Die Leihmutterschaft ist in manchen Ländern legal, darunter in Griechenland, Russland, Israel und einigen amerikanischen Staaten wie zum Beispiel Kalifornien. Da die Praxis in der Schweiz verboten ist, weichen einige Paare ins Ausland aus. In der Schweiz hat das Bundesgericht das Verbot dieses Jahr gleich zweifach bestätigt: das Kind müsse vor einer Degradierung zur Ware geschützt werden, die Mutter vor der Kommerzialisierung des Körpers.
Es gehe nicht an, dass das hiesige Verbot der Leihmutterschaft umgangen wird, indem man eine Leihmutter im Ausland aufsucht. Aber was genau an der Leihmutterschaft könnte moralisch problematisch sein und wo liegen die Chancen?
Das Kindeswohl
Das Kindeswohl sollte bei der Leihmutterschaft an oberster Stelle stehen. Der Grund dafür ist einfach: Das Kind ist das schwächste Glied in der Konstellation. Es hat in seine Existenz nicht eingewilligt und ist der Leihmutter wie auch den erwartenden Eltern ausgeliefert. Das Kind ist schützenswert, weil es verletzlich ist und noch keine eigenen Entscheidungen treffen kann.
Ein Kind aus Leihmutterschaft kann nichts für seine Herkunft. Wenn das Bundesgericht entscheidet, dass in der Geburtsurkunde des Kindes nur ein Elternteil eingetragen wird, dann geht diese Entscheidung vor allem zu Lasten des Kindes. Mit nur einem Elternteil ist das Kind rechtlich weniger abgesichert. Zumindest dieser Aspekt ist aus Sicht des Kindes unerfreulich.
Wird die Leihmutter ausgebeutet?
Auch die Leihmutter kann in einer schwachen Position sein. Es ist unbestritten so, dass es ausbeuterische Formen der Leihmutterschaft gibt. Dazu gehören sogenannte Leihmutterschaftshäuser in Indien, wo Frauen neun Monate unter Aufsicht leben und für ein reiches (westliches) Paar ein Kind austragen.
Neben diesen Fällen gibt es aber auch selbstständige Leihmütter, die ihre Dienste über das Internet anbieten. In der Gesellschaft lösen solche Dienstleistungen häufig Unbehagen aus. Ähnlich wie bei der Prostitution wird manchmal die Auffassung vertreten, dass es unwürdig ist, gewisse körperliche Tätigkeiten als Dienstleistung und gegen Geld anzubieten. Was aber, wenn sich die Schwangerschaft nicht als Dienstleistung anfühlt und umsonst von einer Frau auf sich genommen wird? In Grossbritannien ist diese Form der Leihmutterschaft erlaubt und wird «altruistische Leihmutterschaft» genannt.
Eine altruistische Leihmutter – eine Rabenmutter?
Es gibt also Frauen, die freiwillig und ohne finanzielle Entlohnung ein Kind für ein anderes Paar austragen. Diese Frauen helfen aus Mitgefühl, weil sie es geniessen schwanger zu sein oder weil sie selbst viel Glück durch Kinder erfahren haben. Viele Menschen haben die Intuition, dass eine Schwangerschaft mit starken Muttergefühlen verbunden sein muss.
Der eindeutige Grund hierfür liegt in der körperlichen Symbiose mit dem Kind. Aber nicht jede Frau erlebt in der Schwangerschaft eine gleich enge Bindung zum Kind. Es ist daher auch möglich, dass es Frauen gibt, welche das Kind nach der Geburt abgeben können. Machen sich solche Frauen etwas vor? Oder sind sie gar Rabenmütter?
Mutterinstinkt eine idée fixe?
Vielleicht ist der Mutterinstinkt eine idée fixe unserer Gesellschaft, ein liebgewonnener Mythos, den wir überbewerten. Vielleicht haben wir zu starre Vorstellungen davon, was es bedeutet, eine gute Mutter zu sein. Das Kind an ein Elternpaar abzugeben, das sich sehnlichst eine Familie wünscht, gehört für die meisten Menschen nicht dazu.
Dabei wäre es auch möglich, dass die Leihmutter als Bezugsperson im Leben des Kindes bleibt. Oder man könnte der Leihmutter das Recht zugestehen, das Kind nach der Geburt zu behalten, wenn sie das möchte. So könnte man die Leihmutter vor der unmöglichen Aufgabe schützen, bereits vor der Schwangerschaft entscheiden zu müssen, wie sie sich in anderen Umständen fühlen wird.
Verbieten oder erlauben – Risiken und Chancen
Häufig scheint es für eine Gesellschaft die sicherere Option zu sein, beim Gewohnten zu bleiben. Im Falle der Leihmutterschaft hiesse das, dass man in der Schweiz beim status quo des Verbots verharrt. Verschiedene Schreckensszenarien bestätigen uns in dieser Haltung: Man stelle sich eine Gesellschaft vor, in der Frauen nur Chancen auf einen guten Beruf haben, wenn sie keine Kinder haben oder die Schwangerschaft outsourcen. Oder man stelle sich eine Dystopie wie im amerikanischen Jugendbuch «The Giver» vor, wo es Geburtsmütter gibt, deren einzige Rolle es ist, Kinder für andere Leute auszutragen.
Es ist aber genauso gut möglich, dass unserer Gesellschaft eine grosse Chance entgeht, wenn wir nicht vom Verbot der Leihmutterschaft abrücken. Dies vor allem, wenn wir vom Idealfall ausgehen, in dem Frauen selbstbestimmte Entscheidungen treffen und diese Entscheidungen Ausdruck ihrer persönlichsten Überzeugungen sind.
Die künstliche Reproduktionsmedizin muss auch für das Kind kein Skandal sein, schliesslich wird nur minuziös geplant und lange erhofft, wer ein Wunschkind ist, erklärt es der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard in seinem klugen Buch «Kinder machen». Auch natürlich gezeugte Kinder sind von Identitätskrisen nicht gefeit.
Science-Fiction ist oft die Realität von morgen
Auch wenn das Verbot bleibt, gehen die Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin weiter voran. Das Retortenbaby von früher ist heute gang und gäbe. Auch erfolgreiche Geburten nach einer Gebärmuttertransplantation hat es bereits gegeben. Die Möglichkeit, dass ein Kind in einem künstlichen Uterus ausserhalb eines menschlichen Körpers wächst, klingt heute vielleicht noch nach Science-Fiction. Aber morgen sind wir froh, wenn wir uns schon heute mit diesen Szenarien auseinandersetzen.
Dieser Artikel ist am 23. November 2015 im Science-Blog von NZZ Campus erschienen.
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