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Vertrauen ist gut, Kontrolle wäre besser

Für die Komplementärmedizin gilt künftig das «Vertrauensprinzip». Die Therapien werden auch dann von der Krankenkasse bezahlt, wenn die Wirkung unbewiesen ist. Ein Fehler.

Für die Komplementärmedizin gilt künftig das «Vertrauensprinzip». Die Therapien werden auch dann von der Krankenkasse bezahlt, wenn die Wirkung unbewiesen ist. Ein Fehler.

Vor sieben Jahren setzte die Schweizer Bevölkerung ein deutliches Zeichen für alternative Therapien: Über zwei Drittel der Stimmenden sagten Ja zur «Zukunft mit Komplementärmedizin». Seither geniessen Homöopathie & Co. in der Schweiz Verfassungsrang.

Nun sollen die Therapien der anthroposophischen Medizin, der traditionell chinesischen Medizin (TCM), der Homöopathie und der Pflanzenheilkunde endgültig in den obligatorischen Leistungskatalog der Krankenkassen übernommen werden. Der Bundesrat will es so.

Die Begründung klingt im ersten Moment abstrus: Obwohl «der Nachweis aussteht, dass die Leistungen der vier komplementärmedizinischen Fachrichtungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind» und obwohl sich gezeigt hat, «dass dieser Nachweis für die Fachrichtungen als Ganzes nicht möglich sein wird», soll die Komplementärmedizin den schulmedizinischen Fachrichtung gleichgestellt werden.

Kein erwiesener Nutzen? Die Krankenkasse bezahlt!

Diese Gleichstellung gilt zwar auch in Bezug auf die Nachweispflicht. Konkret: Die Komplementärmedizin muss sich den gleichen Kriterien stellen wie die evidenzbasierte Medizin und das sogenannte WZW-Prinzip (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit) erfüllen. Der Haken an der Sache: Die Beweislast ist im Gegensatz zur Schulmedizin umgekehrt.

Anstatt komplementärmedizinische Methoden einzeln zu prüfen und nur dann in den Leistungskatalog aufzunehmen, wenn deren Nutzen nachgewiesen ist, werden pauschal sämtliche Therapien aufgenommen. Erst wenn jemand einen Antrag auf Überprüfung stellt, wird eine bestimmte komplementärmedizinische Leistung genauer auf ihre Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit untersucht.

Im Zweifel für die Komplementärmedizin?

Hinzu kommt, dass der Bundesrat neben den Verordnungen zur Krankenkasse auch das Heilmittelgesetz revidiert hat und darin ein vereinfachtes Zulassungsverfahren für Arzneimittel der Komplementärmedizin vorschlägt. Jene Arzneimittel, welche über «keine Angabe eines bestimmten Anwendungsgebietes» verfügen, «da ihre Anwendung individualtherapeutisch nach einem speziellen komplementärmedizinischen Therapieprinzip (z.B. Homöopathie, Anthroposophie, asiatische Medizin) erfolgt», müssen in Zukunft nicht mehr beweisen, dass sie nützen, sondern nur noch zeigen, dass sie nicht schaden. Arzneimittel, die nur in geringen Mengen hergestellt werden, sind völlig von der Zulassungspflicht befreit (Botschaft zur Änderung des Heilmittelgesetzes, 7. November 2012, S. 59).

Im Klartext: Während herkömmliche Medikamente aufwändige und teure Zulassungsverfahren durchlaufen müssen, erhalten die Arzneimittel der Komplementärmedizin einen regelrechten «Zulassungsbonus».

Politischer Zugzwang

Mit diesem Vorgehen begibt sich der Bundesrat auf dünnes Eis. Zugegeben: Eine klare Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger möchte die Komplementärmedizin in der Grundversicherung haben. Der Bund ist entsprechend verpflichtet, «im Rahmen seiner Zuständigkeiten für die Berücksichtigung der Komplementärmedizin» zu sorgen.

Das wäre jedoch machbar gewesen, ohne die Komplementärmedizin bevorzugt zu behandeln. Die Volksabstimmung von 2009 hätte Ausgangspunkt einer seriösen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit komplementärmedizinischen Behandlungen sein können – nicht nur in medizinischer, sondern auch in psychologischer und geisteswissenschaftlicher Sicht.

Was hilft wirklich? Und warum?

So hätte man zum Beispiel jene Elemente der Komplementärmedizin identifizieren können, welche den Patienten tatsächlich helfen. Dazu müsste man nicht nur systematisch die medizinische Wirksamkeit von komplementärmedizinischen Arzneien und Therapien untersuchen, sondern auch der Frage nachgehen, warum Herr und Frau Schweizer überhaupt so häufig zur Komplementärmedizin greifen. Anscheinend scheint sie gewisse Patientenbedürfnisse zu bedienen, welche von der Schulmedizin nicht befriedigt werden.

Damit Klarheit herrscht: Es geht mir nicht darum, Homöopathie, Anthroposophie oder TCM ein pseudowissenschaftlichen Mäntelchen umzuhängen. Die vorgeschlagenen Untersuchungen sollen jedoch herausfinden, ob und – wenn ja – warum Patienten von gewissen komplementärmedizinischen Methoden profitieren.

Es gilt deshalb klar zu trennen zwischen der komplementärmedizinischen Anwendung und deren Begründung. Während der Nutzen einer Anwendung wissenschaftlich überprüfbar ist, entziehen sich die meisten komplementärmedizinischen Erklärungen einer wissenschaftlichen Sichtweise. Krankheiten entstehen nicht wegen «blockierten Meridianlinien» oder einem «Ungleichgewicht» der vier menschlichen «Wesensglieder». Und die «Befreiung der «Lebenskraft Qi» trägt genauso wenig zur Genesung eines Patienten bei wie «energetische Informationen» in homöopathischen Globuli.

Ein fragwürdiges Zeichen

Dass die Komplementärmedizin mehrheitlich auf esoterischen Grundannahmen fusst, ist an sich kein Problem. Esoterik hat durchaus ihre Existenzberechtigung, denn sie eröffnet uns eine Sichtweise auf die Welt, welche die Wissenschaft nicht bieten kann – gerade weil die Esoterik unwissenschaftlich ist. Problematisch wird es aber, wenn Esoteriker – wie im Falle der Komplementärmedizin – einen Anspruch auf «Wissenschaftlichkeit» erheben und esoterische Antworten auf wissenschaftliche Fragen geben wollen.

Genau das fördert der Bundesrat aber, wenn er der Komplementärmedizin eine Art «Vertrauensbonus» in medizinischen Belangen zugesteht. Damit darf sich die Komplementärmedizin in wissenschaftliche Bereiche einmischen, ohne selber an wissenschaftliche Grundsätze gebunden zu sein. Der evidenzbasierten Medizin bleibt das Nachsehen.

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Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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