Der Germanist und Romanist Martin Ebel, Verantwortlicher für die Literaturredaktion im Tagesanzeiger, argumentiert in seinem jüngsten Artikel im Tagesanzeiger unter anderem, dass die Verwendung der geschlechtergerechten Sprache ein ästhetisches Problem sei und zudem den zweckmässigen Gebrauch von Sprache erschwere. Der Artikel ist ein gutes Beispiel für Probleme, die in der Beziehung zwischen Lai*innen und Expert*innen auftauchen können.
Eine einfache Definition von Expert*innen besagt, dass sie besonders erfolgreich darin sind, etwas bestimmtes zu tun. Sie können also zum Beispiel etwas besser erklären oder vorhersagen als andere, weil sie sich auf einen spezifischen Bereich spezialisiert haben. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Expert*innen vorrangig über das Auskunft geben sollten, für das sie Expert*innen sind.
Im Artikel von Ebel werden nun zwei miteinander verwandte Probleme in der Beziehung zwischen Expert*innen und Lai*innen sichtbar:
1. Expert*innen sprechen zu einer Ebene, bei der sie nicht über hinreichend Kompetenz verfügen.
2. Expert*innen vermischen verschiedene Ebenen, ohne jedoch diese Vermischung explizit zu machen und zu erklären.
Martin Ebel ist in erster Linie kompetent im Feld der Ästhetik und, noch genauer, in jenem der Literatur. Die Schönheit und Funktionalität der Sprache ist sein Gebiet, dort ist er der Experte. Fragen der Ästhetik und Funktionalität können in der Debatte rund um Geschlechtersternchen oder Binnen-I durchaus eine Rolle spielen. So könnten sprachwissenschaftliche Expert*innen wie Ebel auch Vorschläge ausarbeiten, wie die bessere Repräsentation mehrerer Geschlechter in unserer Sprache eleganter gelöst werden könnte.
Die Diskussion über die Verwendung der geschlechtergerechten Sprache dreht sich jedoch nicht nur um Ästhetik und Funktionalität, sondern auch um die sprachliche Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen und um moralische Positionen.
Ich möchte zuerst kurz bei der Frage der Repräsentation verbleiben. Martin Ebel behauptet, dass von einer geschlechtergerechten Sprache «niemand etwas [habe]». Aus einer rein ästhetischen Perspektive mag das stimmen, obwohl sich über Geschmack bekanntlich streiten lässt. Doch schon in Bezug auf die Zweckmässigkeit der Sprache und die Frage der sprachlichen Repräsentation der Geschlechter hat die geschlechtergerechte Sprache durchaus Vorteile. So ermöglicht sie präzisere Formulierungen und sorgt zum Beispiel dafür, dass sich Frauen eher angesprochen fühlen, wenn das weibliche Geschlecht auch genannt wird, wie Philippe Wampfler und Manuel Bamert in einer Replik auf Ebels Artikel aufgezeigt haben.
Es kann also gute Gründe geben, eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Ob wird das auch tun sollen, ist aber eine moralische Frage. David Hume lenkte als einer der Ersten in der Philosophie das Augenmerk auf die Unterscheidung zwischen dem Sein und dem Sollen. [1] Damit meinte er, dass nur weil etwas ist, es nicht auch zwingend sein soll. Dieser wichtige Beitrag zur Ethik lässt sich am vorliegenden Beispiel gut verdeutlichen: Nur weil in unserer Sprache mit der männlichen Form implizit auch weiblich gelesene Personen mitgedacht werden können, bedeutet dies nicht, dass die Sprache auch so funktionieren soll. Aus einer Beobachtung über die Verwendung einer Sprache folgt nicht, dass dies automatisch die gute Verwendung der Sprache ist. Ebensowenig ist die bessere Repräsentation der Geschlechter für sich genommen ein Grund, die geschlechtergerechte Sprache zu verwenden.
Fragen zur Verwendung geschlechtergerechten Sprache lösen also zunächst eine moralische Debatte darüber aus, was das Gute ist. Es geht darum, wie unsere Gesellschaft andere Geschlechter als das cis-männliche in der Sprache repräsentieren möchte. Wenn sich jemand zu solchen Fragen äussern möchte, dann geht in erster Linie um Moral.
Aus diesem Grund ist es entscheidend, dass moralische Argumente von Tatsachenaussagen und ästhetischen Aussagen zu trennen. Und Martin Ebel tut das nicht. Er argumentiert in seinem Artikel über alle Ebenen hinweg, ohne zu zeigen, wie sie im vorliegenden Fall miteinander zusammenhängen.
Die Relevanz dieser Probleme wird ersichtlich, wenn ich auf eine Idee der Philosophin Linda Trinkaus Zagzebski verweise. Sie prägte den Begriff der epistemischen Autorität. Die epistemische Autorität besagt vor allem eines: unter bestimmten Umständen sind wir dazu berechtigt, die Aussagen anderer Subjekte zu übernehmen [2]. Wenn man der Argumentation von Zagzebski folgt, ist es nicht nur aufgrund unserer beschränkten Ressourcen gerechtfertigt, dass wir uns auf andere und vor allem auf ihr Wissen verlassen müssen, sondern es gibt auch überzeugende philosophische Gründe dafür. Unter dieser Voraussetzung ist es nun höchst problematisch, wenn ausgewiesene Expert*innen den Bereich ihrer Expertise nicht hinreichend sorgfältig deklarieren. Denn für Lai*innen ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, wo sie berechtigt sind, auf die Autorität von Expert*innen zu vertrauen und deren Aussagen zu übernehmen.
Die Probleme, die ich hier beschrieben habe, findet sich auch in vielen anderen Gebieten. Die Verwendung von Windkraft hat zunächst nichts damit zu tun, ob ein Mensch Windkrafträder besonders schön finden oder nicht. Ob es moralisch vertretbar ist, Pflanzen genetisch zu manipulieren, sagt noch nichts darüber aus, ob daraus Schäden für die Umwelt entstehen oder nicht.
Ein sorgfältiger Umgang mit den Instrumenten der Wissenschaft bedeutet eben auch, sich stets zu vergegenwärtigen, worüber diese uns Auskunft geben. Wenn es wichtig ist, über verschiedene Ebenen einer Debatte gleichzeitig zu sprechen, dann müssen gerade Expert*innen aufgrund ihrer Autorität besondere Sorgfalt walten lassen und zeigen, warum sie das tun. Sie müssen sich sicher sein, dass sie noch über die nötigen Kompetenzen verfügen, sprechen zu dürfen.
Referenzen
Hume, David: A Treatise of Human Nature, Oxford 2000[1738–1740].
Zagzebski Trinkaus, Linda: Epistemic Authority. A Theory of Trust, Authority and Autonomy in Belief, Oxford 2012.
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