Die Trennung von «Wissenschaft» und «Öffentlichkeit» ist nur eine rhetorische Unterscheidung. Sie dient dazu, Fronten aufzutun, wo keine nötig sind. Warum das Ganze?
Ob Tierversuche, Gentechnik oder Nanotechnologie: Die Forderung nach «mehr Dialog mit der Gesellschaft» kommt bei öffentlichen Debatten zu wissenschaftlichen Themen so sicher wie das Amen in der Kirche. Damit verbunden ist meist die naive Hoffnung, dass dieser Dialog alle Kontroversen auf wundersame Weise zum Verschwinden bringt.
Doch wer ist diese «Gesellschaft» überhaupt, von der gesprochen wird? Wieso gehören Wissenschafterinnen und Wissenschafter nicht ebenso dazu? Und überhaupt: Wie reden eigentlich zwei abstrakte Gebilde wie «Öffentlichkeit» und «Wissenschaft» miteinander?
Eine absurde Trennung
Wie gesucht die Unterscheidung zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft im Grunde ist, zeigt die Tatsache, dass es uns bei keiner anderen Berufsgruppe in den Sinn käme, eine solche Trennung vorzunehmen. Wer unterstellt schon «der Landwirtschaft», sie mache zu wenig für den Dialog mit «der Gesellschaft»?
Ebenso wenig würden wir behaupten, dass Lehrer – nur weil sie Lehrer sind – nicht zur Öffentlichkeit gehörten oder dass es einen Graben zwischen Journalisten und dem Rest der Gesellschaft zu überwinden gäbe.
Wie kommt es dann, dass Wissenschafterinnen und Wissenschafter in Schrift, Bild und Ton oft dargestellt werden, als würden sie vollkommen losgelöst vom Rest der Gesellschaft existieren? Ich sehe zwei Gründe dafür.
1) Politische Kampfrhetorik
Kaum eine Metapher beschreibt die eingebildete Trennung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft so treffend wie jene vom «Elfenbeinturm». Dieses Fantasiegebäude ist synonym für die «elitäre Zurückgezogenheit» von Forschenden, die ohne Bezug zur «wirklichen Welt» ihren «abstrusen Ideen» nachhängen.
Ebenso beliebt ist, sich Wissenschafter als grössenwahnsinnige Egomanen, verrückte Eigenbrötler oder verschrobene Eierköpfe vorzustellen: Den Bezug zur Realität haben sie weitgehend verloren, und gesellschaftliche Konventionen kümmern sie erst recht nicht.
Was für ein Blödsinn!
Trotzdem bedienen sich politische Interessengruppen gerne solcher Klischees, um Wissenschafterinnen und Wissenschafter – zumindest rhetorisch – vom Rest der Gesellschaft abzukoppeln. Ansichten und Verhalten von Forschenden werden wahlweise als «weltfremd», «rücksichtslos» oder gar «unmoralisch» angeprangert.
Tierversuchsgegner zeichnen gerne das Bild des grausamen Wissenschafters, der aus Karrieresucht nichts lieber tut, als unschuldige Tiere zu quälen. Gentech-Kritiker werfen Biotechnologen vor, im Dienste «der Industrie» zu stehen, anstatt für die Verbraucher zu forschen. Und gewisse Politiker sehen in Geisteswissenschaftern nichts weiter als unnütze Nörgler auf Selbstfindungstrips, die nichts von den «tatsächlichen Sorgen» der Bevölkerung verstehen würden.
Es ist eine Rhetorik von «wir gegen sie», welche die Glaubwürdigkeit von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern zumindest in Frage stellen soll und ihnen die Kompetenzen abspricht, sich in Belange der Gesellschaft einzumischen. Dass Wissenschafter selbst ein Teil der Gesellschaft sind und deren Grundwerte und Interessen durchaus teilen, geht dabei vergessen.
2) Der Graben im Kopf der Forschenden
Die eingebildete Trennung zwischen Forschenden und dem Rest der Gesellschaft begegnet uns aber auch dort, wo wir sie zuletzt erwarten würden: in den Köpfen der Wissenschafterinnen und Wissenschafter selbst.
So sieht es die ETH Zürich als ihre Verantwortung, den «gegenseitigen Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft» zu ermöglichen. Der Schweizerische Nationalfonds vergibt für den «Dialog zwischen den Forschenden und der Bevölkerung» eigens Förderbeiträge. Und die Schweizer Akademien der Wissenschaften messen dem «Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft» eine derartige Bedeutung zu, dass sie dazu eine eigene Stiftung ins Leben gerufen haben («Science et Cité»). Selbst der Grassroots-Thinktank Reatch, dem ich selbst als Präsident vorstehen darf, bedient sich dieser Metapher und möchte eine Plattform für den «Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft» schaffen.
Natürlich ist das damit einhergehende Ziel – die Förderung der öffentlichen Debatte unter Einbezug von wissenschaftlicher Expertise – bei vielen gesellschaftlichen Fragen unerlässlich, um zielführende und sachbezogene Lösungen zu finden. Doch die rhetorische Zweiteilung unserer Gesellschaft in «Wissenschaft» auf der einen und «Öffentlichkeit» auf der anderen Seite birgt immer die Gefahr, jenen eingebildeten Graben zu vertiefen, den es eigentlich zu überwinden gilt. Allzu schnell geht vergessen, dass sich Bürgertum und Forschergeist nicht gegenseitig ausschliessen und dass Forschende damit nichts anderes sind als Bürgerinnen und Bürger, die eben auch Wissenschaft betreiben.
Mit Menschen reden – nicht mit der Öffentlichkeit
Natürlich: Die Wissenschafterin an der ETH erlebt einen anderen Alltag als der Verkäufer in der Migros oder der Eigentümer einer Schreinerei. Aber das bedeutet nicht, dass die Wissenschafterin vom Rest der Bevölkerung abgeschnitten ist oder dass der Graben zwischen Forschenden und Nicht-Forschenden grösser ist als zwischen Verkäufern und Nicht-Verkäufern oder zwischen Handwerkern und Nicht-Handwerkern.
Forschende müssen sich klarmachen, dass es möglich ist, einer bestimmten Arbeit nachzugehen und trotzdem ein vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Und als Mitglied dieser Gesellschaft ist es eine Bürgerpflicht, in den öffentlichen Dialog einzutreten. Nicht mit dem abstrakten Konstrukt der «Öffentlichkeit» als Gesprächspartnerin, sondern mit all jenen Mitmenschen, welche Teil dieser Öffentlichkeit sind.
Dieser Artikel ist am 01. März 2015 im Science-Blog von NZZ Campus erschienen.
Die Beiträge auf dem Reatch-Blog geben die persönliche Meinung der Autor*innen wieder und entsprechen nicht zwingend derjenigen von Reatch oder seiner Mitglieder.
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