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Game Over für das politische Spiel mit Statistiken

Statistische Informationen sind bei vielen politischen Fragen unerlässlich, um sachliche Entscheide fällen zu können. Doch oft greifen Politiker zu verzerrten Zahlen und Diagrammen, um ihren Standpunkt zu untermauern. Einige Hinweise, um den Tricksern auf die Spur zu kommen.

Aus dem Science-Blog von NZZ Campus. Den Original-Artikel gibt es hier zu lesen.

Die Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» will verbieten, dass Banken und Versicherungen in Lebensmittel investieren können, um damit Gewinne zu erzielen. Der Grund: Solche Spekulationen seien verantwortlich für erhöhte Lebensmittelpreise und Hungersnöte in Drittweltländern.

Die Initiativgegner erklären hingegen, dass solche Investitionen eine preisstabilisierende Wirkung hätten und dass andere Ursachen für den Anstieg von Lebensmittelpreisen verantwortlich seien.

Kein sauberer Umgang mit statistischen Informationen

Ich bin kein Ökonom. Aus diesem Grund werde ich mir nicht anmassen, ein Urteil darüber abzugeben, ob solche Nahrungsmittelspekulationen tatsächlich zu mehr Hunger führen oder ob die Initiative ein wirksames Instrument dagegen wäre.

Was ich jedoch mit Bestimmtheit sagen kann: Befürworter wie Gegner gehen mitunter täuschend mit ihren Datenquellen um. Die folgenden sechs Fragen sollen dazu dienen, die Aufmerksamkeit der Leser auf eine Auswahl dieser absichtlichen oder unabsichtlichen Täuschungen zu lenken – in der Hoffnung, dass der unsaubere Umgang mit statistischen Informationen damit leichter zu erkennen ist.

Die verwendeten Beispiele entstammen alle der Website des Pro-Komitees sowie der Stellungnahme der Kleinpartei up!schweiz, welche die Initiative ablehnt und mehr Informationen zur Verfügung stellt als das überparteiliche Gegenkomitee.

1. Woher stammen die Daten?

Wenn der Gewerkschaftsbund und der Arbeitgeberverband je eine Erhebung zur Lohnzufriedenheit der Arbeitnehmenden erstellen, dann wird das mit grosser Wahrscheinlichkeit unterschiedliche Ergebnisse zur Folge haben. Untersuchungen von Interessengruppen sind bis zu einem gewissen Punkt immer ideologisch aufgeladen.

Das macht sie nicht wertlos, aber sie müssen kritisch betrachtet werden. Und im Zweifelsfall sollten wir Informationen aus weitgehend unabhängigen Quellen wie der UNO, der EU oder dem Bundesamt für Statistik mehr Vertrauen schenken.

Das scheinen sowohl Befürworter wie Gegner der Spekulationsstoppinitiative zu wissen: Sie beziehen sich in ihrer Argumentation hauptsächlich auf unabhängige Erhebungen, wobei die Befürworter zusätzlich auf Untersuchungen von Interessengruppen zurückgreifen.

2. Werden die Daten korrekt wiedergegeben?

Eine vertrauenswürdige Quelle ist noch keine Garantie dafür, dass die daraus gezogenen Schlüsse zulässig sind. So stützen sich die Initianten massgeblich auf einen Bericht der Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD, der in der Tat einen Zusammenhang zwischen den Aktivitäten von Finanzakteuren und dem Welthandelspreis von gewissen Lebensmitteln aufzeigt.

Der Bericht macht jedoch keinerlei Aussage darüber, ob dieser Zusammenhang für Lebensmittel im Allgemeinen gilt und ob Nahrungsmittelspekulationen auch die lokalen Preise in Drittweltländern beeinflussen.

3. Was wird dargestellt?

Selbst wenn die Daten aus einer vertrauenswürdigen Quelle stammen und korrekt wiedergegeben werden, besteht immer noch die Möglichkeit, dass sie nicht das zeigen, was wir erwarten würden.

So ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, was sich hinter den Bezeichnungen «Real Food Price Index» und «Agricultural Price Index» versteckt. Wir können im ersten Moment nur vermuten, dass diese Grössen irgendetwas mit Nahrungsmittelpreisen in Drittweltländern zu tun haben.

Doch das stimmt nur bedingt. Hinter dem von «up!schweiz» verwendeten «Agricultural Price Index» versteckt sich eine Mischrechnung aus den Preisen von 18 landwirtschaftlichen Produkten, welche neben den Kosten für Grundnahrungsmitteln wie Fleisch oder Getreide auch die Preise für Kaffee, Kakao, Baumwolle oder sogar Holz beinhaltet. Der Titel der dazugehörigen Infografik («Nahrungsmittelpreise: The Big Picture») ist deshalb irreführend.

Die Initianten haben mit dem FAO Food Price Index – einem gewichteten Durchschnitt von Preisen für Fleisch, Milchprodukte, Getreide, Pflanzenöl und Zucker – eine sinnvollere Grösse gewählt. Was sie jedoch unterschlagen: Es handelt sich um den Preis am Weltmarkt und nicht um die tatsächlichen Lebensmittelkosten in Drittweltländern.

4. Werden Diagramme verzerrt dargestellt?

Es ist vergleichsweise einfach, eine Grafik so zu bearbeiten, dass die gewünschte Botschaft möglichst deutlich zum Vorschein kommt. So haben die Initiativbefürworter in der unten dargestellten Grafik zwei Zeiträume rot eingefärbt um die vermeintlich von Spekulation verursachten Preisspitzen zu zeigen.

Schwerer wiegt jedoch das unzulässige Zurechtschneidern der Y-Achse. Statt die Achse bei null anzusetzen, haben die Initianten die ersten fünfzig Indexpunkte weggelassen – mit dem Ergebnis, dass die Preisspitzen extremer erscheinen, als sie in Wirklichkeit sind. Dieser Effekt wird verstärkt durch Verwendung monatlicher statt jährlicher Lebensmittelpreise.

Die Gegner der Initiative lassen die Y-Achse unangetastet. Aber sie spielen dafür mit der X-Achse. Während das Pro-Komitee die Spekulationstätigkeiten seit der Jahrtausendwende kritisiert, zeigt «up!schweiz» eine Grafik, welche bis ins Jahr 1900 zurückgeht.

Der Trick dabei: Weil Preise für landwirtschaftliche Produkte in den letzten hundert Jahren massiv gefallen sind, erscheint der Anstieg seit der Jahrtausendwende vernachlässigbar klein.

5. Gibt es andere Erklärungen?

Der Verweis auf sinkende Lebensmittelpreise seit 1900 dient noch einem anderen Zweck: Damit soll gezeigt werden, dass «die Integration der Nahrungsmittelversorgung in globalisierte Märkte die Nahrungsmittelpreise nachweislich nicht erhöht, sondern deutlich gesenkt» habe.

Der weltweite Handel mit Lebensmitteln hat sicherlich einen Einfluss auf deren Preis. Aber einerseits spricht sich die Initiative nur gegen einen kleinen Teil dieses Handels aus. Und andererseits gibt es für reduzierte Preise verschiedene andere Gründe – wie die Entwicklung von Kunstdünger, die Industrialisierung der Landwirtschaft und die biotechnologische Weiterentwicklung von Nutzpflanzen.

Ein Einfluss von Nahrungsmittelspekulationen auf den Hunger in Drittweltländern ist möglich, aber nur sehr schwierig nachzuweisen und scheint auch unter Ökonomen umstritten zu sein.

6. Haben die Informationen etwas mit dem Thema zu tun?

Komplexe Zusammenhänge haben aber nur selten Platz in einem Abstimmungskampf. Stattdessen greifen Befürworter wie Gegner zu einem beliebten Trick: Sie rücken weitgehend unbestrittene Fakten in den Vordergrund und tun dann so, als hätten sie damit auch jene Fragestellung beantwortet, um die es bei der Abstimmung eigentlich geht.

So präsentieren die Initianten der Spekulationsstoppinitiative zehn «Zahlen und Fakten zu Hunger», an denen es rein faktisch nichts auszusetzen gibt. Doch die Information, dass der Klimawandel zu mehr Armut führt, sagt uns nichts über den Zusammenhang zwischen Nahrungsmittelspekulation und Hunger aus.

Auch die Gegner benutzen Zahlen von Hungerleidenden, um ihre Argumente zu unterstreichen. Sie verweisen darauf, dass der prozentuale Anteil der Hungerleidenden in den letzten 20 Jahren stetig abgenommen habe. Das stimmt. Doch im gleichen Zeitraum hat auch die Gesamtbevölkerung zugenommen.

Es lohnt sich, sachlich zu bleiben

Zudem ist der Rückgang von Hungerleidenden kein Beweis dafür, dass Nahrungsmittelspekulationen nicht doch einen Einfluss auf Hunger in Drittweltländern haben. Es könnte schliesslich sein, dass noch viel weniger Menschen an Hunger leiden würden, wenn wir auf die Spekulationen verzichten würden.

Ob man mit Essen spielen darf, kann ich in diesem Artikel nicht beantworten. Dem politischen Spiel mit Statistiken sollten wir jedoch einen Riegel schieben, wenn wir an einer sachlichen Auseinandersetzung mit politischen Vorlagen interessiert sind.

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Präsidium, Fundraising

Servan Grüninger ist Mitgründer und Präsident von Reatch. Er hat sein Studium mit Politikwissenschaften und Recht begonnen und mit Biostatistik und Computational Science abgeschlossen. Zurzeit doktoriert er am Institut für Mathematik der Universität Zürich in Biostatistik. Weitere Informationen: www.servangrueninger.ch.

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