Vorteil dieser Massnahme wäre aber, dass das Geld Menschen in Not schnell und unbürokratisch erreichen würde. Umstritten sind zudem die Pläne von Biden zur Erhöhung des Mindestlohns auf 15 US-Dollar pro Stunde. Weite Teile der Republikaner sehen eine solche Erhöhung als unnötigen staatlichen Eingriff in die Wirtschaft an. Möglicherweise werden auch Teile der Demokraten der vorgeschlagenen Erhöhung des Mindestlohns ablehnend gegenüberstehen und für eine geringere Erhöhung plädieren.

Später will Biden diesen Hilfen langfristig orientierte Massnahmen folgen lassen, mit denen insbesondere Investitionen in Bildung, «grüne» Energiequellen und Infrastruktur getätigt werden sollen. Nicht zuletzt ist mit diesen geplanten Massnahmen die Hoffnung verbunden, dass neue Arbeitsstellen in zukunftsträchtigen Bereichen entstehen. Während des gegenwärtig niedrigen Zinsniveaus dürften höhere öffentliche Schulden bis zu einem gewissen Mass gut zu stemmen sein, um diese zusätzlichen Ausgaben zu finanzieren. Dennoch sollten mögliche negative Nebeneffekte hoher Ausgabensteigerungen - dazu gehört etwa eine deutlich höhere Inflation - bei den Entscheidungen beachtet werden.

Es ist zu hoffen, dass sich die US-Wirtschaft und der Arbeitsmarkt – auch dank solcher Massnahmen – von der gegenwärtigen Krise erholen. Sonst droht die Ungleichheit und die wirtschaftliche Polarisierung, die bereits vor der Krise gross war, sich weiter zu verschärfen. Und eine stärkere Polarisierung am Arbeitsmarkt würde wohl auch die gesellschaftliche Polarisierung - etwa zwischen Stadt- und Landbevölkerung oder Demokraten und Republikanern - anheizen.

Referenzen

[1]

Im ersten Halbjahr 2020 ist das Bruttoinlandsprodukt um etwa 10% eingebrochen. Vgl. Bureau of Economic Analysis (2021): “Gross Domestic Product, 4th Quarter and Year 2020 (Advance Estimate)”, 28. Januar 2021: https://www.bea.gov/news/2021/gross-domestic-product-4th-quarter-and-year-2020-advance-estimate

[2]

Im dritten Quartal - also zwischen Juli und September - hat das Bruttoinlandsprodukt um 7.5% zugelegt. Diese wirtschaftliche Erholung setzte sich im vierten Quartal - also zwischen Oktober und Dezember - abgeschwächt fort mit einer Wachstumsrate von 1%. Vgl. Bureau of Economic Analysis (2021): “Gross Domestic Product, 4th Quarter and Year 2020 (Advance Estimate)”, 28. Januar 2021: https://www.bea.gov/news/2021/gross-domestic-product-4th-quarter-and-year-2020-advance-estimate

[3]

Die offizielle Arbeitslosenquote wird vom Bureau of Labor Statistics veröffentlicht: https://www.bls.gov/cps/

[4]

Für eine Einordnung und eine Diskussion verschiedener Klassifizierungsprobleme bei der Bestimmung der Arbeitslosenquote während der Coronapandemie vgl. etwa Furman, J. und W. Powell III (2020): “Unemployment continues to fall, but US labor market problems run deep”, Peterson Institute for International Economic, 7. August 2020.

[5]

Vgl. Siegel, R., J. Stein und M. DeBonis (2020): «Here’s what’s in the $900 billion stimulus package», The Washington Post, 28. Dezember 2020: https://www.washingtonpost.com/business/2020/12/20/stimulus-package-details/

[6]

Vgl. etwa D. Dorn und G. Hanson (2016): “The China Shock: Learning from Labor Market Adjustment to Large Changes in Trade”, Annual Review of Economics, 2016, 8, 205–240; Fort, T., J. Pierce und P. Schott (2018): “New Perspectives on the Decline of US Manufacturing Employment”, Journal of Economic Perspectives, 32 (2): 47-72.

[7]

Vgl. Doppelt, L. und S. Haley (2020): "Exploring changes in real average hourly earnings, June 2009 to December 2019," Monthly Labor Review, U.S. Bureau of Labor Statistics, September 2020, https://doi.org/10.21916/mlr.2020.20.

[8]

Vgl. etwa Zucman, G. und E. Saez (2020): “The Rise of Income and Wealth Inequality in America: Evidence from Distributional Macroeconomic Accounts”, Journal of Economic Perspectives, 2020, 34(4): 3-26.

[9]

Vgl. etwa Falk, G., J. Carter, I. Nicchitta. E. Nyhof und P. Romero (2021): “Unemployment Rates During the COVID-19 Pandemic: In Brief”, Congressional Research Service, 12. Januar 2021.

[10]

Vgl. Bureau of Labor Statistics (2021): “The Employment Situation Summary”, 8. Januar 2021: https://www.bls.gov/news.release/empsit.nr0.htm

[11]

Vgl. etwa Alon, T., M. Doepke, J. Olmstead-Rumsey und M. Tertilt (2020), “The Impact of COVID-19 on Gender Equality”, Covid Economics: Vetted and Real-Time Papers 4: 62-85; Alon, T., M. Doepke, J. Olmstead-Rumsey und M. Tertilt (2020b), “This Time It’s Different: The Role of Women’s Employment in a Pandemic Recession”, CEPR Discussion Paper 15149.

[12]

Vgl. etwa Baldwin, R. und R. Forslid (2020): «Covid 19, globotics, and development», VoxEU.org, 16. Juli 2020: https://voxeu.org/article/covid-19-globotics-and-development; Agovic, R. und G. Baldi (2019): «Polarisierung am Arbeitsmarkt - was nun?», tsri.ch, 10. Oktober 2019.

[13]

Siegel, R. (2021): «What’s in Biden’s $1.9 trillion emergency coronavirus plan», The Washington Post, 14. Januar 2021.

Autor*innen

Autor*in

Projektleiter «Wirtschaft und Arbeit im Wandel», Blog-Team

Guido Baldi ist Mitglied von Reatch und beschäftigt sich insbesondere mit Geldpolitik, Wirtschaftswachstum und dem Wandel der Arbeit. Guido lehrt und forscht am Volkswirtschaftlichen Institut der Universität Bern, an der Hochschule Luzern sowie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Die Beiträge auf dem Reatch-Blog geben die persönliche Meinung der Autor*innen wieder und entsprechen nicht zwingend derjenigen von Reatch oder seiner Mitglieder.

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