Bridge employment senior

«Bridge Employment» - Die Zukunft der Arbeit im Alter?

Der Übertritt in den Ruhestand ist für ältere Menschen zunehmend mit Unsicherheiten verbunden. Einsamkeit im Alter und Altersarmut sind ernstzunehmende gesellschaftliche Probleme. «Bridge Employment» - ein sanfter Übergang zwischen beruflicher Karriere und vollständigem Rückzug aus dem Erwerbsleben - kann hier Abhilfe schaffen.

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«Warum syt dir so truurig? Förchtet der das, wo chönnt cho? [...] Und wenn ds Alter de chunnt, heit der e rächti Pension». Der gesicherte Anspruch auf eine ausreichende Altersvorsorge, wie sie der Berner Liedermacher Mani Matter besang, ist heutzutage fraglich. Die Hauptursache dieser Herausforderung ist der demographische Wandel: wir werden immer älter. Der zunehmende Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft erhöht die Dringlichkeit einer Lösungsfindung und setzt die Politik unter Handlungsdruck. Auf dem politischen Parkett werden bisher vorrangig Reformen der AHV debattiert; andere Massnahmen kommen dabei zu kurz. Dabei gibt es spannende Alternativen.

Bridge Employment: Der Pensionierungsprozess soll flexibler werden

Ein Phänomen, dem momentan in der Forschung zunehmend Bedeutung zukommt, ist das sogenannte Bridge Employment. Gemeint ist damit die Phase zwischen beruflicher Karriere und dem altersbedingten Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit. Bridge Employment fungiert als eine Art Sammelbegriff für unterschiedlichste Tätigkeiten rund um das Pensionierungsalter. Grundsätzlich geht es darum, den Pensionierungsprozess flexibler und individueller zu gestalten. Da wäre zum Beispiel die pensionierte Büroangestellte, die von ihrer Firma bei bestimmten Projekten als Expertin beigezogen wird. Oder der ehemalige Gemeindeschreiber, der sich weiterhin im öffentlichen Dienst engagiert. In der Schweiz hat sich in den letzten Jahren bereits einiges getan. Dies zeigt sich beispielsweise an der steigenden Anzahl an Erwerbstätigen über 65 Jahren (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1
Eigene Darstellung. Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS), Datensatz: Erwerbstätige (Inlandkonzept) nach Geschlecht, Nationalität (Stand: 26. September 2019).

Warum länger arbeiten?

Aus rein finanziellen Überlegungen ist die Rechnung schnell gemacht: Wer zusätzlich zur Rente ein Einkommen hat, hat am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche. Aber Geld ist bekanntlich nicht alles. Auch die psychologische Wirkung von Arbeit spielt eine wichtige Rolle. Ein Thema, das durch die demographischen und sozialen Veränderungen hervorgerufen wird, ist die fehlende Einbindung älterer Menschen in die Gesellschaft und der Verlust von sozialen Beziehungen im Alter. Daraus können Probleme wie Einsamkeit und Depression im Alter folgen. Dem kann Arbeit positiv entgegenwirken. Denn Arbeit strukturiert den Alltag, erweitert das soziale Umfeld und – was nicht zu unterschätzen ist – sie gibt uns eine Aufgabe und damit eine wahrgenommene Relevanz in der Gesellschaft. Verschiedene Studien zeigten, dass Bridge Employment mit höherer Zufriedenheit [1] und besserer psychischer Verfassung [2] einhergeht. Dies wiederum führt dazu, dass sich ältere Menschen weniger krank und gebrechlich fühlen [3]. Überspitzt ausgedrückt: Arbeit wirkt als «Jungbrunnen» für eine alternde Gesellschaft. Ebenfalls kann ein fliessender Übergang der Stereotypisierung älterer Arbeitnehmer entgegenwirken. Genau dieses «doppelte Potenzial» – die finanzielle Entlastung und die positive psychologische Wirkung – ist es, was das Bridge Employment zu einer spannenden Alternative macht.

Wieso nicht einfach das Rentenalter erhöhen?

Während von einer Erhöhung des Rentenalters alle Leute betroffen wären, berücksichtigt Bridge Employment die individuelle Situation. Aktuell ist das Pensionierungsalter in der Schweiz bei 64 respektive 65 Jahren festgesetzt. Wer früher aus dem Arbeitsprozess ausscheiden will, bekommt vom Staat weniger ausbezahlt. Beim Bridge Employment wird Alter nicht einfach durch eine Zahl definiert. Im Zentrum stehen die individuellen Möglichkeiten, die Motivation und die verfügbaren physischen und psychischen Ressourcen. Wenn jemand länger arbeiten will und kann, soll ihm oder ihr das möglich sein, ohne dass es zu einer generellen Erhöhung des Rentenalters kommt. Genauso soll es aber jeder oder jedem vergönnt sein, mit 64 respektive 65 oder gar früher in den Ruhestand zu gehen.

Bridge Employment als «eierlegende Wollmilchsau»?

Nebst dem offensichtlichen Potenzial, gibt es aber auch offene Fragen. Beispielsweise zeigt die Forschung, dass sich gutverdienende Arbeitnehmer*innen tendenziell früher als vorgesehen pensionieren lassen (siehe Abbildung 2). Hinzu kommt, dass – in verschiedenen Umfragen [4]– der meist genannte Grund für ein verlängertes Arbeitsleben monetäre Engpässe im Alter sind. Dies stellt offensichtlich eine Ungleichheit dar. Es gilt zu klären, ob Bridge Employment, durch die zunehmende Flexibilität im Pensionierungsprozess, diese Ungleichheit sogar verstärken würde.

Abbildung 2
Eigene Darstellung. Quelle: Bundesamt für Statistik (BfS), Datensatz: Bezüger/innen einer neuen Altersrente und monatlicher Betrag pro Person, berufliche Vorsorge (Pensionskassen und Freizügigkeitseinrichtungen), nach Geschlecht und Alter, 2017 (Stand: 26. September 2019).

Warum sollten wir trotzdem darüber sprechen?

Trotzdem ist es angesichts des demografischen Wandels wichtig, dass sich die Arbeitgeber*innen vermehrt mit den Chancen von Bridge Employment auseinandersetzen und damit experimentieren. Ältere Arbeitnehmer sind oft stabiler, verlässlicher und fühlen sich der Organisation mehr verpflichtet. Die Entscheidung, sich weiter zu engagieren erfordert eine positive Einstellung hinsichtlich Altersdiversität und aktiver Einbezug älterer Mitarbeiter. Der Übergang in den Ruhestand ist ein aktiver Prozess und sollte daher auch institutionell gefördert werden [4]. Ein solches Modell könnte nicht nur für ältere Leute attraktiv sein – auch jüngere Mitarbeiter*innen würden die Möglichkeit bekommen, abseits bestehender Hierarchien von der Erfahrung älterer Menschen zu profitieren.

Referenzen

[1]

Dingemans, E., & Henkens, K. (2014). Involuntary retirement, bridge employment, and satisfaction with life: A longitudinal investigation: RETIREMENT TRANSITIONS AND LIFE SATISFACTION. Journal of Organizational Behavior, 35(4), 575–591.

[2]

Wang, M. (2007). Profiling retirees in the retirement transition and adjustment process: Examining the longitudinal change patterns of retirees’ psychological well-being. Journal of Applied Psychology, 92, 455-474.

[3]

Zhan, Y., Wang, M., Liu, S., & Shultz, K. S. (2009). Bridge employment and retirees’ health: A longitudinal investigation. Journal of Occupational Health Psychology, 14(4), 374–389.

[4]

Dittrich, D., Büsch, V., & Micheel, F. (2011). Working beyond retirement age in Germany: The employee’s perspective. Older workers in a sustainable society, 189-202.

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Dieser Beitrag ist Teil des Projekts "Zukunft der Arbeit".

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Olivia Meier

Redaktion

Autor*innen

Autor*in

Alina Hunkeler studiert Psychologie an der Universität Bern und ist Mitglied der Projektgruppe Zukunft der Arbeit bei reatch.

Gian Giacomo Ruschetti studiert Psychologie an der Universität Bern und ist Mitglied der Projektgruppe Zukunft der Arbeit bei Reatch.

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