Während ich diese Zeilen schreibe, üben meine Fingerkuppen systematisch Druck auf spezifische Tastenelemente der Tastatur aus. Auf dem Bildschirm formen sich die Pixel zu Buchstaben, welche sich zu Wörtern reihen und diesen Satz bilden. Obwohl ich den Satz erst jetzt vor mir auf dem Computer wahrnehme, kannte ich ihn schon ein paar Millisekunden vorher. Erst feuerten zigtausende von Neuronen in den Spracharealen meines Gehirns. Sie leiteten ein Signal weiter zu Arealen, in denen die Tastenanordnung vor mir repräsentiert ist. Und schliesslich wurden meine motorischen Hirnregionen aktiviert, die wiederum über Nervenfasern durch mein Rückenmark bis hin zu den Spitzen meiner Fingermuskeln ein feinjustiertes, hochpräzises Signal evozierten. Das Ergebnis: Ich drücke eine Computertaste.
Wer braucht schon Finger zum Schreiben?
Man stelle sich vor, dass es irgendwo in einer Nervenfaser (einem Axon) zwischen dem Gehirn und den Muskelfasern der Finger einen Unterbruch gäbe, wie es bei bestimmten Formen der Querschnittlähmung der Fall ist. Obwohl das Gehirn nach wie vor einwandfreie, fein abgestimmte elektrische Signale sendet und Sehnen, Muskelgewebe und Fingerknöchelchen in den Händen unbeeinträchtigt sind, wird es nie zu einer Bewegung kommen. Die Computertastatur wird nicht betätigt.
Genau in solchen Fällen fanden Brain-Computer-Interfaces bisher Verwendung. «Brain-Computer-Interfaces», kurz BCI, ist eine Bezeichnung für Geräte, die eine direkte Interaktion zwischen Gehirn und Computer ermöglichen sollen, ohne dabei auf das periphere Nervensystem des Menschen angewiesen zu sein. Konkret heisst das, dass zum Beispiel eine Computertaste nicht mehr durch Finger bedient werden muss. Stattdessen misst das BCI – ein Gerät in oder auf dem Kopf – die neuronale Aktivität spezifischer Hirnareale, interpretiert diese anhand von Algorithmen und leitet entsprechende Signale an den Computer. Deshalb kein Wunder, dass BCIs beim Vorreiter technologischer Innovationen, Elon Musk, auf Interesse gestossen sind. Doch dazu später mehr.
Ein Computer kann mittels eines BCIs effektiv «durch Gedanken» gesteuert werden. So gibt es inzwischen Patienten mit Lähmungen der Arme und Hände – da beschädigte Nervenfasern das Signal nicht weiterleiten –, die dank BCIs selbständig wieder Mails schreiben oder sich in den Weiten des Internets zum aktuellen Weltgeschehen informieren können.
Doch weshalb schreiben wir nicht alle via Gedanken, sondern mühen uns täglich mit einer Tastatur ab, an der wir uns sowieso immer wieder vertippen? Könnten wir nicht auch andere Geräte, wie beispielsweise ein Auto, mit unseren Gedanken steuern? Oder uns die Transaktion beim Schuhkauf im Internet nicht einfach vorstellen, anstatt die Kreditkarte aus dem Portemonnaie hervorzukramen und den Kreditkarten-Code abzulesen? Technisch betrachtet sicher möglich, im Alltag aber unvorstellbar. Denn: Die Gehirnaktivität zu messen, hat seine Tücken. Bisher braucht man dazu beispielsweise ein stationäres Forschungslabor mit dutzenden Forschenden und es fallen Gerätekosten in Millionenhöhe an.
Die Krux bei BCIs ist, dass diese nicht nur das Potential haben unsere Hirnaktivität zu lesen – sprich zu verstehen, was wir denken – sondern auch unsere Hirnaktivität zu beeinflussen [1]. Durch elektrische Stimulation am Hirn können also Vorgänge im Hirn verändert werden. Ein Beispiel sind Prothesen mit BCIs, die ein haptisches Feedback im Hirn erzeugen. Wer zum Beispiel mit einer Prothesen-Hand ein Glas Wasser anhebt, kann das Glas durch die künstlichen Finger auch spüren.
Geistesblitz: Wie ein Gehirn denkt
In der Hirnforschung gibt es nicht «die» Messmethode, sondern verschiedene Verfahren mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Daher können wir mit einer einzigen Methode auch nur eine sehr begrenzte Vorhersage der tatsächlichen Vorgänge im Gehirn machen. Bezogen auf BCIs bedeutet dies, dass ein BCI nicht «alles» messen kann, sondern eben nur einen sehr spezifischen Vorgang im Gehirn. Eine der beliebtesten Methoden zur Messung neuronaler Aktivität ist das Elektroenzephalogramm (EEG). Elektroden sind Leiter, die ein elektrisches Signal aufnehmen und weiterleiten können.
Doch weshalb elektrisch? Die Zellen unseres Gehirns, die in ihren komplexen Interaktionen unsere Wahrnehmungen, Gedanken, Bewegungssteuerung, Gefühle und alle anderen neurologischen Vorgänge erzeugen, kommunizieren miteinander in Form von elektrischen Signalen. Genauer gesagt flitzen Ionen, also elektrisch geladene Teilchen, durch ein Neuron und aktivieren am Ende des Neurons damit verbundene weiteren Neuronen.
Diese elektrischen Signale einzelner Neuronen sind sehr schwach. Zwar können sie durch das Gehirn, die Gehirnhäute, den massiven Schädelknochen und schliesslich durch die Kopfhaut dringen und von uns mittels Elektroden eines EEGs detektiert werden. Diese feinen Signale müssen aber immens verstärkt werden, damit sie von einem Computer ausgewertet werden können und dürfen nicht von irgendwelchen anderen elektrischen Signalen gestört werden. Das ist im 21. Jahrhundert gar nicht so einfach.
Dazu ein Beispiel: Stell dir vor, du lauschst einem Gespräch, das in einem anderen Zimmer stattfindet. Durch die Wand ist es viel schwieriger, die einzelnen Wörter zu verstehen. Möglicherweise bekommst du nur Gesprächsfetzen mit und es ist viel schwieriger zu erraten, wer von den beiden Personen gerade spricht. Genauso geht es Forschenden beim Hirn. Auch hier ist es unglaublich schwer zu erraten, aus welcher Hirnregion das detektierte Signal tatsächlich kommt, da sich die elektrischen Signale an der Kopfoberfläche verteilen und sich miteinander vermischen.
Hirmessgeräte sollen alltagstauglich werden
Dies ist wohl der Hauptgrund dafür, dass sich Hirnmessgeräte (noch) nicht in unseren Alltag integrierten. Die Kosten sind zu hoch und mit dem Kopf in einem Scanner, der mit meterdicken Betonschichten vor elektromagnetischen Einflüssen geschützt werden soll, ins Büro zu gehen, ist nicht gerade praktisch. Ebenfalls unbequem dürfte es sein, mit einer Elektrodenhaube, die nicht mal im Millimeterbereich verrutschen darf und mit zahlreichen Kabeln verknüpft ist, ins Auto zu steigen.
Elon Musk will das ändern, und zwar mit einem Ansatz, welcher der sogenannten Schädeltrepanation ähnelt. Die Hirnmessung soll also nicht auf dem Kopf, sondern im Kopf stattfinden. Erreichen will dies Musk mit dem BCI ‘Neuralink’, einem münzgrossen Chip, der direkt ins Gehirn gepflanzt wird und somit direkt mit dem Gehirngewebe und den darin enthaltenen Neuronen Kontakt hat. Dazu muss ein Loch in den Schädel gebohrt werden.
Das ist ein Paradigmenwechsel sondergleichen. Warum? Die zuvor besprochenen Probleme schwacher und uneindeutiger Signale und deren Anfälligkeit auf Störeinflüsse ergaben sich primär, weil Hirnaktivität indirekt gemessen wurde, ohne dabei einen invasiven Eingriff vorzunehmen. Bei Operationen in Spitälern findet die Form der direkten Hirnmessung jedoch seit Längerem Verwendung. Es scheint, als wolle Musk diese invasive Form der Hirnmessung bei «Patienten» nicht nur auf das Spitalsetting begrenzen, sondern auch im Alltag ansiedeln [2].
Die Silicon Valley-Mentalität, in der Technologie immer kleiner und effizienter werden zu wollen, scheint sich auf die Vision des Neuralinks zu übertragen: Der Neuralink soll mehr Elektroden haben als bisher in der Medizin übliche Anwendungen. Zudem wird der Chip nicht nur während ein paar Stunden, sondern möglicherweise ein ganzes Leben im flüssig-salzigen Gehirnmilieu verbringen, was heisst, dass die Elektroden des Chips besonders resistent sein müssen [3]. Hierzu wurde extra eine neue Faser-Technologie entwickelt, die diesen Bedingungen gewachsen sein soll [3].
Alles nur eine Spielerei?
Gut möglich, dass dies aber auch die einzige echte Innovation ist. Denn bisher konnte das Forschungsteam von Musk einem Affen das Hirn so verstöpseln, dass dieser das Computerspiel «Pong» spielen konnte – ohne Hände, sondern rein durch Gedanken [4]. Zur Erinnerung: Das Spiel «Pong» ist aus den 70er-Jahren und kann entsprechend nicht mit der Komplexität von Aufgaben wie dem Autofahren in dichtem Strassenverkehr gleichgesetzt werden. Erwähnen sollte man ausserdem, dass das von einem Affenhirn gesteuerte Pong-Spiel nicht wirklich von Musks Forschungsgruppe konzipiert wurde, sondern die Replikation eines Experimentes unter Arzt und Neurowissenschaftler Miguel Nicolelis ist [5]. Nicolelis kommentierte Musks Forschung wenig euphorisch mit «Mr. Musk doesn’t understand a bit of neuroscience and what is the brain, […] he barely knows where it’s located» [6].
Aktuell scheint eine starke Diskrepanz zwischen Visionen rund um Neuralink und dem aktuellen Forschungsstand zu herrschen. Wenn Musk von revolutionären Anwendungen spricht, beispielsweise in Zukunft Gedanken zu speichern und erneut abzuspielen, ist es schwer, ihn zu widerlegen – denn was heisst schon «Zukunft»? Sehen wir aber seinen aktuellen Forschungsstand mit einem Pong-spielenden Affen und einem Schwein, dessen Neuralink beim Fressen aktiviert wird, ist klar, dass die von uns erträumten Anwendungen beim Menschen wohl noch lange warten müssen [7]. Und sollte ein kommerzieller Chip auf den Markt kommen, wird sich wohl die Frage stellen, wie unsere Hirninformationen überhaupt verwendet werden dürfen. Wird dies weiterhin auf einer rein medizinischen Ebene bleiben, oder sind bald auch unsichtbare Dritte wie Versicherungen oder Marketingagenturen an unseren Gedanken interessiert?
Kopernikanische Wende unserer Autonomie
Die wahre Innovation unter Musks Vorhaben ist keineswegs in einem technologischen Sinne zu begründen. Hirnsignale messen, das können wir schon lange [8]. Vielmehr hat Neuralink das Potenzial eines gesellschaftlichen Umbruchs. Ein Chip, der mit dem Hirn interagiert, hört sich erstmal nach einer Bedrohung unserer Autonomie an. Ist eine Person mit einem solchen Chip im Hirn noch immer dieselbe Person? Macht ein Chip weniger menschlich? Könnte unser Körper gegen den eigenen Willen handeln oder ein manipulierter Wille gar unseren Körper für unethische Handlungen ausnützen? Mit Blick auf die Psychiatrie sind diese Fragen grundsätzlich nichts Neues. Psychopharmaka können und sollen ja gerade unsere Empfindungen und Wesenszüge verändern. Ob wir diese Veränderung des Gehirns indirekt über chemische Medikamente oder direkt mit einem Chip erreichen, muss moralisch betrachtet keinen Unterschied machen.
Musks Vorhaben hat aber das Potential, künftig «gesunden» Menschen ohne psychische oder physische Beeinträchtigungen im Sinne eines «Enhancements» zu helfen. Vielleicht wird dadurch ein Eingriff in das menschliche Gehirn nicht mehr als eine Verletzung unserer Autonomie, sondern gar als eine Erweiterung deren verstanden. Dieses Outsourcen unserer Leistungsfähigkeit ist schliesslich nichts Neues: Sei dies mit einem Abakus oder dem Smartphone, wir speichern Informationen extern ab, manipulieren diese und rufen sie bei Bedarf wieder ab. Mit Brain-Computer-Interfaces könnten wir dies schneller und unabhängiger von unseren körperlichen Dispositionen erreichen. Ob BCIs unsere geistige Freiheit fördern oder unsere Autonomie limitieren, scheint nicht eine Frage der technologischen Möglichkeiten zu sein, sondern eine Frage, welche Visionen in unserer Gesellschaft Anklang finden.
Referenzen
Soekadar, S., Chandler, J., Ienca, M., & Bublitz, C. (2021). On The Verge of the Hybrid Mind. Morals &Amp; Machines, 1(1), 30–43. https://doi.org/10.5771/2747-5...
Neuralink, “Neuralink,” neuralink.com, 2021. https://neuralink.com/applicat...
Neuralink, “Neuralink,” neuralink.com, 2021. https://neuralink.com/approach...
J. Wakefield, “Elon Musk’s Neuralink ‘shows monkey playing Pong with mind,’” BBC News, Apr. 09, 2021. [Online]. Available: https://www.bbc.com/news/techn...
M. N. LAB, “Monkeys Use Minds to Move Two Virtual Arms | Laboratory of Dr. Miguel Nicolelis.” https://www.nicolelislab.net/?... (accessed Oct. 30, 2022
Robitzski, D. (2021, 27. Mai). Neuroscience Pioneer Slams Elon Musk’s Neuralink Claims. Futurism. https://futurism.com/neoscope/...
Neuralink: Meet Gertrude, the pig with a chip in her brain. (2020, 29. August). BBC News. https://www.bbc.com/news/av/wo...
M. Tudor, L. Tudor, and K. I. Tudor, “[Hans Berger (1873-1941)--the history of electroencephalography],” Acta Medica Croatica: Casopis Hravatske Akademije Medicinskih Znanosti, vol. 59, no. 4, pp. 307–313, 2005, [Online]. Available: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.go...
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