Arbeitsproduktivitaet ildem gemici

Die Produktivität hält nicht Schritt

Wir leben in einer Zeit des rasanten technologischen Wandels. Innovationen werden täglich entwickelt. Trotzdem nimmt die Arbeitsproduktivität in der Schweiz und anderen entwickelten Volkswirtschaften nur langsam zu. Wo liegt das Problem?

In den vergangenen dreissig Jahren hat sich in der Schweiz und vielen entwickelten Volkswirtschaften das Wachstum der Arbeitsproduktivität verlangsamt. Gemäss der amerikanischen Forschungsorganisation Conference Board betrug der jährliche Produktivitätsanstieg in der Schweiz in den vergangenen zehn Jahren weniger als ein Prozent. Bis in die 1980er Jahre hatte sich das jährliche Wachstum noch auf rund drei Prozent belaufen. Danach haben sich die Produktivitätszuwächse kontinuierlich verringert. In anderen Ländern Europas und in Nordamerika wird eine ähnliche Entwicklung beobachtet. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise hat sich die Arbeitsproduktivität besonders schwach entwickelt. Diese geringen Zuwächse der Arbeitsproduktivität sind paradox. Denn gleichzeitig findet ein beschleunigter technologischer Wandel statt, der unseren Alltag durchdringt und der unsere Arbeit produktiver machen soll. Innovationen sind zwar äusserst wichtig. Ein Problem ist aber, dass Innovationen die Wirtschaft gegenwärtig nur langsam durchdringen. Ein stärkeres Wachstum der Arbeitsproduktivität dürfte davon abhängen, ob neue Technologien die bestehenden beruflichen Fertigkeiten der Menschen besser ergänzen.

Unterschiedliches Produktivitätswachstum zwischen Sektoren …

Wissensintensive Dienstleistungs- und Industriesektoren (etwa die Pharmaindustrie oder Wirtschaftszweige im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie) haben ein hohes Produktivitätswachstum verzeichnet. Andere Sektoren weisen deutlich geringere Produktivitätszuwächse auf. In den vergangenen Jahren gab es nur eine geringe Diffusion des technologischen Fortschritts von hoch innovativen Firmen zum Rest der Wirtschaft. Verschiedene Forschungsarbeiten - etwa der OECD - zeigen, dass sich die Produktivitätsschere zwischen Spitzenunternehmen in wissensintensiven Branchen und den restlichen Firmen geöffnet hat. Innovationen sind immer kostenintensiver und durchdringen die Wirtschaft langsamer. Im Zuge dieser Entwicklungen hat der technologische Wandel in den vergangenen Jahren gesamtwirtschaftlich nur zu einem schwachen Produktivitätswachstum geführt.

… und zwischen verschiedenen Regionen

Auch aus einer räumlichen Perspektive betrachtet öffnet sich eine Schere: zwischen dynamischen und weniger dynamischen Regionen. Urbane Zentren haben in den vergangenen Jahren meist stärker zugelegt als ländliche Gebiete, die nur wenig von den Produktivitätsfortschritten in den dynamischen Regionen profitiert haben. Die damit einhergehende unterschiedliche Entwicklung bei Beschäftigung und Löhnen hat in vielen Ländern eine wachsende regionale Ungleichheit zur Folge, welche das Potential hat, die gesellschaftliche und politische Polarisation zu fördern. Hierzu muss man sich nur die amerikanischen Präsidentschaftswahlen und die Brexit-Abstimmung in Erinnerung rufen.

Produktivitätsfortschritte durch Innovation UND Diffusion

Wird in der Zukunft der technologische Fortschritt mehr zu weniger innovativen Sektoren und Regionen diffundieren? Häufig wird betont, dass sich die Menschen verstärkt dem technologischen Fortschritt anpassen müssen. Stichworte in dieser Debatte sind etwa lebenslanges Lernen, Kreativität oder digitale Fähigkeiten. Investitionen in die Bildung und Weiterbildung sind enorm wichtig. Sie fördern lebenslanges Lernen und bilden einen Nährboden für Kreativität und Innovationen. Doch solche Massnahmen sind kein Allheilmittel. In den vergangenen Jahren ist viel in die Bildung und Weiterbildung investiert worden. Trotzdem sind die Produktivitätsfortschritte auf breiter Ebene ausgeblieben. Zudem kann die Zeit, die wir für die Aus- und Weiterbildung verwenden, nicht beliebig verlängert werden. Produktivitätsfortschritte auf breiter Ebene dürfte es deshalb nur geben, wenn neue Technologien – seien dies Software, 3-D Drucker oder andere Innovationen – bestehende berufliche Fertigkeiten besser ergänzen und die Arbeit noch mehr vereinfachen. Dies betrifft insbesondere Dienstleistungen. Der Gesundheitsbereich ist hierfür ein gutes Beispiel. Der medizinische Fortschritt verbessert und verlängert unser Leben; gleichzeitig hat der technologische Wandel bislang wenig dazu beigetragen, die tägliche Arbeit der Ärzte oder des Pflegepersonals produktiver zu machen. Dem Anstieg der Produktivität sind sicherlich Grenzen gesetzt - etwa aufgrund der Wichtigkeit der persönlichen Gespräche mit Patienten. Aber gerade weil in diesem Bereich die persönlichen Gespräche äusserst wichtig sind, besteht Bedarf an Innovationen, welche die Fähigkeiten des Gesundheitspersonals besser ergänzen und zu einer Entlastung führen - etwa was den administrativen Aufwand und Diagnosen betrifft.

Innovationen haben zweifelsohne nicht nur das Potential, unser Leben angenehmer und nachhaltiger zu gestalten, sondern auch die Produktivität unserer Arbeit zu erhöhen. Wenn man den Zukunftsforschern glaubt, werden neue Technologien wie Robotertechnik, Nanotechnologie, 3-D Drucker oder das Internet der Dinge immer mehr miteinander verschmelzen. Wichtig ist, dass neue Technologien die bestehenden Fertigkeiten der Menschen besser ergänzen und die Produktivität nicht nur in den innovativen Sektoren und Regionen ansteigt. In der öffentlichen Debatte müssen diese Aspekte eine grössere Rolle spielen. Nur anhaltende Produktivitätssteigerungen auf breiter Ebene können den gesellschaftlichen Zusammenhalt sicherstellen und unseren Wohlstand sichern.

Eine verkürzte Version dieses Blog-Beitrags ist am 23. Mai 2017 als Gastkommentar in der NZZ erschienen.

Auteur·rice·s

Auteur

Chef de projet «Avenir du travail», Blog-Team

Guido Baldi ist Mitglied von Reatch und beschäftigt sich insbesondere
mit Geldpolitik, Wirtschaftswachstum und dem Wandel der Arbeit. Bei
Reatch leitet er die Projektgruppe "Zukunft der Arbeit". Guido forscht
am Volkswirtschaftlichen Institut der Universität Bern und am Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

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