Facts

Wie gut wir uns an Faktenchecks erinnern, hängt vom richtigen Zeitpunkt ab

Wann soll man falsche Schlagzeilen im Internet korrigieren? Am besten erst nachdem jemand die Falschinformation gelesen hat, wie eine neue Studie zeigt.

Warum dies wichtig ist

Fake News gefährden nicht nur die Stabilität von Demokratien. Mit der Pandemie sehen die europäischen Behörden sie zunehmend als Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Die Presse, soziale Netzwerke und Verbände unternehmen grosse Anstrengungen, um Fehlinformationen einzudämmen. Beispielsweise versieht Twitter bestimmte Veröffentlichungen mit Warnhinweisen. Viele Medien haben sogar ganze Rubriken eingerichtet, die sich damit beschäftigen, Gerüchte zu entlarven.

Nun liefert eine Studie von der Harvard Universität und vom Massachusetts-Institut für Technologie MIT neue Erkenntnisse, wie man Falschmeldungen am besten entgegenwirken kann. Die im Fachmagazin PNAS veröffentlichte Studie vergleicht, wie sehr sich die Öffentlichkeit an Faktenchecks erinnert, wenn sie diese zu verschiedenen Zeitpunkten erhält. Hierfür führten die Psychologen ein Experiment mit 2600 Personen durch. Den Probanden setzten sie 18 wahre und 18 falsche Schlagzeilen aus sozialen Medien vor. Eine wahre Aussage war beispielsweise: Trumps Hotelgeschäft stürzte ab, als seine politische Karriere Aufschwung erhielt. Ein Beispiel für eine falsche Aussage war etwa: Nach einem heftigen Streit im Weissen Haus ordnet Trump die Abschiebung von Melania an.

Zufällig vor, während oder nach dem Lesen dieser Aussagen erschien bei der Hälfte der Probanden auf dem Bildschirm eine Benachrichtigung, ob diese Schlagzeilen wahr oder falsch waren. Die andere Hälfte der Probanden – die Kontrollgruppe – erhielt nur die Aussagen ohne Benachrichtigung.

Die Ergebnisse sind eindeutig

Eine Woche nach dem Experiment untersuchten die Wissenschaftler, wie gut sich die Probanden an den Wahrheitsgehalt der Schlagzeilen erinnern konnten. Die Ergebnisse zeigen: Wurden die Probanden direkt nach dem Lesen informiert – sogenanntes Debunking – verringerte das ihre Fehlerquote um 25 Prozent. Hinweise während – sogenanntes Labelling – und vor dem Lesen – sogenanntes Prebunking – wirken sich hingegen weniger stark aus: Hier machten die Probanden im Vergleich zur Kontrollgruppe lediglich rund neun respektive sechs Prozent weniger Fehler.

Dies sei ein sehr überzeugendes Ergebnis, sagt Jeff Hancock, Direktor des Social Media Lab an der Stanford University, der an dieser Arbeit nicht beteiligt war. Er erklärt:

«Beim Prebunking und Labelling ist die Verbesserung minimal. Das überrascht mich nicht wirklich, wir sind normalerweise ziemlich schlecht bei solchen Spielen. Erstaunlich ist aber, dass wir beim Debunking dreimal besser abschneiden. Statistisch gesehen ist das signifikant.»

Prebunking und Labelling spielen dennoch eine wichtige Rolle.

Obwohl sich die beiden konkurrierenden Ansätze als weniger effektiv erwiesen haben, sollten sie nicht aufgegeben werden, sagt Hancock. So sei beispielsweise die präventive Information für Medien oder Verbände, die sich im Kampf gegen Fake News engagieren, nach wie vor sehr nützlich:

«Die Ergebnisse legen nahe, dass Prebunking für Konsumenten nicht sehr effektiv ist. Dieser Ansatz richtet sich aber auch an Journalisten oder Organisationen. Für diese Fachleute ist es wichtig, Desinformationskampagnen zu antizipieren, bevor sie viral gehen und sich weiter verbreiten.»

Und wie steht es um das Labelling? Vor allem Twitter hat diese Strategie im Frühjahr 2020 angewendet. Das soziale Netzwerk versieht Kommentare, die als problematisch angesehen werden, mit einer Warnung. Zum Beispiel während der US-Wahlen: «Einige oder alle Inhalte dieses Tweets sind umstritten und könnten die Öffentlichkeit in Bezug auf die Wahlen in die Irre führen.» Der Ansatz hatte viel Aufsehen erregt, als Donald Trump selbst unbewiesen massiven Wahlbetrug meldete. Jeff Hancock sagt dazu:

«Diese Studie zeigt deutlich, warum der Twitter-Ansatz nicht sehr effektiv war und warum die Lügen des Präsidenten weiterhin von einem grossen Teil der Öffentlichkeit ernst genommen werden.»

Aber der Psychologe glaubt, dass die Arbeit seiner Kollegen das Labelling einer Information während dem Lesen nicht unbedingt begraben muss:

«Das wichtigste dieser Studie ist nicht so sehr die Frage des Timings, als vielmehr des Erinnerungsvermögens: Korrekturen müssen einprägsam sein, um gut zu funktionieren. Dies ist nicht der Fall bei den sehr einfachen und eher schwachen Hinweisen von Twitter, wie zum Beispiel ‚diese Aussage ist umstritten‘, anstatt einfach ‚diese Aussage ist falsch‘. Ich denke, dass Designer und Interface-Experten dabei eine wichtige Rolle spielen könnten.»

Dieser Artikel ist am 10. Februar 2021 im Magazin Higgs erschienen.

Higgs ist das unabhängige Magazin für Wissen in der Schweiz, das seit 2018 täglich Wissen für ein breites Publikum publiziert.

Auteur·rice·s

Katrin Schregenberger ist Leitende Redaktorin beim Wissenschaftsmagazin higgs. Ihr Credo als Journalistin: Sag’s einfach so, dass es jeder versteht. Sie ist Historikerin und hat sich ihre journalistischen Sporen während sechs Jahren bei der Neuen Zürcher Zeitung sowie als Reporterin in Myanmar verdient.

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