Kein Diktat der Meinungen!

Wenn Fakten verdreht werden, müssen Wissenschafter einschreiten. Doch auch deren Expertise hat Grenzen.

Wahrheit ist Ansichtssache. Diesen Eindruck zumindest vermitteln die politischen Debatten unserer Zeit. Klimaerwärmung? Existiert nicht! Im­pfungen? Schaden bloss! Gentechnik? Eine Gefahr für Mensch und Umwelt! Tierversuche? Medizinisch wertlos! – Eine Behauptung muss nicht mehr richtig sein, sie muss sich nur richtig anfühlen. Dadurch sind selbst wissenschaftlich gesicherte Informationen verhandelbar geworden. Das ist gefährlich.

Faktentreue statt Dogmatismus

Wissenschaft – so die Idealvorstellung – sollte nicht werten, sondern beschreiben. Die Rolle des Wissenschafters ist jene des fachlichen Beraters, nicht des politischen Meinungsmachers.

Doch wenn Donald Trump die Existenz des Klimawandels leugnet und Autismus auf Impfungen zurückführt; wenn eine mächtige Umweltschutzorganisation wie Greenpeace antiwissenschaftliche Propaganda gegen Gentechnik verbreitet; wenn Schlagzeilen alles sind und Fakten nichts mehr zählen – dann ist auch das Abseitsstehen ein politischer Akt. Dann müssen Wissenschafter einschreiten und klarmachen: Meinungen sind verhandelbar, Fakten nicht.

Trump on Twitter: The concept of global warming was created by and for the Chinese in order to make U.S. manufacturing non-competitive.

Trump on Twitter: Healthy young child goes to doctor, gets pumped with massive shot of many vaccines, doesn't feel good and changes - AUTISM. Many such cases!

Die Forderung nach Faktentreue darf aber nicht mit Dogmatismus verwechselt werden. Zu viele Wissenschafter glauben, dass abweichende Meinungen einzig auf einen Mangel an Wissen zurückzuführen seien: Wenn die Menschen besser über Gentechnik, Impfungen oder Tierversuche informiert wären, so der Gedanke, dann würden sie zwangsläufig «richtig» denken und handeln. Das ist ein Fehlschluss.

Die Wissenschaft kann zwar auf Fakten verweisen, die den Nutzen von Tierversuchen für Forschung und Medizin klar belegen. Dennoch gibt es legitime Gründe, gegen Tierversuche zu sein. Nämlich dann, wenn man Tieren das gleiche Recht auf Leben zugestehen will wie Menschen. Wissenschafter haben zu akzeptieren, dass einige Gruppen Tierversuche auch dann ablehnen, wenn sie deren Nutzen anerkennen. Umgekehrt müssen Tierversuchsgegner aufhören, wissenschaftlich erwiesene Tatsachen zu leugnen. Sie sollten vielmehr erklären, warum wir trotz medizinischem Nutzen auf Tierversuche verzichten sollten.

Eine gesunde Demokratie braucht sowohl Meinungen als auch Fakten. Leider sind Meinungen lauter, auffälliger und verlockender. Es ist einfach, die Wirksamkeit von Impfungen zu negieren, den Nutzen von Tierversuchen abzustreiten oder die Existenz des Klimawandels zu leugnen. Doch das führt bloss zu einer Fakten­schlacht ohne inhaltlichen Wert. Impfungen wirken, Tierversuche nützen, der Klimawandel existiert. Darüber müssen wir nicht mehr streiten. Besser ist es, die Fakten zu akzeptieren und die Meinungsverschiedenheiten anzugehen.

Wie wichtig ist uns der Nutzen?

Anstatt die Wirkung von Impfungen zu bezweifeln, sollten wir uns fragen: Was liegt uns an dieser Wirkung? Anstatt den Nutzen von Tierversuchen abzustreiten, sollten wir klären: Wie wichtig ist uns dieser Nutzen? Und statt den Klimawandel zu leugnen, sollten wir definieren, wie wir darauf reagieren wollen.

Tun wir das nicht, streiten wir nur über Fakten, statt sie zu würdigen. Und eine Demokratie, die Fakten nicht zu würdigen weiss, verkommt zur Diktatur der Meinungen.

Dieser Artikel ist am 21. Oktober im Science-Blog von NZZ Campus erschienen.

Autor*innen

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Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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